Süddeutsche Zeitung

Umgang mit wissenschaftlichen Verfehlungen:In der Guttenberg-Falle

Zwei Drittel Plagiatsanteil enthielt die Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg - und war damit eindeutig keine Wissenschaft. Dementsprechend leicht hatte es die Uni Bayreuth im Aberkennungsverfahren. Doch Ausnahmesituationen eignen sich nicht für generelle Schlüsse. Der Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten in Deutschland ist mangelhaft.

Ein Gastbeitrag von Stephan Rixen

Die Plagiatsvorwürfe gegen Annette Schavan machen deutlich: Die Aufklärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Deutschland leidet an strukturellen Mängeln. Die meisten Hochschulen fangen bei null an, wenn solche Vorwürfe im Raum stehen. So häufig, wie es scheinen mag, werden solche Vorwürfe in der Praxis nämlich nicht erhoben. Von wirklicher Professionalisierung bei der Plagiatsaufklärung sind die Unis in Deutschland weit entfernt.

Das schließt richtige Entscheidungen im Einzelfall natürlich nicht aus, etwa die Entziehung des Doktortitels von Karl-Theodor zu Guttenberg. Seine Doktorarbeit mit schätzungsweise zwei Dritteln Plagiatsanteil war aber derart eindeutig keine Wissenschaft, dass die Gremien der Universität Bayreuth bei der Aufarbeitung des Vorfalls nicht wirklich etwas falsch machen konnten.

Das Problem ist nur: Ausnahmesituationen eignen sich nicht für generelle Schlüsse. Der Fall Guttenberg hat den Blick auf die strukturellen Mängel verstellt, die behoben werden müssen, wenn die Aufklärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens - und da spielen Plagiatsvorwürfe insgesamt nur eine kleine Rolle -, auf Dauer gelingen soll.

Wer schneller ist, bestimmt, wie es weitergeht

Erstens: An den Universitäten herrscht ein Wirrwarr der Zuständigkeiten. Neben den Promotionskommissionen an den einzelnen Fakultäten, zum Beispiel der Philosophischen Fakultät in Düsseldorf, steht die uniweit zuständige Kommission zur Aufklärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Die gibt es auch in Düsseldorf, an der Aufklärung im Fall Schavan wurde sie offenbar bislang nicht beteiligt. Promotionskommission und zentrale Untersuchungskommission können parallel prüfen, meistens gilt das Windhund-Prinzip: Wer schneller ist, bestimmt, wie es weitergeht.

An der Bayreuther Universität ist nach der Guttenberg-Affäre ein klarer Vorrang der zentralen Untersuchungskommission geregelt worden. Dort sitzen Fachvertreter aus allen Wissenschaftsfeldern, nicht nur die Leute der eigenen Fakultät. Außerdem sind externe Wissenschaftler anderer Universitäten vertreten. Ausländische Gutachter werden frühzeitig einbezogen. Die Promotionskommissionen dürfen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, über die Entziehung des Doktortitels erst entscheiden, wenn die zentrale Untersuchungskommission eine interne Empfehlung abgegeben hat.

An manchen Universitäten unterstützen fachlich und juristisch spezialisierte Geschäftsstellen diese zentralen Kommissionen - und auch die ihnen vorgeschalteten "Ombudsleute", die als Erste die Vorwürfe prüfen.

Trotzdem sind bei den meisten Universitäten die Fallzahlen niedrig. Das ist zwar erfreulich, verhindert aber, dass genügend Erfahrung gesammelt werden kann. Das ließe sich durch Kooperationsverbünde ändern, also dadurch, dass Universitäten eines Landes, etwa die bayerischen Universitäten, eine gemeinsame Stelle zur Sicherung wissenschaftlicher Integrität schaffen. Vorbild könnte die Untersuchungskommission der österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität sein, die österreichweit (nur mit Nicht-Österreichern besetzt) Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens aufklärt. Erfolgreiche ausländische Vorbilder sind auch die norwegische Nationale Kommission zur Untersuchung wissenschaftlichen Fehlverhaltens (Granskingsutvalget) oder das Office of Research Integrity in den USA.

Zweitens: Die Verfahrensabläufe bei der Aufklärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens sind schwerfällig und intransparent. Die Idee akademischer Selbstverwaltung schützt zu Recht die Langsamkeit der Gründlichen, verbietet aber die Straffung der Prozeduren nicht. Der Datenschutz ist wichtig. Wichtig ist aber auch das legitime Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Je mehr sie an den Vorwürfen interessiert ist, desto schwerer lässt sich aller Erfahrung nach die Vertraulichkeit garantieren.

Ein öffentlichkeitsfreundliches Umdenken ist hier nötig. Die Wissenschaft ist kein Privatvergnügen, die Aufklärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens auch nicht. Die Untersuchung sollte daher frühzeitig öffentlich kommuniziert werden, wenn ein allgemeines Interesse erkennbar ist. Aus zwei Verfahren (Prüfung von wissenschaftlichem Fehlverhalten, Entziehung des Doktortitels) sollte ein einziges werden. Statt durch Titelentzug könnte es mit einer Rüge enden, wenn der Verstoß gegen die Standards guter wissenschaftlicher Praxis nicht gravierend ist.

Drittens: Die Entdeckung von Plagiaten darf nicht auf die Quantität von Textübereinstimmungen reduziert werden. Wer das tut, landet in der "Guttenberg-Falle". Dessen Doktorarbeit hat wegen der schieren Fülle aneinandergereihter Plagiate keinen Raum für Zweifel gelassen. Auch die meisten Plagiatsfälle, über die die Verwaltungsgerichte bislang entschieden haben, sind ähnlich eindeutig.

Kompliziert wird es jenseits von Schwarz und Weiß, bei den Grautönen. Hier muss genau geklärt werden, wie in einer bestimmten Wissenschaftsdisziplin zitiert wird, welche Zitierstandards zweifelsfrei anerkannt sind oder bei Anfertigung der Doktorarbeit anerkannt waren.

Das kann dazu führen, dass der Plagiatsvorwurf in dubio pro reo entkräftet wird. So war das zum Beispiel in einem Nachbarland, wo einem ehemaligen Wissenschaftsminister vorgeworfen wurde, in seiner gut dreißig Jahre alten philosophischen Doktorarbeit plagiiert zu haben. Eine international besetzte Kommission befand, dass die Doktorarbeit wahrlich kein Wunderwerk der Wissenschaft sei, aber auch kein Plagiat.

Uni muss alle Möglichkeiten nutzen

Hat Annette Schavan plagiiert? Vielleicht so sehr, dass sie den Doktortitel verlieren muss? Im Wege der Ferndiagnose lassen sich diese Fragen nicht beantworten. Die Universität Düsseldorf hat trotz mancher Irritationen weiterhin Vertrauen verdient. Keine Universität in einer solchen Lage kann es allen recht machen. Das Vertrauen auch der Kritiker wird die Universität gewinnen, wenn sie wirklich alle Möglichkeiten nutzt, den Plagiatsvorwurf aufzuklären. Damit wird nicht unterstellt, die Universität habe bislang etwas falsch gemacht. Ob sie die Überzeugungskraft ihrer Argumentation noch steigern kann, ist die Frage - mehr nicht.

Ob Annette Schavan der richtigen Partei angehört, eine gute Bildungsministerin ist oder bei manchen Nutznießern ihrer Politik Loyalitätsbekundungsreflexe auslöst, all das ist irrelevant. Wichtig ist: Annette Schavan hat mehr verdient als ein formal korrektes Verfahren; das ist ohnehin eine Selbstverständlichkeit. Es kommt darauf an, dass die Universität Düsseldorf Prüfungsmaßstäbe zugrunde legt, die Annette Schavans Doktorarbeit gerecht werden.

Stephan Rixen, 45, Professor für öffentliches Recht an der Uni Bayreuth, leitete die Untersuchungskommission in der Causa Guttenberg. Er gehört auch der österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität an.

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Quelle:
SZ vom 29.01.2013/jobr
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