Süddeutsche Zeitung

Unterricht:Wie viel Antisemitismus steckt in deutschen Schulbüchern?

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Antisemitische Zeichnungen sollen abschreckend auf Schüler wirken, können aber auch Klischees reproduzieren. Der Präsident des Zentralrats der Juden erhebt schwere Vorwürfe.

Von Paul Munzinger

Die Autoren und Verleger von Schulbüchern tragen eine große Verantwortung. Sie müssen die großen Linien in Form und Inhalt übersetzen, die Bildungspolitiker für den Unterricht festlegen. Ihre Bücher sind für Schüler häufig der erste Kontakt mit den Dingen, die sie fürs Leben lernen sollen; was hier steht, prägt ihren Blick auf die Welt. Geht es um das Bild jüdischer Geschichte und jüdischen Lebens, dann werden sie dieser Verantwortung nach Ansicht von Josef Schuster nicht immer gerecht. In Schulbüchern, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden der Nachrichtenagentur dpa, gebe es "zuweilen Bilder, die von antisemitischen Stereotypen geprägt sind". Sie erinnerten damit eher an den Stürmer, "als dass sie eine sachliche Darstellung bieten würden".

Es ist ein schwerer Vorwurf, den Schuster erhebt - zu schwer aus Sicht von Lehrern und Wissenschaftlern, die sich mit dem Thema beschäftigen. Dass Schuster den Stürmer - das berüchtigtste antisemitische Hetzblatt der Weimarer Republik und der NS-Zeit - als Vergleich heranzieht, halte er für "völlig übertrieben", sagt Ulrich Bongertmann, Vorsitzender des Verbands deutscher Geschichtslehrer. Dabei hält auch er die Darstellung von Juden in Schulbüchern für verbesserungswürdig. Immer wieder, sagt er, tauchten antisemitische Klischees auf. Zudem gebe es die Tendenz, Juden als Opfer darzustellen - und nicht als Akteure der deutschen Geschichte.

Ghettos, Geld und gelber Fleck

Martin Liepach, Geschichtslehrer und Forscher am Pädagogischen Zentrum des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt, spricht mit Blick auf Schuster von einer "radikal pointierten Aussage", der er nicht zustimme. Doch auch Liepach hat viel zu beanstanden, wenn es um das Bild geht, das Schulbücher von der jüdischen Geschichte zeichnen. Die Darstellung von Juden im Mittelalter etwa sei bestimmt von den "drei G": Ghettos, Geld, gelber Fleck.

Juden tauchten in erster Linie als Geldverleiher auf, die sowohl räumlich als auch mit symbolischer Kennzeichnung auf der Kleidung an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden seien. "Das sind Klischees, die nicht zutreffen", sagt Liepach. Die Jahrhunderte zwischen Mittelalter und NS-Herrschaft würden häufig ausgespart.

Auch die Darstellung des Antisemitismus, sagt Liepach, sei "häufig nicht gelungen". Das gelte besonders für die Verwendung antisemitischer Bilder und Zeichnungen, etwa aus dem Stürmer. In manchen Büchern herrsche die Annahme, dass es reiche, diese zu zeigen, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen. "Das reicht aber nicht", sagt Liepach. Die Arbeitsaufträge in den Büchern müssten die Schüler anhalten, den Kontext einzubeziehen und die Bilder zu "dekonstruieren". Häufig aber beschrieben die Schüler die Bilder nur - und reproduzierten so die darin enthaltenen judenfeindlichen Klischees.

An solchen Fällen entzündet sich auch Schusters Kritik. In vielen Schulbüchern werde "gerade beim Thema Nationalsozialismus und Schoah" die Perspektive der Täter eingenommen; antisemitische Darstellungen der NS-Propaganda würden zum Teil kaum eingeordnet. Der Zentralrat nennt auf Nachfrage ein Beispiel: Das Plakat zur Ausstellung "Der ewige Jude", die von 1937 an in mehreren deutschen Städten zu sehen war, sei in einem Buch der Westermanngruppe sowie in zwei Büchern des Klett-Verlags "ohne entsprechende Einordnung" abgebildet; die Bücher stammten aus den Jahren 2007 und 2009.

Beide Verlage wiesen die Kritik auf Anfrage zurück. Antisemitische Propagandabilder würden in ihren Kontext eingebettet. Von Westermann hieß es zugleich, man teile die Einschätzung, dass wenig Raum bleibe, um die jüdische Kultur darzustellen. Doch für die Inhalte seien die Lehrpläne der Bundesländer verantwortlich.

Schuster räumt ein, dass inzwischen "neue und verbesserte Auflagen produziert" worden seien; doch die alten Schulbücher fänden sich oft noch viele Jahre lang in den Schulen. Das bestätigt Dirk Sadowski, der am Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung in Braunschweig arbeitet; zudem koordiniert er die deutsch-israelische Schulbuchkommission, die das Israelbild in deutschen und das Deutschlandbild in israelischen Schulbüchern untersucht. Gemeinsam mit Martin Liepach hat Sadowski 2015 den Band "Jüdische Geschichte im Schulbuch" herausgegeben, auf den der Zentralrat sich bezieht. Eine neuere Untersuchung, die die Entwicklung seither miteinbezieht, soll folgen.

Der Zentralrat empfiehlt eine Alternative: die Materialsammlung zur Vermittlung des Judentums, die Lehrer online nutzen können. Sie geht zurück auf eine Vereinbarung des Zentralrats und der Kultusministerkonferenz, die 2016 aus der Kritik am Bild des Judentums im Unterricht entstanden war. Dessen Geschichte, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung, sei "mehr als eine Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Opfergeschichte".

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SZ vom 21.08.2018
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