Unigespräche:"Es ist nicht ungefährlich, öffentlich Sorbisch zu sprechen"

Fronleichnamsprozession

Sorbische Brautjungfern, die "Družki", gehen im sächsischen Crostwitz (Chrósćicy) an der Spitze einer Fronleichnamsprozession (Archivbild).

(Foto: dpa)

Eduard Werner ist deutschlandweit der einzige Professor für die Minderheitensprache Sorbisch. Ein Gespräch über das deutsch-slawische Kulturgefälle und Sachsens Ministerpräsident Tillich.

Interview von Matthias Kohlmaier

In den Unigesprächen befragen wir Forscher und Hochschullehrer, die sich mit einem sehr speziellen Fachgebiet beschäftigen. Diesmal im Interview: Eduard Werner, Professor für Sorabistik und Sorbische Sprachwissenschaft sowie Leiter der Forschungsstelle für Minderheitensprachen an der Universität Leipzig.

SZ.de: Herr Werner, Ihre E-Mails sind verwirrend.

Eduard Werner: Warum?

Laut Mailadresse heißen Sie Edward Wornar, Sie unterzeichnen aber mit Eduard Werner.

Das eine ist eben mein sorbischer Name, das andere mein deutscher. Je nachdem, mit wem ich kommuniziere, unterschreibe ich entsprechend. In meinem Personalausweis steht aber Eduard Werner.

Sie sind deutschlandweit der einzige Professor für Sorabistik. Wie sind Sie zu der Stelle gekommen?

Ich habe Slawistik und Indogermanistik studiert und schon während meiner Doktorarbeit eine Stelle in der sprachwissenschaftlichen Abteilung des sorbischen Instituts bekommen. Nach Promotion und Habilitation habe ich dann 2003 den Ruf an die Universität Leipzig bekommen.

Viele Orchideenfächer müssen um ihren Fortbestand an den Universitäten kämpfen. Wie sieht das in der Sorabistik aus?

Wir haben einen großen Vorteil, da wir nicht nur den Nachwuchs für die Sorabistik ausbilden, sondern auch Sorbischlehrer. In Sachsen und Brandenburg hat die sorbische Minderheit ein Recht auf adäquaten Sprachenunterricht an den Schulen, es werden sogar mehr Lehrer gebraucht als wir ausbilden können. Ein Nachwuchsproblem haben wir definitiv. Daher können mittlerweile auch Nullsprachler das Studium bei uns beginnen, das setzt aber eine Menge Motivation und Fleiß voraus.

Sorbisch ist aber nicht die einzige Sprache, die an Ihrem Institut gelehrt wird.

Wir bieten auch den Bachelor-Studiengang "Europäische Minderheitensprachen" an. Da spielt das Sorbische natürlich eine Rolle, wir haben auch einen keltologischen Zweig. Das ist auch deshalb möglich, weil wir einen von der Republik Irland finanzierten Irischlektor am Institut haben. Zudem gibt es noch an unserer Fakultät Lektoren für Baskisch, Katalanisch und Galicisch. Wir versuchen, das alles im Bachelor unter einen Hut zu bringen.

Dabei lehren Sie persönlich ja bereits zwei Sprachen. Wie unterscheiden sich Ober- und Niedersorbisch?

Da ist schon ein deutlicher Unterschied, ungefähr so wie zwischen Deutsch und Niederländisch. Als Slawische Sprachen sind Ober- und Niedersorbisch am engsten mit Polnisch, Tschechisch und Slowakisch verwandt. Wobei sich die beiden sorbischen Sprachen einige etwas altertümliche Eigenheiten bewahrt haben. Neben Singular und Plural gibt es zum Beispiel einen dritten Numerus, den Dual, der zwei Gegenstände beschreibt. Die meisten slawischen Sprachen kennen auch nur eine Vergangenheitsform. Im Obersorbischen gibt es vier.

Als Lerner wäre ich jetzt etwas abgeschreckt.

Sie brauchen natürlich nicht von Beginn an alle Zeitformen. Und später macht es einen gewissen Reiz aus, dass man im Sorbischen viele Dinge präziser formulieren kann als in anderen Sprachen.

Ansehen: Tschechen vor Polen vor Sorben

Welche und wie viele Studenten kommen zu Ihnen, um Ober- und/oder Niedersorbisch zu erlernen? Und was können sie mit dem Studium, vom Lehrberuf abgesehen, später anfangen?

In diesem Semester haben wir zwei Studienanfänger im Bachelor Sorabistik, drei für Sorbisch Lehramt und zwei im Bachelor Minderheitensprachen. Insgesamt dürften wir etwa 30 Studierende haben. Die weitaus meisten sind tatsächlich Lehramtsstudenten. Die sind gewöhnlich Muttersprachler und beginnen ihr Studium, falls sie aus Sachsen kommen, bereits mit einer Anstellungsgarantie. In der Sorabistik und den Minderheitensprachen beherrschen die wenigsten Studenten die Sprache von Beginn an perfekt. Für uns ist das sehr wichtig, weil solche Leute immer eine frische Perspektive mitbringen. Unser Hauptproblem ist ohnehin weniger die Sprache selbst, sondern eher das geringe Prestige, das sie derzeit hat.

Woran zeigt sich das?

Zum Beispiel daran, dass der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich niemals vor der deutschen Öffentlichkeit ein Grußwort auf Sorbisch sprechen würde. Für andere sorbische Landtagsabgeordnete gilt dasselbe. Vor einiger Zeit hat ein selbsternannter Retter der sächsischen Kultur im Radio sinngemäß gesagt, dass es ihm lieber wäre, wenn der Ministerpräsident aus Sachsen stammen würde.

Stanislaw Tillich ist gebürtiger Sachse.

Richtig. Aber er ist auch Sorbe, und das scheint die Menschen zu verwirren. Als Sorbe habe ich die Erfahrung gemacht: Es ist nicht ungefährlich, in der Öffentlichkeit Sorbisch zu sprechen! Mir sind Fälle bekannt, wo jungen Sorben zum Beispiel nach einem Discobesuch gezielt aufgelauert worden ist. Und ich musste auch schon einmal die Beine in die Hand nehmen, nachdem ich auf der Straße offenbar zu laut Sorbisch gesprochen hatte. Darum lassen viele das Sorbischsprechen in der Öffentlichkeit lieber bleiben. Auch in den meisten Beziehungen zwischen sorbischen und deutschen Muttersprachlern ist das Sorbische sehr schnell weg. Dass der deutsche Partner die Sprache toleriert und sogar erlernt, kommt nach meiner Erfahrung eher selten vor.

Ist das geringe Renommee des Sorbischen auch historisch begründet?

Es hat auf jeden Fall mit dem deutsch-slawischen Kulturgefälle zu tun, das wohl gegenüber den Sorben sehr stark ausgeprägt ist. Meine subjektive Wahrnehmung ist: Die Tschechen sind höher angesehen als die Polen und die Polen sind höher angesehen als die Sorben. Auch das hat dazu geführt, dass es deutschlandweit nur noch ein paar Tausend Sorbisch-Muttersprachler gibt.

Dennoch wollen viele Studenten die Sprache bei Ihnen erforschen. Sie hatten noch nicht erklärt, wohin das Studium führt?

Viele verschlägt es an eine sorbische Institution, wo Sprachkundige gebraucht werden. Prinzipiell können alle Absolventen nach dem Studium fachnah arbeiten, wenn sie das denn wollen. Da sind wir definitiv in einer Situation, von der ein Slawistik- oder Romanistikstudent hierzulande nur träumen kann. Trotzdem haben wir das Studium der Minderheitensprachen dazugenommen, um den jungen Leuten mehr berufliche Perspektiven bieten zu können. Die Studenten sollen auch andere Optionen haben, als bereits in Sachsen oder Brandenburg geborene Sorabisten irgendwo "zu Hause" einen Job zu bekommen.

Gehen dennoch die meisten Absolventen in die Forschung?

Natürlich streben viele eine wissenschaftliche Karriere an. Ein Sorabistik-Absolvent kann aber auch als Journalist bei einer sorbischen Tageszeitung arbeiten oder in Projekten zur Revitalisierung der Sprache. Die Beschäftigungsfelder sind vielfältig, aber für Sorabisten eben weitgehend auf Ober- und Niederlausitz beschränkt. Wer international arbeiten möchte, etwa in Irland, Wales oder Spanien, sollte daher lieber den Bachelor in Minderheitensprachen machen.

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