USA:Amerikas Schulsystem droht der Ausverkauf

Elisabeth DeVos

Bildungsministerin Betsy DeVos will mit Charter-Schulen und Voucher-Programmen das Schulsystem privatisieren.

(Foto: dpa)
  • Die neue Bildungsministerin Betsy DeVos tritt für eine Privatisierung des Schulsystems ein.
  • Ihre Qualifikation und Methoden sind umstritten.

Von Beate Wild, New Orleans

Amerikanische Schüler gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Mit Hilfe von Vizepräsident Mike Pence hat der US-Senat Betsy DeVos als Bildungsministerin bestätigt. Kaum ein anderes Mitglied in Donald Trumps Kabinett ist umstrittener als die Milliardärin aus Michigan.

Bereits bei ihrer Anhörung vor dem Senat offenbarte die 59-Jährige große Wissenslücken über das amerikanische Bildungssystem. Das Tragen von Waffen an Schulen hielt sie für notwendig, um Kinder "vor Grizzlybären zu schützen". Ihr Auftritt wurde ein Viral-Hit und führte bei ihren Kritikern zu Kopfschütteln.

Doch solche Anekdoten lenken vom eigentlichen Thema ab: DeVos, deren streng christliche Familie Schätzungen zufolge 200 Millionen Dollar an die Republikaner gespendet hat, ist in den USA vor allem für ihr Engagement für die freie "Wahl der Schule" bekannt. Unter diesem Schlagwort tritt sie in ihrem Heimat-Bundesstaat Michigan seit langem für eine Abkehr vom öffentlichen Schulsystem ein und will stattdessen Charter-Schulen und Voucher-Programme etablieren.

Charter-Schulen sind private Schulen, die vom Staat ein finanzielles Budget zur Verfügung gestellt bekommen. Der Staat zieht sich aus dem Betrieb zurück: Die Schule stellt selbständig Lehrer ein, legt den Lehrplan fest und nimmt die Erziehung der Kinder in die Hand. Die Vorgabe ist nur, dass die Schule staatlich geprüfte Lehrkräfte beschäftigen muss und die Prüfungen einen staatlich festgelegten Standard erfüllen müssen. Das Voucher-Programm geht sogar noch einen Schritt weiter: Hier verteilt der Staat Bildungsgutscheine direkt an die Schüler, die diese berechtigt, sich eine Schule ihrer Wahl, sprich eine Privatschule, zu suchen.

Charter-Schulen gibt es bereits seit den Neunzigern und haben in beiden Parteien Unterstützer. Weil viele öffentliche Schulen in einem miserablen Zustand sind, sollten sie ursprünglich mehr Wettbewerb um die Ausbildung der Kinder schaffen. Erst in den vergangenen zehn Jahren ist ihre Zahl rapide gewachsen. In 43 Staaten gibt es derzeit etwa 6500 Charter-Schulen. Tendenz steigend.

Charter-Schulen als Goldesel

DeVos, die selbst nie eine öffentliche Schule besucht hat und auch ihre vier Kinder an privaten Schulen ausbilden ließ, setzt sich bereits seit drei Jahrzehnten für die Wahlfreiheit der Schule ein. Ihre Familie gründete die rechts-konservative American Federation for Children, eine Organisation, die gegen das öffentliche Schulsystem kämpft und für seine Privatisierung eintritt.

Viele Charter-Schulen sind gemeinnützige Einrichtungen und werden von Unternehmen, Kirchen oder Hochschulen betrieben - diese Einrichtungen haben auch unter Demokraten viele Anhänger. Doch es gibt auch Charter-Schulen, die auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind - gerade in DeVos' Heimatstaat Michigan. "Die profitorientierten Modelle sind Goldesel für ihre Betreiber", sagt Bildungsexpertin Mercedes Schneider. Die 50-Jährige ist selbst Lehrerin an einer öffentlichen Highschool in Louisiana und hat gerade ihr drittes Buch zum Thema veröffentlicht.

US-Schüler schneiden bei Pisa schlecht ab

In "School Choice: The End of Public Education?" zieht sie eine Zwischenbilanz, welche Folgen die Schul-Privatisierung für amerikanische Schüler hat. Für die Expertin steht fest: "Charter-Schulen sind ein Holzweg." Die Umschichtung der Mittel in Charter Schools schwäche das öffentliche Schulsystem, ohne dass der Staat die neu geschaffenen Privateinrichtungen ausreichend kontrollieren würde. Aussagen über ein höheres Bildungsniveau seien bei genauerer Betrachtung zweifelhaft. Kritikpunkte, die auch Lehrerverbände, einige demokratische Senatoren und andere Bildungsexperten regelmäßig äußern.

Das Ziel von DeVos sei es, Kindern aus Geringverdiener-Familien zu einer besseren Schule und somit einer besseren Ausbildung zu verhelfen, argumentieren die Unterstützer der 59-Jährigen. Die öffentlichen Schulen haben in den USA einen miserablen Ruf. Bei der internationalen Pisa-Studie, bei der die Leistungen 15-Jähriger aus 72 Ländern verglichen wurden, lagen amerikanische Kinder 2015 beim Lesen auf Platz 40 (Deutschland Platz 16) und in Mathematik auf Platz 24 (Deutschland Platz 11).

