Unicef-Studie zu Informationsarmut:"Ohne Computer wissen wir gar nichts"

Unicef-Studie zu Informationsarmut: Computerschulung in Nairobi: Die Mädchen stammen aus den Slums der Stadt und bekommen kostenlos Unterricht, Bücher und Essen.

Computerschulung in Nairobi: Die Mädchen stammen aus den Slums der Stadt und bekommen kostenlos Unterricht, Bücher und Essen.

(Foto: Simon Maina/AFP)
  • 346 Millionen Jugendliche in Entwicklungs- und Schwellenländern, insbesondere in Afrika, sind laut einer Studie von Unicef abgeschnitten vom digitalen Informationsfluss.
  • Das verschärft die weltweite Ungleichheit, kritisiert das Kinderhilfswerk.
  • Für die Unicef-Studie haben Wissenschaftler auch beobachtet, wie intensiv junge Menschen die Technik nutzen.

Von Ulrike Heidenreich

Armut, das ist gemeinhin Mangel an Essen, Kleidung oder an anderen Dingen des täglichen Lebens. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen hat diesen Begriff nun erweitert: um die Informationsarmut. Jugendliche, die nicht online gehen können, sind die neuen Verlierer, stellen die Unicef-Berichterstatter in ihrer groß angelegten Studie fest. Sie wird an diesem Montag in New York präsentiert.

Das Internet hat das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen weltweit massiv verändert. So können viele Kinder mangelnde Schulbildung und drohende Armut durch das Internet überwinden. Gleichzeitig verschärft die Digitalisierung die Ungleichheit laut Unicef dramatisch. Kinder aus armen Familien geraten wesentlich schneller als bisher ins Hintertreffen. "Der Zugang zum Netz hilft benachteiligten Jugendlichen, ihre Fähigkeiten zu entfalten und Armut zu verringern", sagt Rudi Tarneden von Unicef Deutschland. Gleichzeitig vertiefe die rapide Entwicklung der Digitalisierung die schon vorhandene Kluft zwischen armen und nicht-armen Familien und Gesellschaften.

346 Millionen Jugendliche in den Entwicklungs- und Schwellenländern, insbesondere in Afrika, sind laut Unicef komplett abgeschnitten vom digitalen Universum. Es handelt sich geschätzt um 29 Prozent der jungen Menschen weltweit. In Afrika sind drei von fünf Heranwachsenden zwischen 15 und 24 Jahren offline. Zum Vergleich: In Europa beträgt das Verhältnis 1 zu 25.

Dabei geht es nicht nur um die Hardware, sondern auch um sprachliche Barrieren: 56 Prozent aller Webseiten sind heute auf Englisch - selbst wenn Heranwachsende Zugang zum Netz haben, verstehen sie die Inhalte oft nicht. Oft sind die Inhalte auch nicht auf sie zugeschnitten, sie finden keine Themen, die wirklich mit ihrem Leben zu tun haben. Wie viele Webseiten zum Beispiel beschäftigen sich damit, dass Kinder drei Stunden am Tag laufen müssen, um Wasser für ihre Familie zu holen?

Unicef fordert: Internetzugänge müssen für alle erschwinglich sein

Das Interesse an Wissen scheint bei allen Kindern gleich zu sein, die Chancen, aufs Internet zuzugreifen, aber sind es nicht. "Manchmal möchte ich online gehen, aber es ist niemand da, der mir dabei hilft und es mir zeigt", sagt ein zwölfjähriges Mädchen aus der Zentralafrikanischen Republik. "Es gibt keinen technischen Zugang", klagt ein Junge, 15, der in einem Flüchtlingslager in Jordanien lebt. Oder: "Ich muss das iPad mit der ganzen Familie teilen, ich habe es ganz wenig für mich."

Jeder dritte Internet-Nutzer weltweit ist heute jünger als 18 Jahre. Doch bisher werde zu wenig getan, um Heranwachsende vor den Gefahren zu schützen und ihnen sicheren Zugang zu qualitativ hochwertigen Online-Inhalten zu ermöglichen, kritisiert Anthony Lake, Exekutiv-Direktor von Unicef. Deshalb lautet seine Forderung: Alle, wirklich alle Familien müssen sich einen Anschluss an die digitale Welt leisten können. Im Sinne von Gleichheit und Gerechtigkeit müssten die Kosten für den Internetzugang gesenkt und mehr öffentliche Hotspots eingerichtet werden. Privatwirtschaft und öffentliche Organisationen, so Lake, müssten mehr für Kinder relevante Inhalte in ihren Sprachen entwickeln.

Manche Teenager posten 4000 Nachrichten im Monat

Für die Unicef-Studie haben die Wissenschaftler aber auch beobachtet, wie intensiv junge Menschen die Technik nutzen. So checkten viele Menschen ihre Smartphones 150 Mal am Tag. Manche Teenager posteten jeden Monat 4000 Nachrichten - zieht man die Schlafenszeiten ab, also etwa alle sechs bis sieben Minuten. Dass Fachleute und Eltern in hoch digitalisierten Ländern da um die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern fürchten, liege nahe. Smartphones, so das Fazit, lassen eine eigene "Kinderzimmer-Kultur" entstehen, die viele Eltern nicht verstehen und nicht kontrollieren können.

Wie es denen in der digitalen Welt ergeht, haben junge Teilnehmer eines Unicef-Workshops selbst erzählt:

"Ich werde die Technik nutzen, um die Welt zu verändern. Um bessere Sachen zu machen, mir Neues auszudenken, um Schule durch Technik interessanter zu machen." (Junge, 17, Fidschi-Inseln)

"Ich habe über Youtube programmieren gelernt. Ich habe mir Videos dazu angesehen." (Mädchen, 17, Bangladesch)

"Ohne Computer wissen wir gar nichts, auch nichts über die guten Dinge in unserem Leben." (Mädchen, 14, Osttimor)

"An dem Tag, an dem ich einen Computer mit Internetzugang bekam, änderte sich mein Leben." (ein gelähmter Junge, 18, Sankt Petersburg)

Für Familien auf der Flucht sind Smartphones lebenswichtig, um wieder zusammenzufinden. Eine große Rolle spielen sie aber auch später in den Flüchtlingslagern, wo viele Kinder mangels Schulen im Internet lernen, mithilfe von Videos und digitalen Übungsanleitungen - die günstiger sind als Schulbücher. "Es gibt keine Bibliothek im Flüchtlingslager. Ich nutze das Telefon, um Hausaufgaben in Biologie zu machen.", sagt Ali Amine, 18, der im Tschad lebt. In der Demokratischen Republik Kongo wiederum setzen sich junge Blogger intensiv für Kinderrechte ein. Ein 16-jähriges Mädchen bringt die Widersprüche der digitalen Welt dort so auf einen Punkt: "Ich denke, dass das Internet uns näher zu denen gebracht hat, die weit weg sind - und weg von denen, die nahebei sind."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: