Unigespräche:"Namen sind wie Konservenbüchsen"

Unigespräche: Ihr Name hat nichts mit "Merken" zu tun: Kanzlerin Angela Merkel.

Ihr Name hat nichts mit "Merken" zu tun: Kanzlerin Angela Merkel.

(Foto: AP)

Dietlind Kremer betreibt an der Uni Leipzig Namenforschung. Im Gespräch erklärt sie, warum der Forschungszweig an ihrer Uni vermutlich bald stirbt - und weshalb die Kanzlerin so heißt, wie sie heißt.

Interview von Matthias Kohlmaier

In den Unigesprächen befragen wir Forscher und Hochschullehrer, die sich mit einem sehr speziellen Fachgebiet beschäftigen. Diesmal im Interview: Dietlind Kremer, Namenforscherin und Leiterin der Namenberatungsstelle an der Universität Leipzig.

SZ.de: Frau Kremer, was sagt Ihnen mein Nachname über meine Familiengeschichte?

Dietlind Kremer: Die Herkunft Ihrer Familie lässt sich wegen der Schreibweise des "Maier" klar in Süddeutschland verorten. Die Varianten "Meier" und "Meyer" sind in Mittel- und Norddeutschland gebräuchlicher. "Maier", eine Berufsbezeichnung, die prinzipiell eine Art Aufseher beschreibt und vom lateinischen major kommt, gab und gibt es aber viele. Darum hat es sich zu früheren Zeiten eingebürgert, dem noch ein Attribut beizustellen, um die Menschen besser unterscheiden zu können. Im Zusammenhang mit dem Gemüse in Ihrem Namen dürfte einer Ihrer Vorfahren als Großbauer im Auftrag des Lehensherren die Aufsicht über Felder oder Plantagen gehabt haben, auf denen vorwiegend Kohl angebaut wurde.

Was hat Sie an Namen so interessiert, dass Sie in diesem Forschungszweig gelandet sind?

Um ehrlich zu sein: nichts. Nach Abschluss meines Forschungsstudiums 1987 an der damals noch so benannten Karl-Marx-Universität Leipzig war ich aus Sicht der damals noch Verantwortlichen nicht vermittelbar in meinem eigentlichen Beruf, der Erwachsenenbildung für Fremdsprachen. Ich bin ein Pfarrerskind, das war politisch in der DDR nicht gerade ein Karrieresprungbrett. Also wurde ich innerhalb der Uni notversetzt in den einzigen Bereich, wo es keine Lehre gab: die Namenforschung.

Nach dem Ende der DDR sind Sie Ihrem Fachgebiet dennoch treu geblieben.

Ja, ich habe mich dann tatsächlich sehr schnell dafür begeistert und bin das nach bald 30 Jahren Forschertätigkeit noch immer. Namen überliefern als Sprach- und Zeitzeugen so vieles, von der Herkunft über Berufe wie in Ihrem Fall bis hin zur Siedlungsgeschichte. Aus sprachlicher Sicht sind Namen wie Konservenbüchsen: Sie konservieren alte Wörter, die kaum noch im aktiven Sprachgebrauch sind, aber trotzdem erhalten bleiben.

Interessieren Sie sich für Vor- und Nachnamen gleichermaßen?

Prinzipiell ja, wobei ich finde, dass der Vorname der wichtigere und individuellere Bestandteil ist. Familiennamen kann man während eines Lebens, bei Frauen ist das ja fast die Regel, mehrere haben. Der Vorname aber bleibt bestehen.

Unterscheiden sich Vor- und Nachname bei der Erforschung?

Die Herangehensweise ist erst einmal ähnlich, man schaut sich Häufigkeit und regionale Verteilung an. Die Motive unterscheiden sich dann aber sehr stark, wenn wir Fragen beantworten wollen wie: Warum haben die Menschen aus einer bestimmten Gegend in Bayern vor mehr als 500 Jahren genau diesen Nachnamen bekommen? Und warum häuft sich bei Neugeborenen in Hamburg seit ein paar Jahren plötzlich ein spezieller Vorname?

Migration nach Deutschland und die Folgen für die Namensgebung hierzulande muss ein interessantes Thema für Sie sein.

