SZ.de: Herr Roenneberg, was halten Sie vom Unterrichtsbeginn um 8 Uhr, der nach wie vor an fast allen Schulen Deutschlands Alltag ist?
Till Roenneberg: Für den ländlichen Ostrand Deutschlands ist die Uhrzeit in Ordnung - für den Rest nicht.
Der Chronobiologe Till Roenneberg ist Professor am Institut für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Das müssen Sie erklären.
Wir haben herausgefunden, dass die innere Uhr in Ost und West unterschiedlich ist. Konkret: Pro Längengrad in Richtung Westen sind die biologischen Uhren der Menschen vier Minuten später dran - das ist genau die Zeit, die die Sonne braucht, um über diesen Längengrad zu streifen. Sie werden später müde und sollten folglich auch später aufstehen können. Wenn man es rein biologisch betrachtet, können Menschen etwas früher aufstehen, je weiter im Osten sie wohnen. Und das, obwohl wir alle nach der gleichen sozialen Zeit leben.
Frühes Aufstehen ist so etwas wie ein sozialer Zwang: von wegen "Der frühe Vogel ..."
In unserer Gesellschaft zählt noch immer die Moral des Frühaufstehers - die früher durchaus ihre Berechtigung hatte. Denn als es noch kein elektrisches Licht gab und wir alle draußen gearbeitet haben, galt: Wer abends nicht einschlafen kann und morgens Probleme mit dem Aufstehen hat, der hat gesundheitliche Probleme. Heutzutage haben wir alle einen viel zu geringen Zeitgeberkontrast - das ist der Licht-Dunkelheit-Wechsel, der unserer inneren Uhr sagt, wo es lang geht.
Und draußen arbeiten auch die wenigsten von uns, Schüler schon gar nicht.
Korrekt. Tagsüber sind wir immer drinnen und bekommen um den Faktor 100 bis 1000 weniger Licht, als wir es unter freiem Himmel bekämen. Und dann machen wir uns abends auch noch viel Licht im heimischen Wohnzimmer. Das wäre eigentlich gar nicht so hell. Da wir aber gar nicht draußen waren, empfindet das Gehirn es als relativ hell.
Was folgt daraus?
Ein Beispiel: Eine Nachttischlampe stört die innere Uhr eines Landwirts überhaupt nicht, der hat ja den Großteil des Tages im natürlichen Licht bei bis zu 150 000 Lux verbracht. Dagegen jemand, der im Büro vielleicht 100 Lux abbekommt, dessen innere Uhr lässt sich von den fünf Lux der Nachttischlampe beeinflussen. Durch diese Lichtproblematik werden wir im Endeffekt immer später müde und können dementsprechend morgens nicht aufstehen. Untersuchungen zeigen, dass 85 Prozent der Deutschen einen Wecker brauchen, um einem 9-Uhr-Job nachgehen zu können.