Süddeutsche Zeitung

Studierendenvisa:Der komplizierte Weg an die deutschen Unis

Ausländische Studienbewerber stehen gerade vor vielen Problemen: In der Stelle, die ihre Zeugnisse prüft, fehlt Personal, deutsche Botschaften arbeiten wegen Corona im Notbetrieb. Die Zahl der Visa ist drastisch eingebrochen.

Von Bernd Kramer

Violetta, 26, hatte eigentlich alles, um zum Wintersemester ihr Sozialarbeitsstudium an der Fachhochschule in Frankfurt am Main zu beginnen. Die Zulassung? Kam längst mit der Post. Deutsch? Spricht sie fließend, sie hat bereits Germanistik an der Uni in Krasnodar im Süden Russlands studiert. Fehlte nur noch eins: das Visum.

In einem Internetforum las sie, dass auf der Website der deutschen Auslandsvertretung immer nachts neue Termine eingestellt würden, Gerüchte machten die Runde, zu welcher Uhrzeit. Violetta stellte sich drei Wecker, ein Uhr, vier Uhr, sieben Uhr, montags, dienstags, mittwochs, donnerstags, freitags. Es folgten schlaflose Wochen. "Vor ein Uhr konnte ich vor Nervosität nicht einschlafen", sagt sie. "Und danach auch nicht, weil ich so verzweifelt war, wieder keinen Termin bekommen zu haben."

Für ausländische Bewerberinnen und Bewerber scheint es in der Tat derzeit sehr schwer zu sein, zum Studium nach Deutschland zu kommen. Zuletzt wurden deutlich weniger Studierendenvisa erteilt, wie eine Auswertung aus dem Auswärtigen Amt zeigt, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Zwischen April und Juni bekamen gerade einmal 354 Männer und Frauen aus Ländern außerhalb der EU ein Studierendenvisum. Sonst sind es mehr als 10 000, im Quartal kurz vor Beginn eines Wintersemesters sogar mehr als 30 000.

Corona ist schuld. Das Auswärtige Amt verweist darauf, dass viele Herkunftsländer ihren Staatsangehörigen wegen der Pandemie die Ausreise erschwert hätten. Die Linken-Abgeordnete Nicole Gohlke, die die Zahlen bei der Bundesregierung erfragt hat, überzeugt das allerdings nicht: "Der erdrutschartige Einbruch von Studierendenvisa ist nicht allein mit Ausreisebeschränkungen der Herkunftsländer zu erklären." Sie glaubt: Auch Deutschland trägt seinen Teil dazu bei, Studierende fernzuhalten.

Auffällig ist zumindest eines: Während zwar deutlich weniger Visa erteilt werden, ist das Interesse an einem Studium in Deutschland nahezu ungebrochen. Wie passt das zusammen?

Streiks und weniger Personal in der Prüfstelle

Bei Uni-Assist, dem Verein, der im Auftrag vieler Hochschulen die Unterlagen ausländischer Studienbewerber prüft, reichten bis Ende August 60 000 Menschen ihre Bewerbungen ein, gerade einmal etwa 20 Prozent weniger als im Vorjahr. Uni-Assist ist oft die erste Hürde, die diejenigen nehmen müssen, die in Deutschland studieren wollen. Erst wenn der Verein die Zeugnisse geprüft und die Hochschule eine Zusage verschickt hat, können Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland ein Visum beantragen und einreisen.

Doch gerade hakt es gewaltig bei Uni-Assist. Ende März kündigte der Verein 20 Saisonkräften noch in der Probezeit - weil sie wegen des Corona-Lockdowns nicht wie vorgesehen an Schulungen teilnehmen konnten, teilt Uni-Assist mit. Beobachter vermuten hinter vorgehaltener Hand, dass Uni-Assist sich schlicht verkalkuliert hat. Tatsächlich rechnete auch der Verein selbst im März mit bis zu 70 Prozent weniger Bewerbungen für das Wintersemester - eine Zahl, die sich inzwischen als falsch herausgestellt hat. Nun fehlt schlicht das Personal: 103 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten laut Uni-Assist im Moment in der Zeugnisbegutachtung, vor einem Jahr waren es 126 Personen.

