Schon ein Wort genügte. Da sprach der Professor einmal über die Rechte der Frauen in der alten Bundesrepublik und merkte an, dass der Ehemann ihnen selbständige Arbeit verbieten und ihre Stelle kündigen konnte. Sein Fazit: "Eigentlich ungeheuerlich".
Nach Ansicht der Studenten ergab die Abschwächung durch das Wort "eigentlich" keinen Sinn. Sie sage stattdessen viel aus über den Politikwissenschaftler Herfried Münkler und zeige, wes Geistes Kind der Professor sei: ein Sexist, Rassist und Kriegstreiber. Eine anonyme Studentengruppe hatte die Vorlesungen Münklers an der Berliner Humboldt-Universität zuvor dokumentiert und entsprechend stark bewertet.
Viele Professoren blicken bange auf "Shitstorms"
Das Prinzip ist neu für die universitäre Welt: Aus der Halböffentlichkeit des Hörsaals wird die größtmögliche Bühne. Das versetzt Professoren in Sorge. Wie sehr, das zeigt die Januar-Ausgabe der Zeitschrift Forschung & Lehre, herausgegeben von der Professoren-Gewerkschaft DHV. Der Rechtsprofessor Josef Franz Lindner von der Uni Augsburg blickt darin bange auf "Shitstorms" gegen Professoren: digitale Pranger, "die im Schutze der Anonymität ihre zerstörerische Wucht entfalten".
Sachliche Bewertungsportale müsse ein Professor dulden, heißt es. So muss eine bayerische Physikerin wohl damit leben, dass über sie in einem Studentennetzwerk zu lesen ist: Sie habe "absolut keine Ahnung, was sie da tut, Herleitungen sind schlecht und oft falsch. Die Klausur war extrem unfair korrigiert". Wenn der Beitrag nicht nur Rache ist, vielleicht nützt die Kritik.
Anders, so Lindner, sei das bei Netzwerken mit "ehrverletzenden Bewertungen", noch dazu anonym. Der Fall Münkler sei nur ein Beispiel dieses Phänomens. "Erbärmliche Feiglinge" nannte der Angegriffene die Blogger im Sommer. Sie hielten dagegen, heutzutage sei "das Vertreten einer Meinung leider nicht sehr karrierefördernd". Kritik, kurz gesagt, gefährde die Abschlüsse.
"Da brach ein digitales Gewitter über uns ein"
Verschiebt die digitale Bühne nun die Machtverhältnisse? Die Spielregeln der Kommunikation ändern sich, sagt der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. "Das erleben hierarchische Institutionen in besonders direkter und manchmal schmerzhafter Weise." Autorität, etwa die eines Professors, könne schnell und für alle sichtbar umstritten sein, es bildeten sich "Wutgemeinschaften".
Doch was tun? In der Causa Münkler hatte jede Gegenrede des Angegriffenen dem Blog mehr Bekanntheit beschert. Als Paradebeispiel für die Ohnmacht der Unis gelten die Studentenproteste 2009: Ein Funke im Netz löste sie aus, dort wurden Hörsaalbesetzungen organisiert, vom heimischen Sofa aus konnte man mit protestieren. "Da brach ein digitales Gewitter über uns ein", erinnert sich ein Uni-Sprecher. "Beschwichtigen hat das nur angestachelt. Es lässt sich nicht wirklich gegensteuern."
Genau das jedoch müssten Universitäten tun, mahnt der Jurist Lindner: Es greife die "Fürsorgepflicht" des Dienstherrn, dieser "darf den Konflikt nicht dem medialen Spiel der Meinungskräfte überlassen". Wie das gelingen kann, ist offen. Und noch etwas kommt hinzu, viele Forscher drängen selbst in die Öffentlichkeit, sie sitzen in Talkshows und schreiben Bücher. In der medialen Arena gilt: Wer Thesen aufstellt, der muss mit Contra rechnen.