Ich bereite tatsächlich gerade gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Namenforschung eine internationale Tagung zum Thema "Fremde Namen im Deutschen" vor. Für uns Namenforscher haben der Zuzug und damit die neuen kulturellen Einflüsse auf die Namensgebung diverse Folgen - man braucht plötzlich Kenntnisse des Arabischen, Persischen oder afrikanischer Sprachen, um beraten und forschen zu können.

Migration: "Die Namenwelt wird garantiert bunter werden"

Werden klassisch deutsche Namen durch die neuen kulturellen Einflüsse in der Zukunft immer mehr verschwinden?

Die Vornamengebung hat sich ja schon seit den 70er Jahren massiv verändert und ist immer internationaler geworden. Auch deshalb sind germanisch-altdeutsche Namen wie meiner fast ausgestorben. Mit der weiteren Internationalisierung wird die Namenwelt garantiert noch deutlich bunter werden. Durch die Zu-uns-Kommenden werden bislang kaum bekannte Namen bestimmt auch bald von anderen Familien gegeben werden - aus Forscherperspektive werden die nächsten Jahrzehnte hier sehr aufregend.

Neben der Forschung sind Sie auch Hochschullehrerin. Worum geht es in Ihren Lehrveranstaltungen?

Im Wahlbereich der Geistes- und Sozialwissenschaften kann man in Leipzig drei Module besuchen: Einführung in die Namenforschung, Einführung in die Personennamenforschung und Einführung in die Ortsnamenforschung. Ich nehme pro Modul 30 Studenten auf, es bewerben sich meist aber zumindest im Einführungsmodul um die 300 - wir müssen also losen. Die Studienrichtungen der Studenten sind sehr unterschiedlich: Im vergangenen Semester hatten wir Kommunikations- und Medienwissenschaft, Westslawistik, Geschichte, Romanische Studien, Sinologie, Amerikastudien, Anglistik, Archäologie, Deutsch als Fremdsprache, Linguistik, Ostslawistik und Kunstgeschichte. Mir macht das viel Spaß, weil jeder mit der Perspektive seines Fachbereiches etwas zu Diskussionen beisteuern kann.

Es scheint, als dürfte die Namenforschung in Leipzig noch eine Weile bestehen bleiben.

Auf jeden Fall hat das Fach hier eine große Tradition, rund 60 Jahre wird schon zu Namen geforscht. Leider hat die Universität Leipzig 2008 die deutschlandweit einzige Professur für Namenforschung nicht erhalten wollen. Als kleines Orchideenfach haben wir das nicht verhindern können. Fairerweise muss ich aber auch sagen, dass die Uni Leipzig und speziell die Philologische Fakultät mich weiterhin wie eine Professur ausstattet. Es müsste aber wohl ein großes Wunder passieren, wenn nach 2028 an der Uni Leipzig noch Namenforschung betrieben werden soll.

Warum das?

Dann werde ich pensioniert - und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Stelle nachbesetzt wird und das Fach erhalten bleibt.

Zurück in die Praxis. Ich habe drei Namen bekannter Persönlichkeiten herausgesucht und würde Sie um eine kurze Analyse bitten. Nummer eins: Til Schweiger.

Das ist ein Übername für jemanden, der stumm ist. Da wurde ein Mensch nach seiner Eigenart bezeichnet - wobei nicht sicher ist, ob derjenige einfach nur kein Schwätzer war oder etwa wegen einer Behinderung nicht sprechen konnte.

Etwas komplizierter scheint mir die Analyse zu Bastian Schweinsteiger.

Das ist kein sprechender Name, sondern eine Herkunftsbezeichnung. In der Nähe von Rosenheim (Bastian Schweinsteiger stammt tatsächlich aus Kolbermoor bei Rosenheim; Anm. d . Red.) gab es mehrere Siedlungen namens Schweinsteig, dort gab es mit ziemlicher Sicherheit auch Schweineställe. Wer von dort kommt, heißt folglich Schweinsteiger.

Und zuletzt Kanzlerin Angela Merkel.

Das hat nichts mit Merken zu tun, sondern ist ein Familienname, der sich aus einem Rufnamen ableitet. Es handelt sich um eine Kurzform des Vornamens Markwart oder Markhard, die Endung -el deutet auf eine Koseform hin. Ein Vorfahre des ersten Ehemanns der Kanzlerin wurde also vor einigen Hundert Jahren als "Sohn des Markwart" gerufen.

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