Wer es sich leisten kann, steckt sein Kind von jeher auf eine Privatschule. Warum also sollten nicht auch Sprösslinge aus ärmeren Familien davon profitieren, argumentieren Charter-Befürworter. Schließlich sei es doch egal, ob das Geld der Steuerzahler in öffentliche Schulen fließe oder an private, meint auch der republikanische Senator Lamar Alexander, einer ihrer Unterstützer und der Vorsitzende von DeVos' Anhörungskomitee im Senat.

In einem Blog-Beitrag auf Medium schreibt er, Charter seien schlicht "öffentliche Schulen mit weniger Regierung und Gewerkschaftsregelungen, so dass die Lehrer mehr Freiheit beim Unterrichten haben und die Eltern bei der Schulwahl."

Privatschulen unterliegen nicht dem Einfluss der Lehrergewerkschaften. Die sind gut organisiert und, so der Vorwurf, würden eine wirkliche Bewertung von Lehrkräften bis hin zur Entlassung bei mangelndem Engagement verhindern. In der Praxis jedoch verdient das Lehrpersonal an den Charter-Schulen nun nicht nur schlechter, sondern muss auch regelmäßig viele Überstunden leisten. Charter-Schulen hätten deshalb oft ein Burn-out-Problem und eine hohe Personalfluktuation, berichtet Schneider.

Wenig staatliche Kontrolle

"Jeder, der möchte, kann eine Charter eröffnen, dazu braucht man keine besondere Qualifikation", beklagt Schneider außerdem - Vorkenntnisse über Bildung und Erziehung sind überflüssig. Ein bekanntes Beispiel ist etwa der ehemalige Tennisspieler Andre Agassi. Er eröffnete zusammen mit einem Finanzinvestor landesweit Schulen.

In anderen Bundesstaaten machten Charter-Schulen in den vergangenen Jahren durch Vetternwirtschaft Schlagzeilen: Betreiber und Rektoren vergaben Jobs oder Aufträge an Bekannte oder Verwandte - durch fehlende Transparenz- und Ethikverpflichtungen kamen die Fälle oft erst sehr viel später ans Licht.

"In fünf Jahren werden wir sehen, was wir unseren Kinder angetan haben"

Ob der Wettbewerb die Bildungsqualität steigen lässt, wie Befürworter argumentieren, ist umstritten: So haben sich die schulischen Leistungen von Viertklässlern in Michigan seit dem rapiden Anstieg von Charter-Schulen in den vergangenen zehn Jahren deutlich verschlechtert, wie das unabhängige Institut Education Trust Midwest ermittelt hat. Im Leistungsvergleich schnitten 38 Prozent der Charter-Einrichtungen schlecht ab.

Zu den Quoten der Schulabbrecher bei Charter- und Voucher-Schulen gibt es keine verlässlichen Zahlen. Es fehlt Transparenz und die nötige Kontrolle von außen, wird von Bildungsexperten beklagt.

Ein Beispiel: Yes Prep, eine Charter-Schul-Kette in Texas, rühmt sich dafür, dass es 100 Prozent ihrer Absolventen auf die Universität schaffen. Der Haken laut Schneider: "Sie sagen ihren Schülern: Wenn du es nicht auf die Uni schaffst, wirst du bei uns hier keinen Abschluss machen." Die Schüler bewerben sich also während des letzten Schuljahres für ihr Studium. Werden sie nirgendwo aufgenommen, fallen sie durch die Abschlussprüfungen und sind somit keine Absolventen. Außerdem gibt es keine offiziellen Zahlen, wie viele ehemalige Charter-Schüler, die es auf die Uni schaffen, das Studium erfolgreich zu Ende bringen.

Ein Bildungsgutschein heißt auch nicht, dass ein Schüler die von ihm favorisierte Schule besuchen kann. Elite-Schulen verlangen ohnehin höhere Schulbeiträge als mit dem Voucher abgedeckt seien. Und viele andere Privatschulen sortieren unerwünschte Kinder durch ihre Aufnahmeregelungen aus: "Sie wählen möglichst viele Schüler mit guten Noten aus, damit sie selbst bei den Schulevaluierungen gut dastehen", sagt Schneider. Schlechte Schüler habe es somit schwerer, überhaupt eine Einrichtung zu finden, die sie akzeptiert - und landen so wieder im geschwächten öffentlichen System. In der Praxis führt das Aufnahmesystem auch dazu, dass die Kinder nicht mehr eine Schule in ihrer Nachbarschaft besuchen können, sondern oft bis ans andere Ende der Stadt pendeln müssen, um zum Unterricht zu kommen. Eine Zusatzbelastung für Schüler und Eltern.

DeVos will sich bei ihrer Schulreform nach drei Prinzipien richten: Privatisierung, religiöse Erziehung und möglichst wenig staatliche Kontrolle. Ein Weg, den fast alle Republikaner und Präsident Trump bevorzugen.

"In fünf Jahren werden wir sehen, was wir unseren Kinder angetan haben", ist sich Schneider sicher. In der Arbeitswelt werde man dann bemerken, wie schlecht die Schüler ausgebildet sind. "Es wird ihnen an der Fähigkeit fehlen, kritisch und kreativ zu denken und innovativ zu sein."

Doch jetzt geht DeVos im Bildungsministerium erst einmal an die Arbeit. Trump hat im Wahlkampf schon versprochen, 20 Milliarden für Voucher bereitzustellen. Geld, das von anderen Stellen im Bildungshaushalt erst einmal abgezwackt werden muss.

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