Hinzu kommt: Viele Beschäftigte bei Uni-Assist streiken gerade und fallen deswegen aus. Sie wollen einen Tarifvertrag. Den 180 Hochschulen, die Uni-Assist tragen, werfen sie vor, die Prüfung ausländischer Bewerbungen über den Verein zu billigen Löhnen ausgelagert zu haben. Der Gewerkschaft Verdi zufolge habe es seit Juni 27 Streiktage "mit hoher Beteiligung" gegeben. Ausländische Bewerberinnen und Bewerber müssen daher oft länger als üblich warten, bis ihre Unterlagen bearbeitet werden.

In E-Mails an die Mitgliedshochschulen, die der SZ vorliegen, kündigt Uni-Assist an, "dass die ursprünglichen Bearbeitungsziele nicht länger zu halten sein werden". Im schlimmsten Fall würde die Prüfung bis zum 16. November dauern - ob ein Studienbewerber aus dem Ausland also einen Platz an einer deutschen Hochschule bekommt, würde er dann erst nach Vorlesungsbeginn erfahren. "Wer keine Zulassung hat, kann auch kein Visum beantragen. Den internationalen Studierenden droht wegen der Probleme bei Uni-Assist also, dass sie viel Stoff verpassen, bis sie überhaupt einreisen dürfen", bemängelt Johannes Glembek, Geschäftsführer des Bundesverbandes ausländischer Studierender. Uni-Assist teilt gegenüber der SZ mit, dass die Bearbeitung "sicher früher" abgeschlossen sein wird.

Botschaften im Notbetrieb

Bei Bewerberin Violetta aus Südrussland, die nicht mit vollem Namen in die Öffentlichkeit möchte, war Uni-Assist das geringere Problem. Die Zulassung hatte sie rechtzeitig. Nur machte sie sich Sorgen, ob sie auch das Visum zeitnah bekommen würde. Nacht für Nacht versuchte sie, einen Termin über die Botschaftsseite zu buchen, über Wochen, stets vergebens. So etwas hatte sie noch nicht erlebt.

Vor einigen Jahren, 2014, hatte sie schon einmal ein Visum gebraucht, für ein Auslandssemester in Karlsruhe. "Einen Termin zu bekommen war damals gar kein Problem." Ein Anruf habe genügt.

Wie schwierig die Lage für Studienbewerber und Studienbewerberinnen bei den Botschaften derzeit ist, unterstreicht auch eine Umfrage des Dienstleisters Expatrio, der ausländische Studierende durch den Antragsdschungel begleitet. Das Unternehmen befragte im Sommer rund 1400 Bewerberinnen und Bewerber. 87 Prozent der Befragten wollten trotz Corona weiterhin zum Wintersemester nach Deutschland kommen. Aber mit 39 Prozent hatte nur ein kleiner Teil von ihnen zu dem Zeitpunkt bereits ein Visum. Die übrigen gaben zu einem großen Teil an, sie hätten Probleme, Termine bei den Botschaften zu vereinbaren.

Das Auswärtige Amt bestätigt diese Hindernisse. Einige Visastellen würden "unverändert nur erheblich eingeschränkt oder im Notbetrieb arbeiten", heißt es gegenüber der SZ. In Russland könnte zum Beispiel "nicht die Anzahl der Termine angeboten werden, die vor Beginn der Pandemie zur Verfügung stand".

Violetta hatte am Ende Glück. Am 26. August, nach vier Wochen vergeblichen Wachens, konnte sie mitten in der Nacht endlich einen Termin in der Botschaft buchen. Die Schlaflosigkeit hielt aber an. "Diesmal konnte ich nicht schlafen, weil ich einfach so froh war, dass es endlich geklappt hat."

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