United World College in Freiburg:Die Anti-Elite-Schule

25 000 Euro kostet das United World College in Freiburg pro Schuljahr. Das klingt nach Elite-Einrichtung. Doch der Rektor der internationalen Schule mit Friedensmission betont: "Bei uns können sich Eltern keinen Platz kaufen." Ein Besuch.

Von Max Hägler, Freiburg

Klein ist das Vögelchen und offensichtlich geht es ihm nicht gut. Es flattert, fliegt zu Boden. Yarden steht in der Tür zur Mensa und blickt verzweifelt. Vielleicht ist der Flügel gebrochen? Laurence Nodder dreht sich, ruft: "Try to help!" Das Mädchen schaut zu ihrem Rektor, legt den Vogel behutsam in die Hände und geht, um einen ruhigen Platz zu suchen und zu helfen, wie sie es eben kann und wie es ihr Stundenplan zulässt.

Es ist Mittag im alten Kartäuserkloster am Stadtrand von Freiburg. Einer der ersten Tage des UWC, des United World College Robert Bosch. An diesem Dienstag wird es offiziell eingeweiht. Überall wird noch geschraubt und gebaut, Lastwagen kurven umher. Dazwischen 100 junge Menschen aus 70 Ländern, die sich vorher nicht kannten. Und dann noch verunfallte Vögel. Stress. Doch Rektor Nodder bleibt völlig ruhig. "Wir müssen noch improvisieren", sagt er, "aber es passiert ja auch etwas Großes: Hier entsteht eine ganz neue Schule!"

Natürlich, es gibt internationale Schulen, die ebenfalls in zwei Jahren auf ein "International Baccalaureate" hinführen, auf ein internationales Abitur. Und manche liegen dabei vielleicht ähnlich schön wie diese Schule, mit grasenden Schafen am Zaun und einer wunderbaren Aussicht auf Wälder. Und es gibt sicher auch andere Internate, die 25 000 Euro im Jahr kosten.

"Outstanding" muss man sein, herausragend

Aber nirgendwo anders legt man neben der formalen Ausbildung so sehr Wert auf ein großes Ziel: Die jungen Menschen sollen jetzt und später im Leben mitwirken an "einer friedlichen, gerechten und nachhaltigen Zukunft". So steht es in der Satzung. Und an keinem anderen Top-Internat dürften die Schüler wohl so energisch und auch ein wenig empört den Kopf schütteln, wenn man fragt, ob das hier der Inbegriff von "Elite" ist? Die jungen Leute, die an diesem Mittag am Tisch sitzen mit dem Rektor, sind jedenfalls größtenteils nicht einverstanden mit diesem Begriff. Elite, das klinge nach sozialer Auslese. Aber das ist das UWC eben nicht. "Bei uns können sich Eltern keinen Platz für ihre Kinder kaufen, keine Chance", sagt Nodder.

Das College hat andere Kriterien, als den Geldbeutel von Müttern und Vätern. Was hier zählt: outstanding muss man sein, herausragend. Immer wieder hört man das Wort. Die Noten sollten natürlich ordentlich sein. Vielmehr geht es aber um Charakter und Persönlichkeit. "Mich interessiert, was diese jungen Leute mit ihren Chancen angestellt haben, die sie bisher im Leben hatten", sagt Nodder, ein 55-jähriger Südafrikaner, der vor dem Apartheidssystem nach Swasiland geflohen war und dort schon ein UWC leitete.

Cesar kann das erzählen, er hat gerade eine Freistunde. 16 Jahre ist er alt, kommt aus einem 300-Seelen-Dorf in Guatemala, ein hilfsbereiter Schüler, Sieger einer Matheolympiade. Seine Mutter ist Schneiderin, sein Vater auf dem Bau beschäftigt. Seine Lehrer daheim hatten vom UWC gehört und sagten zu ihm: Bewirb dich! Dann siehst du die Welt! Er machte es und wurde zugelassen, weil er klug und neugierig sei, so die Jury. Das Schulgeld ist ihm erlassen, der Flug wurde gezahlt, für die Versicherungen kommt das College auf. Cesar ist mit seinem Stipendium kein schmückender Einzelfall.

In Deutschland schafft nur jeder Zehnte das Auswahlverfahren

Wer als junger Mensch Teil werden will von der Idee des UWC, der muss ein Auswahlverfahren durchlaufen mit Gesprächen und Gruppenaufgaben. Und wenn einer genommen wurde - in Deutschland schafft es nur jeder zehnte Interessent -, dann erst wird überlegt, wie viel zu zahlen ist. Die Jury schaut die Einkommensverhältnisse durch oder spricht im Zweifel auch mit den Eltern - bei Cesar stellte sich eben heraus: Er muss fast nichts zahlen, so wie 60 Prozent der UWC-Schüler.

Auf diese Weise kommen hier ganz unterschiedliche Menschen zusammen: Cesar, deutsche Mittelschichtkinder, ein Mädchen aus Myanmar, deren Eltern in der alten Militärjunta aktiv waren - oder Sanele aus Swasiland, dessen Mutter tot ist und der seinen Vater kaum kennt. Und manchmal werden Menschen dazugeholt, die eigentlich vergessen sind.

Wie einst Salathiel, ein Waisenkind aus Burundi, das in einem Flüchtlingscamp groß wurde und durch alle Tests fiel. "Aber er hatte ein Funkeln in den Augen", erinnert sich Nodder an einen früheren Schüler. "Wir sagten: Zur Hölle mit den Tests, der Junge ist dabei!" Vor Kurzem schrieb Salathiel, mittlerweile Alumnus, seinem alten Rektor eine SMS: Er sei gerade mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon beim Essen gewesen.

Die Welt ein bisschen besser machen wollen

Menschen kennenlernen, die eigene Perspektive wechseln, Großes leisten, Verantwortung übernehmen, die Welt ein bisschen besser machen wollen, das treibt auch die Schülergeneration an, die jetzt in Freiburg zusammengekommen ist.

Die Idee zu diesem ganz besonderen Oberstufenkolleg hatte ein Deutscher, der Reformpädagoge Kurt Hahn, der auch das Internat Schloss Salem mitgründete. In den Sechzigerjahren, im Kalten Krieg, wollte er mit grenzüberschreitender Erziehung die Welt ein bisschen friedlicher machen, baute in Wales das erste UWC. 13 gibt es mittlerweile und nun das erste in Deutschland, möglich gemacht mit 40 Millionen Euro vom Robert-Bosch-Konzern und seiner Stiftung sowie Geld von weiteren Firmen und vom Land.

Die Landesregierung nannte die Schule beim Spatenstich "eine große Chance": Für die Jugendlichen sei das UWC "die perfekte Vorbereitung auf die globalisierte Welt", für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg "eine tolle Möglichkeit zur globalen Vernetzung". Viel Geld also und hohe Erwartungen.

Rektor Nodder ist zuversichtlich, dass seine Truppe niemanden enttäuschen wird: "Wir haben hier gute Lehrer und 100 tolle, junge Leute versammelt." Yarden, Israelin übrigens, läuft an ihm vorbei. "Wie geht's dem Vögelchen", fragt er. Besser, sagt die Schülerin und strahlt. - "Danke."

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