Verkürzung der Schulzeit:"Wir müssen das G 8 zum Laufen bringen"

Abitur nach acht Jahren oder nach neun - oder eine neue Mischform? In Bayern wird diese Debatte heftig geführt. Der Würzburger Bildungsforscher Heinz Reinders über den Ärger an den Gymnasien und vergebene Chancen bei den Ganztagsschulen.

Mike Szymanski

Zurück zum neunjährigen Gymnasium, wie es die SPD fordert? Oder ein Extrajahr auf dem Weg zum Abi, das Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) will? Der Würzburger Bildungsforscher Heinz Reinders, 39, hält wenig von diesen Ideen. Er wünscht sich ein gut gemachtes G 8 - auch wenn das noch mal nachsitzen bedeutet.

Die SPD will das neunjährige Gymnasium als Zusatzangebot zurück, die CSU feilt am G 8+1. In Bayern setzt die große G-9-Nostalgie ein - warum?

Wir haben jetzt erste Erfahrungen mit dem achtjährigen Gymnasium gemacht. Lehrer, Eltern aber auch Politiker können G 8 und G 9 miteinander vergleichen. Viele erleben das G 8 als puren Stress. Das, was man früher in neun Jahren gemacht hat, soll man jetzt in acht durchpauken. Das erklärt die Sehnsucht.

War denn das G 9 die bessere Schule?

Wenn man daran denkt, wie Eltern und Schüler heute über den Stress klagen, dann auf jeden Fall. Dennoch sollte man jetzt nicht über eine Rückkehr zum G 9 nachdenken, sondern lieber das G 8 richtig auf die Füße stellen.

Was ist zu tun?

Wir müssen die Lehrpläne überarbeiten und so anpassen, dass ein vernünftiges Unterrichten möglich ist. Es wäre gut, die Erfahrungen der Lehrer und Eltern einzubeziehen. Sie wissen am besten, wo sich zu viel Stoff angehäuft hat.

Also wird es noch lange dauern, bis das Gymnasium endlich zur Ruhe kommt?

Jetzt wieder über G 8+1 nachzudenken oder über die Rückkehr zum G 9 als Alternative, bringt keine Ruhe ins System. Wir brauchen das ernstgemeinte Signal: Das Modell wird noch einmal systematisch auf alle Schwächen untersucht.

Brauchen wir Turbo-Gymnasiasten?

Das G 8 ist nur dann ein Turbo-Gymnasium, wenn die Fülle an Lernstoff nicht der neuen Lernzeit angepasst wird. Dann ist das G 8 natürlich ein schlechtes Modell, denn Bildung braucht Zeit. Das G 8 ist derzeit eine Schulform, die noch stark mit der großen Lehrplanfülle zu kämpfen hat. Ich würde nicht an der Zeitschraube drehen, sondern den Lehrplan weiter anpassen und durch fächerübergreifende Curricula Wissen besser vernetzen. Im internationalen Vergleich sind zwölf Jahre bis zum Abitur der Normalfall - wir sollten nicht zur Ausnahme zurückkehren.

Kaum ein anderes Bundesland hat in den vergangenen Jahren so sehr an seinem Schulsystem geschraubt wie Bayern - ist es dadurch auch besser geworden?

Das kann man so pauschal nicht beurteilen. Unser Problem ist, dass wir Lehrer, Schüler und Eltern überfordern, weil manches dann ganz schnell gehen muss. Unser Bildungssystem befindet sich im Umbruch. Es reagiert auf die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse. Nehmen wir zum Beispiel den Migrantenanteil: Etwa ein Drittel der Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren hat einen Migrationshintergrund - das zwingt uns zu Veränderungen.

Wo bleibt das Geld?

Ist Bayerns Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem bloß Sturheit oder gibt es gute Argumente dafür?

Es gibt keine empirischen Hinweise dafür, dass eine Gesamtschule, in der die Schüler bis zur zehnten Klasse gemeinsam unterrichtet werden, dem dreigliedrigen Schulsystem unterlegen wäre. Andererseits funktioniert auf dem Land das dreigliedrige System noch ganz gut: Da macht ein Schüler mit dem Hauptschulabschluss Karriere als Handwerker, der Realschüler geht über in die Kaufmannslehre, der Abiturient studiert. Das Problem ist nicht so sehr: Gesamtschule gegen Dreigliedrigkeit, sondern die frühe Selektion nach der vierten Klasse.

Werden ideologische Kämpfe auf dem Rücken der Schüler ausgetragen?

Wenn schon zu einem solch frühen Zeitpunkt über die Lebenskarrieren der Schüler entschieden wird, dann schon. Kinder etwa aus Arbeiterfamilien haben sechsmal schlechtere Chancen, das Abitur zu machen. Das widerspricht der Idee, die Kompetenzen der Kinder in den Mittelpunkt zu rücken und sie danach zu fördern, was sie können und nicht danach, wo sie herkommen.

Die Politik verspricht seit langem, daran etwas zu ändern.

Ich bin optimistisch: Da muss und da wird Bildungspolitik reagieren. Ein wirtschaftlich starkes Bundesland, das konkurrenzfähig sein will, kann es sich nicht mehr leisten, Talente nicht zu fördern. Wir haben mit 24 Prozent eindeutig zu wenig Abiturienten in Bayern. Wir kommen gar nicht länger umhin, den eigenen Nachwuchs besser nach Kompetenzen und nicht nach Herkunft zu fördern.

In Bayern liegen die Ausgaben der öffentlichen Hand für Bildung bei etwa 21 Prozent. Ist das zu wenig?

Das ist eine irritierende Kennzahl. Wichtiger ist: Wofür geben wir das Geld aus? Nehmen wir die Ganztagsschule als Beispiel. Hier hat der Freistaat eine Chance vertan. Er hätte das Geld in solche investieren können, die mit dem Wechsel von Unterrichts- und Freizeitangeboten am Vor- und Nachmittag wirklich etwas bringen. Stattdessen hat die Politik auf das Modell einer Vormittagsschule mit Nachmittagshort gesetzt.

Was muss rasch passieren, um die Defizite abzustellen?

Rasch geht im Bildungssystem gar nichts. Wir müssen das G 8 zum Laufen bringen; vermeiden, dass Schüler zu früh aussortiert werden und vernünftige Ganztagsschulen aufbauen. Von heute auf morgen geht das auf keinen Fall. Aber damit wohl überlegt anzufangen, ist immer eine gute Idee.

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