Ungewöhnliche Pharmazie-Vorlesung:Wie Wolfgang Niedecken seinen Schlaganfall überlebte

Er erzählt, wie er auf die Idee kam, Krankheiten in seinen Weihnachtsvorlesungen am Beispiel von Musikern zu erklären. "Ich glaube, für Studenten ist das Musikformat das beste", sagt er schließlich. Die Biografie eines interessanten Menschen präge sich eben leichter ein. Deshalb analysierte er im Wechsel mit seinem Kollegen Steinhilber die Leidensgeschichten von Michael Jackson, Joe Cocker, Elvis Presley, Freddie Mercury, Bob Marley, George Harrison, Wolfgang Niedecken und den Bee Gees.

Längst sind seine Vorlesungen weit über die Frankfurter Uni hinaus bekannt. Gerade hat Dingermann in Bonn vor Apothekern wissenschaftlich belegt, wie Wolfgang Niedecken, der Chef der Gruppe BAP, seinen Schlaganfall überlebte. Auch Schulen buchen die musikalische Aufklärungsstunde. Für die beiden Professoren eine gute Gelegenheit, ihre Botschaften zu platzieren. "Die Menschen sollten mehr Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen", sagt Dingermann.

Gegen Aids könne man sich schützen, die Risiken von Lungenkrebs und Hautkrebs mit Rauchverzicht und Sonnenschutzcremes verringern, Abhängigkeiten von Drogen und Alkohol meiden. Häufig brauche es eben nur den gesunden Menschenverstand.

Davon war der "King of Pop" Michael Jackson offenbar weit entfernt. Er starb an einer Überdosis legaler Drogen, grob missbräuchlich eingesetzt. Unsicher und überfordert sei Jackson gewesen, auf der Flucht vor der Realität, sagt der Wissenschaftler. Das passiere nicht nur exzentrischen Stars, sondern auch normalen Bürgern. Der Einstieg sei harmlos und schleichend, der Druck des Alltags manchmal gewaltig.

"Joe Cocker, das ist ein tougher Hund!"

Es gehe nicht um illegale Drogen wie Heroin, Kokain oder Speed, sondern um Medikamente gegen Schlafstörungen oder Depressionen. Man wisse nicht, wie die sich auf ein gesundes Gehirn langfristig auswirkten. Sogar Joe Cocker, der dank einer außergewöhnlich guten physischen Konstitution seine Exzesse überlebte und zurück ins Musikerleben fand, gebe zu, dass einiges bei ihm nicht mehr so funktioniere wie früher. Bei Dingermann schwingt viel Anerkennung mit, wenn er sagt: "Joe Cocker, das ist ein tougher Hund!"

Legal bis illegal

Tabak, Alkohol und Tabletten sind auch in Deutschland weitverbreitete Drogen und Suchtmittel, die Auswirkungen auf die Gesundheit, die Gesellschaft und die Volkswirtschaft haben. 14,7 Millionen Menschen rauchen, 9,5 Millionen konsumieren Alkohol in riskanter Weise. Die Zahl der Medikamentenabhängigen wird auf ein bis zwei Millionen geschätzt. Hinzu kommen Opiatabhängige und 600 000, deren Cannabiskonsum gesundheitsschädigende Ausmaße angenommen hat. Diese Zahlen nennt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung.

Die Abhängigkeit von Tabletten trifft mehr ältere Menschen und mehr Frauen als Männer. Eine besondere Verantwortung kommt dabei den Ärzten und den Apothekern zu, wie mit der sprichwörtlichen Formel von Risiken und Nebenwirkungen umschrieben. Die Grenze zwischen Gebrauch und Missbrauch ist fließend und häufig schwer zu erkennen. Die Rezeptpflicht für Schlaf- und Beruhigungsmittel, zentral wirkende Schmerzmittel, codeinhaltige Medikamente oder auch Aufputschmittel soll den sorglosen Pillenzugang verhindern.

Die Problematik des krebserregenden Rauchens hat bereits Konsequenzen in Rauchverboten in öffentlichen Räumen und Lokalen. Der Missbrauch der legalen Droge Alkohol führt immer wieder zu neuen Exzessen, wie etwa das Flatrate-Saufen bei Jugendlichen zeigt.

Dagegen geschieht die Tabletten-Einnahme meist im Verborgenen, wie schon in den Sechzigern von den Rolling Stones in "Mother's Little Helper" beschrieben. Im Text geht es um eine überforderte Mutter, die mehr und mehr kleine gelbe Pillen nimmt, eine Anspielung auf das damals in Mode gekommene Beruhigungsmittel Valium. Helga Einecke

Elvis Presley dagegen kam gegen seine Abhängigkeiten nicht an. Dabei trank er fast nie, rauchte nicht, konsumierte keine illegalen Drogen. Aber er nahm Medikamente und aß abartig viel. Sein Leibgericht waren Sandwiches mit gegrilltem Speck, Erdnussbutter und zerstampften Bananen. Er nahm stark zu, wirkte aufgedunsen und entwickelte alle Symptome des Metabolischen Syndroms, das man zu Elvis Lebzeiten noch nicht definiert hatte. Die komplexe Krankheit umschreibt einen Mix aus Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck und Stoffwechselstörungen.

Wer sich bei seinen Essgewohnheiten gehen lässt, lebt gefährlich, vor allem, wenn besondere Veranlagungen vorliegen, macht Dingermann deutlich. Mehr als die Hälfte der Deutschen sei übergewichtig, ein Viertel sogar fettleibig. Ein großer Anteil der Ausprägung des Körpergewichts sei Erbanlagen geschuldet, aber besonders relevant seien Umweltbedingungen. Prävention sei ebenso wichtig.

Vorsorge ist gut, Angst kontraproduktiv

Der Professor nimmt sich selbst nicht aus. Er hat sein eigenes Genom entschlüsseln lassen und dabei eine Veranlagung zur Altersdiabetes festgestellt. Er nahm gezielt ab, treibt viel Sport. Den Schritt der Schauspielerin Angelina Jolie, sich die Brüste abnehmen zu lassen, hält er für richtig. Sie hatte jenes Gen, das bei 80 Prozent der Betroffenen Brustkrebs im Laufe des Lebens ausbrechen lässt. Eine generelle Genom-Analyse empfiehlt er trotzdem nicht. Viele Menschen würden mit Angst auf Risiken reagieren - zu viel Furcht erzeuge Stress und schwäche das Immunsystem.

Mitte Dezember wird es im Hörsaal am Riedberg wieder laut. Einmal mehr soll es um Abhängigkeit und Sucht gehen, am Beispiel der Sängerin Amy Winehouse. Sie starb an einer Alkoholvergiftung. Man fand mehr als vier Promille Alkohol in ihrem Blut. "Die hat sich totgesoffen", konstatiert Dingermann ohne Umschweife.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: