Umfrage unter Schulleitern:"Eine Bankrotterklärung des Bildungssystems"

Warnstreik an Berliner Schulen

Der Unmut über eine in ihren Augen verfehlte Schulpolitik ist unter vielen Lehrkräften groß.

(Foto: picture alliance / dpa)

Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, über den Lehrermangel, Inklusion und die Fehler in der Schulpolitik.

Interview von Matthias Kohlmaier

Deutschlands Schulleiter mögen ihren Job und fühlen sich von ihrem Kollegium gut unterstützt. Aber: Sie bewerten den Lehrermangel als großes Problem, Inklusion und Integration als schwierig umsetzbar und fühlen sich von der Politik oft alleingelassen. Das zeigt eine Forsa-Umfrage unter 1200 Rektoren, die am Freitag im Rahmen des Deutschen Schulleiterkongresses in Düsseldorf vorgestellt wurde.

Udo Beckmann ist Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) und kennt die Probleme der Kollegen aus seiner eigenen Zeit als Leiter einer Dortmunder Hauptschule.

SZ: Herr Beckmann, laut der Forsa-Umfrage gehen die meisten Schulleiter Deutschlands sehr gern zur Arbeit. Das ist doch eine gute Nachricht.

Udo Beckmann: Prinzipiell ja, besonders wenn man sich ansieht, unter welch schwierigen Bedingungen sie ihren Job machen müssen. Besonders bedrückend ist speziell ein Ergebnis der Umfrage: Sehr viele Schulleiter sind enttäuscht darüber, dass in der Politik Entscheidungen getroffen werden, ohne dabei auf die schulische Realität Rücksicht zu nehmen.

Sie meinen die Inklusion, die fast jeder vierte Befragte als problematisch empfindet?

Das ist ein prägnantes Beispiel. Hier hat es aus der Politik viele Versprechungen gegeben, die bei den Eltern betroffener Kinder Erwartungen geschürt haben. Und vor Ort müssen Schulleitungen dann den Eltern erklären, dass die schulische Realität leider anders aussieht: Sonderpädagogen fehlen, die Lehrkräfte sind nicht durch Fortbildungen auf die neuen Aufgaben vorbereitet worden, es fehlen passende Räumlichkeiten und von Barrierefreiheit kann keine Rede sein.

Eine frustrierende Situation für Lehrkräfte und Schulleitungen.

Die Kolleginnen und Kollegen müssen oft den Kopf dafür hinhalten, dass politische Entscheidungen getroffen werden, denen die Grundlage fehlt - oder bei denen völlig unklar ist, ob sie überhaupt durchgesetzt werden. Thema Digitalisierung: Vor eineinhalb Jahren hat die damalige Bildungsministerin Wanka ein fünf Milliarden schweres Digitalpaket für die Schulen angekündigt. Von dem Geld steht bis heute aber kein Euro im Haushalt. Und die Eltern wundern sich, warum die Schule ihrer Kinder nicht endlich ordentliche Computer und schnelleres Internet bekommt. So kommen Konflikte in die Bildungspartnerschaft, für die keine Lehrkraft etwas kann. Sehr ärgerlich.

Offenbar ärgern sich besonders jüngere Lehrkräfte in Leitungspositionen. Deutlich weniger von ihnen würden den Job weiterempfehlen als ihre älteren Kollegen. Warum ist das so?

Einerseits können erfahrenere Kollegen ihre Aufgaben vermutlich etwas besser koordinieren. Andererseits aber denke ich, dass die Jungen nicht gut genug auf eine Leitungsposition vorbereitet werden. Das ist insofern bedenklich, da in Deutschland Hunderte Schulleiterstellen nicht besetzt sind und es offensichtlich nicht gelingt, jungen Lehrkräften diese Aufgabe schmackhaft zu machen.

"Das kann nicht der Anspruch sein"

Das dürfte auch mit der Bezahlung zusammenhängen.

Mit Sicherheit. Die Leitung einer Schule ist vergleichbar mit der eines mittelständischen Betriebes - der Lohn aber ist es nicht. Dazu kommt, dass man als Mitglied der Schulleitung in vielen Ländern insbesondere an Grundschulen nicht wesentlich besser verdient als normale Lehrkräfte. Die fragen sich natürlich: Warum soll ich mir den Stress antun?

Als größtes Problem bewerten die Schulleiter den bundesweiten Lehrermangel. Vielerorts werden mittlerweile Pensionisten zurück in die Klassenzimmer gerufen, damit der Unterricht überhaupt noch stattfinden kann.

De facto ist das eine Bankrotterklärung des Bildungssystems. Die Politik hat es definitiv verschlafen, für genügend Nachwuchs zu sorgen. Wenn man sich aktuelle Zahlen ansieht, werden wir mindestens für die kommenden zehn Jahre damit leben müssen, dass massenweise Seiteneinsteiger unterrichten werden.

Müssen die zwingend schlechte Lehrer sein?

Natürlich gibt es auch Naturtalente und sie können durchaus eine Bereicherung sein. Zudem sind die Schulen angesichts der Misere auf dem Lehrermarkt froh über diejenigen, die unterrichten wollen. Aber es darf nicht sein, dass diese Kolleginnen und Kollegen, oft pädagogisch kaum vorqualifiziert, nach einer sehr kurzen Einführung einfach in die Klassen gestellt werden. Berufsbegleitend bildet man die Quereinsteiger dann fort - das kann beim besten Willen nicht der Anspruch sein in einem Land, das Bildung als wichtigste Ressource preist.

Wie lautet Ihr Vorschlag?

Mindestens ein halbes Jahr pädagogische Vorqualifizierung muss sein, dann können die Leute unterrichten. Währenddessen müssen sie aber trotzdem weiter fortgebildet werden. Diese Menschen werden längerfristig in den Schulen bleiben. In ihrem eigenen Interesse und besonders in dem der Schüler müssen wir sie darauf vernünftig vorbereiten. Natürlich kostet das Geld, das ist aber sehr gut angelegt.

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