Verbeamtung im Lehramt:Aktenzeichen Angst

Folgen von Stress (Symbolbild)

Nervlich am Ende: Opfer häuslicher Gewalt fühlen sich oft machtlos. Eine vertrauliche Untersuchung kann helfen.

(Foto: Peter Steffen/dpa)
  • Vor Beginn ihres Referendariats müssen Lehramtsstudenten zum Amtsarzt. Er prüft, ob sie für die Beamtenlaufbahn geeignet sind.
  • Aus Angst, die Beamtenstelle verweigert zu bekommen, verzichten viele Studenten auf notwendige psychologische Behandlungen während des Studiums.
  • Dabei ist eine Psychotherapie nicht zwingend ein Ausschlusskriterium für die Verbeamtung.

Von Sophie Burfeind

Immer ist da dieser Hass. Auf sich und die Welt. Manchmal, sagt sie, sei er so stark, dass sie darüber nachdenkt, alles zu beenden. Dann stochert Leonie, die eigentlich anders heißt, wieder mit der Gabel im Salat auf ihrem Teller herum, blickt nachdenklich ins Leere. Ein Gespräch in einem Café, die 26-Jährige spricht von ihrer Verzweiflung. Die Münchner Lehramtsstudentin wirkt durchaus selbstbewusst, dass es ihr nicht gut geht, sieht man ihr kaum an. "Ich weiß, dass man das nicht denkt, aber ich habe oft solche Tiefs, wenn niemand hinsieht." Leonie glaubt, dass sie Depressionen und Psychosen hat, und weiß, dass sie Hilfe bräuchte. Doch zum Psychotherapeuten will sie nicht gehen - aus Angst, nicht verbeamtet zu werden.

Die junge Frau ist mit dieser Angst nicht allein. Wie sie glauben viele Studenten, dass eine Psychotherapie automatisch Ausschlusskriterium ist, um auf Lebenszeit angestellt zu werden. Zahlen gibt es nicht. Aber wenn man auf Facebook nach Betroffenen sucht, melden sich schnell 30 Studenten und Referendare. "Natürlich ist das ein Thema", sagt Heinz-Peter Meidinger, Chef des Philologenverbands. Er kenne aber Fälle, in denen es kein Problem war, vor dem Referendariat offen mit Therapien umzugehen. Dass das Phänomen des Ignorierens existiert, bestätigt die Bundespsychotherapeutenkammer. "Das Risiko ist groß, dass psychische Krankheiten chronisch werden und weitere Erkrankungen dazukommen, wenn sie nicht behandelt werden", warnt Präsident Dietrich Munz.

Meist schreiben die Studenten bei Facebook, dass sie wie Leonie auf eine Behandlung verzichtet haben, einige haben die Therapie aus eigener Tasche bezahlt oder eine Selbsthilfegruppe besucht; damit ja nichts in der Krankenakte auftaucht. Denn die muss bei der amtsärztlichen Untersuchung offengelegt werden, die vor Beginn des Referendariats stattfindet.

Unter Studenten ist der Termin gefürchtet: Schließlich entscheidet der Doktor des Gesundheitsamts über die Eignung für den Staatsdienst. Wie Leonie, die bald vor dem Amtsarzt sitzen wird, sind viele Bewerber auf dem Papier gesund. Denn sie sind erst gar nicht zum Therapeuten gegangen. Wenn in diesen Wochen mit Beginn des neuen Schuljahrs Zehntausende Referendare den Dienst antreten und der Check ansteht, geraten viele in Angst.

Wer kennt Crash-Diäten?

Onlineforen sind voll von Fragen: Ist die Operation vor ein paar Jahren - Gallensteine - ein Problem? Wie ist es mit dem Gewicht, wer kennt Crash-Diäten? Vor allem: Darf man im Studium in psychologischer Behandlung gewesen sein? Für Millionen Bürger ist es normal, zu einem Therapeuten zu gehen. Nicht für junge Leute, die Lehrer werden wollen. Sie trauen sich eben nicht, weil sie gern die feste Stelle hätten.

Johannes Röhrens von der psychosoziale Beratungsstelle des Münchner Studentenwerks erzählt: Viele Studenten, die zu ihm kämen, seien geradezu panisch von dem, was sie gehört oder irgendwo gelesen hätten. Er bedauert zwar, dass es von den Amtsärzten keine klaren Richtlinien gebe. Trotzdem kann er ungefähr sagen, wann eine Verbeamtung eher ausgeschlossen ist. Nämlich dann, wenn das Risiko groß sei, dass jemand wiederholt ausfallen könnte, eine lange Behandlung braucht oder Heilung unwahrscheinlich ist - bei schweren Depressionen etwa oder bei bipolaren Störungen. Anders sei das bei Erkrankungen, die schon therapiert sind oder durch traumatische Ereignisse entstehen, meint Röhrens: "Da wird ein Amtsarzt eher sagen: Gut, dass Sie sich Hilfe geholt haben."

Viele Studenten bleiben mit ihrem Leid alleine

Aber auch dann verzichten Studenten auf Hilfe. Auf den Facebook-Aufruf hin schreibt eine: "Ich habe in den letzten Jahren oft überlegt, eine Therapie zu machen. Mein Vater ist starker Alkoholiker, ich habe ihn schon wiederbeleben müssen. Aber ich habe es nicht getan, aus Angst, nicht verbeamtet zu werden." Oder die Geschichte einer anderen Frau: Innerhalb von sechs Monaten stirbt ihr Vater, ihr Freund hat einen schweren Unfall. "In dieser Zeit hätte ich mir sehr eine Therapie gewünscht. Ich hatte sogar einen Termin bei einem Therapeuten, habe ihn aber nicht wahrgenommen, da dies alle Chancen auf eine Verbeamtung vernichtet hätte."

Hätte es wahrscheinlich nicht. Noch dazu, weil zwei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts 2013 es einfacher machten, verbeamtet zu werden. Bis dahin musste der Arzt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass der Kandidat vor dem Pensionsalter aus dem Dienst scheiden könnte. Jetzt muss der Bewerber zum Zeitpunkt der Einstellung gesundheitlich geeignet sein - ein möglicher Untauglichkeitsgrund ist nur, wenn er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit früher dienstunfähig werden könnte. Der feine Unterschied kann den Ausschlag geben. Der Arzt muss - auch bei Übergewichtigen - im Einzelfall medizinisch fundierte Gründe vorbringen, dass der vorzeitige Ruhestand wegen der Kilos sehr wahrscheinlich ist. Psychische Problemen sind nicht sichtbar wie Übergewicht, lassen sich ignorieren.

Im Gesundheitsamt München ist man entsetzt, dass es diese Ängste noch gibt. "Ich hatte gehofft, dass es sich herumspricht, dass eine Psychotherapie kein absoluter Hinderungsgrund ist", sagt Barbara-Luise Donhauser, die Leiterin der Abteilung Ärztliche Gutachten. Seit 25 Jahren arbeitet sie in dem Bereich, so lang kennt sie auch das Thema. Eines, das fast ausschließlich Lehrer betreffe - Beamtenanwärter wie Juristen oder Polizisten machen sich offenbar weniger Sorgen.

Hochschüler unter Druck

Studenten nehmen - vor allem mit steigender Semesterzahl - häufiger psychiatrische Hilfe in Anspruch. Jeder Vierte gab in einer Umfrage der Techniker Krankenkasse kürzlich an, der Druck oder seelische Probleme seien schon so hoch gewesen, dass übliche Relax-Strategien nicht reichten. Die Hälfte aus der Gruppe hat sich Hilfe gesucht, meist ambulante Therapien oder Beratung an der Hochschule. Sechs Prozent gaben an, stationär behandelt worden zu sein. Und: Etwa ein Drittel der Frauen und sogar 43 Prozent der Männer an der Uni trinken ihren Stress weg", teilte die Kasse besorgt mit. SZ

Ein Urteil werde nicht nach einem Katalog von Kriterien gefällt, erklärt die Medizinerin Donhauser. Der Amtsarzt, im Münchner Amt sind das in diesen Fällen Psychiater, versuche, sich ein umfassendes Bild der aktuellen und langfristigen Leistungsfähigkeit zu machen: "In diese Beurteilung fließen die eigene Krankengeschichte ein, die Familienkrankengeschichte, ob Therapien gemacht wurden oder noch gemacht werden, wie das Beschwerdebild jetzt ist, Befunde von Therapien und Abschlussberichte von Kliniken." Auch warum eine Psychotherapie gemacht wurde, spiele eine Rolle. War es zur Bewältigung einer Lebenskrise, zur Selbsterkenntnis oder, weil tatsächlich eine schwere Erkrankung vorlag?

Abgesehen davon, dass viele Studenten sich unnötig verrückt machen und mit ihren Leiden allein bleiben, hat es Konsequenzen, wenn Probleme nicht behandelt werden. Eine Heilung wird dann schwieriger, und ein frühes Ausscheiden aus dem Dienst wahrscheinlicher. Auch Philologen-Chef Meidinger sieht diese Gefahr, wenn man Hilfe verweigert. Es gebe Kollegen, die deswegen tatsächlich früh dienstunfähig würden.

Falsche Informationen verstärken die Unsicherheit. Die Münchnerin Leonie erzählt, dass sie mal einen Vortrag an der Uni besucht hat, Thema Verbeamtung. Der Referent riet den Zuhörern, dass eine Psychotherapie nach Möglichkeit nicht im Lebenslauf auftauchen sollte.

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