Verflechtung von Wissenschaft und Wirtschaft:Hat da jemand "Drittmittel" gesagt?

Universität Hamburg

Hörsaal an der Universität Hamburg

(Foto: dpa)
  • Das Internetportal hochschulwatch.de fordert die Unabhängigkeit deutscher Unis von der Wirtschaft.
  • Nun geht die Webseite mit neuen Funktionen und aktuellen Daten online.
  • Daraus geht hervor, dass jährlich mehr als 1,3 Milliarden Euro aus der gewerblichen Wirtschaft an deutsche Hochschulen fließen.
  • Studentenvertreter und Wissenschaftler sind ob des Drittmittel-Trends an deutschen Universitäten besorgt

Über 10 000 Kooperationen zwischen Wirtschaft und Hochschulen

Das Internetportal hochschulwatch.de beschäftigt sich seit 2013 mit den Verquickungen deutscher Universitäten mit der Wirtschaft. Nun präsentieren die Macher eine Neuauflage der Webseite. "Bis heute wurden dort über 10 000 Kooperationen zwischen Wirtschaft und Hochschulen gesammelt - Sponsoring-Verträge, Stiftungsprofessuren, geförderte Institute oder Forschungsaufträge", teilten die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International und die Berliner taz mit. Sie sind gemeinsam mit dem Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) die Initiatoren des Projekts, laut dem jährlich mehr als 1,3 Milliarden Euro aus der gewerblichen Wirtschaft an deutsche Hochschulen fließen.

Was es mit Stiftungslehrstühlen auf sich hat

Laut einer Mitteilung des fzs sammelt das Portal "fragwürdige" Einflussnahmen auf die Hochschulen. Die Bezeichnung passt aber keineswegs pauschal. Auf den ersten Blick sieht das Stiften, vor allem durch Stiftungslehrstühle, nach einem idealen Deal aus. Firmen erhalten inhaltliche Impulse, können nach Fachkräften Ausschau halten, feilen an ihrem Image; Hochschulen schärfen derweil ihr Profil ohne die üblichen Verteilungskämpfe beim Geld. Doch in Einzelfällen wurde der Stifter schon zum Unruhestifter. Kritiker wettern regelmäßig, Firmen wollten über solche Lehrstühle billig forschen lassen, was als Auftragsforschung - auch das ist grundsätzlich legitim - zu teuer wäre.

Als Musterbeispiel wird regelmäßig ein mittlerweile beendeter Vertrag zwischen der Deutschen Bank sowie der Berliner Hochschulen Humboldt-Universität und Technischer Universität genannt. Für Professuren in Finanzmathematik mussten demnach der Bank unter anderem Forschungsergebnisse vor Veröffentlichung vorgelegt werden. Kritiker machten die Geheimverträge öffentlich und sprachen von der "Selbstaufgabe zweier Universitäten".

Heikel ist es auch, wenn die Inhalte einer Stiftungsprofessur von Beiräten bestimmt werden - in denen dann aber die Unternehmen sitzen oder sogar die Mehrheit stellen. Drittmittelverträge von Hochschulen mit Förderern aus der Wirtschaft müssen in der Regel nicht veröffentlicht werden, zumindest in einigen Bundesländern gibt es jedoch seit kurzem neue Transparenzregeln.

Um die Unabhängigkeit des Wissenschaftsbetriebs zu überprüfen, will hochschulwatch.de daher Fragen klären wie zum Beispiel: "Versuchen Unternehmen damit, Einfluss auf die Wissenschaft zu nehmen?" Oder: "Ist die Freiheit von Forschung und Lehre in Gefahr?" Ziel sei die Offenlegung aller Drittmittelverträge zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, verpflichtende Sponsoringberichte der Hochschulen sowie die Einbindung von Universitäten in die Informationsfreiheitsgesetze

Die Reaktionen

Edda Müller, die Vorsitzende von Transparency Deutschland: "Unabhängigkeit und Transparenz der Finanzströme sind ein hohes Gut der Wissenschaft. Wir fordern eine Veröffentlichungspflicht aller Kooperationsverträge zwischen Wirtschaft und Wissenschaft sowie regelmäßige Sponsoringberichte aller Hochschulen."

Die Bildungsgewerkschaft GEW teilte mit: "Wenn Hochschulen private Drittmittel einwerben, ist das nicht per se ein Problem. Entscheidend ist, dass von der Kooperation nicht einseitig die privaten Partner profitieren, sondern diese gleichermaßen im Interesse der Lehrenden und Studierenden ist. Die Kooperationsverträge müssen offen gelegt und in den Hochschulgremien diskutiert werden. Entsprechende Transparenzklauseln müssen in den Hochschulgesetzen sowie in den Grundordnungen der Hochschulen verankert werden." Die GEW bestätigte zudem, dass der Druck auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, private Drittmittel einzuwerben, gestiegen sei.

"Zu Produzenten von Arbeitskräften degradiert"

Was Studentenvertreter sagen

Die Studentenvertreter sorgen sich - neben der Forschungsfreiheit - auch um den Trend, dass die Präsenz der Unternehmen auf dem Campus schleichend die Inhalte des Studiums verändern könnte: "Hochschulen werden immer weiter zu Produzenten von Arbeitskräften degradiert. Die Drittmittel an unseren Hochschulen führen aber genau dazu. Studierende und Lehrende verlieren die Selbstbestimmung über ihr Handeln und bekommen häppchenweise Aufgaben aus der Wirtschaft", sagt Isabella Albert, Vorstandsmitglied im fzs, in dem ASten und Studentenvertretungen aus ganz Deutschland organisiert sind.

Was Wissenschaftler sagen

Auch Wissenschaftler sehen den Drittmittel-Trend nicht ohne Bedenken. Der Deutsche Hochschulverband, die größte Standesvertretung der Uni-Professoren, warnt: Wenn Stifter konkrete Ergebnisse sehen wollten, führte das "zu einer Schere im Kopf" der Forscher - unvereinbar sei das mit fachlicher und geistiger Unabhängigkeit.

"Den Hochschulen geht es so miserabel, dass sie für jede Gabe dankbar sind", sagt der DHV-Präsident Bernhard Kempen der Süddeutschen Zeitung. "Stiftungslehrstühle können funktionieren, das zeigt die Praxis, wenn sie transparent sind." Die uneingeschränkte Freiheit von Forschung und Lehre müsse oberstes Kriterium bleiben. Der Trend zum Stiften und Sponsern sei "auch Spiegel eines Politikversagens".

Meiste Stiftungsprofessuren in München

Die taz hatte am Wochenende über das Einwerben sogenannter Hochschul-Drittmittel aus der Wirtschaft und damit mögliche Abhängigkeiten der Universitäten berichtet. In Deutschland gebe es demnach etwa 1000 Professuren, die von Wirtschaftsunternehmen oder privaten Stiftungen finanziert würden. Am Ende des Artikels heißt es über Deutschlands Hochschulen: "Der Unibetrieb ist heute in weiten Teilen (von einigen gallischen Dörfern mit zweifelhaftem Ranking abgesehen) ebenso geldbesessen wie geist- und besinnungslos."

Die meisten Stiftungsprofessuren hatte nach den taz-Recherchen die Universität München (56) vor Dresden (45), Erlangen-Nürnberg (40), Berlin (Humboldt-Uni, 37) und Bonn (32). Bei hochschulwatch.de, das seit Dienstag mit aktuellen Daten online ist, können Nutzer gezielt nach den Geldgebern suchen oder eigene Angaben zu Beispielen von Einflussnahme machen. Dort würden alle Kooperationen aufgelistet, wodurch deutlich werde, welche Firmen wie viel an deutsche Unis zahlen.

Insgesamt 6,8 Milliarden aus Drittmitteln

Nach jüngsten vorliegenden Zahlen von 2012 gaben die Hochschulen fast 45 Milliarden Euro aus. 22,2 Milliarden Euro zahlten die Länder für die sogenannte Grundfinanzierung. 16,1 Milliarden Euro kamen von den Krankenkassen für die Versorgung an Uni-Kliniken. Fast 6,8 Milliarden Euro stammten aus der Wirtschaft oder waren öffentliche Fördergelder (Drittmittel).

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