Süddeutsche Zeitung

Auslandsschulen:Worum es der Türkei bei den deutschen Schulen wirklich geht

Ankara möchte Schulen in Deutschland eröffnen - als Mittel gegen den Prediger Fethullah Gülen, den Präsident Erdoğan zum Terroristen erklärte. In anderen Ländern lässt er Lehrer der Gülen-Schulen auch schon mal vom Geheimdienst entführen.

Von Stefanie Schoene

Ende Februar 2019 versammelten sich unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit im Kölner Generalkonsulat der Türkei hohe Beamte der türkischen Bildungsdiplomatie. Zum "3. Seminar für Bildung und Qualifizierung in Deutschland" waren neben dem stellvertretenden Bildungsminister die für Auslandsbeziehungen zuständigen Generaldirektoren seines Ministeriums aus Ankara angereist. Außerdem dabei: Der Botschafter aus Berlin, der Kölner Generalkonsul, die Bildungsattachés der Konsulate sowie deren Stellvertreter und die Koordinatoren der Türkischlehrer in Deutschland.

Auf der Pressekonferenz für türkische Medien erklärte Vize-Bildungsminister Mustafa Safran, man werde mit Deutschland über Auslandsschulen in drei deutschen Großstädten verhandeln. "Wir wollen Schulen aufbauen, in denen die türkische Kultur und Sprache ernsthaft unterrichtet werden", sagte er. Man strebe die Einrichtung von drei Gymnasien mit bilateral anerkannten Lehrplänen an. Die Abschlusszeugnisse sollten zum Studium sowohl in Deutschland als auch in der Türkei berechtigen. Bald darauf, im Sommer 2019, begannen die Verhandlungen zwischen Ankara und Berlin, wie nun eine Recherche der Süddeutschen Zeitung zeigte.

Bildung, so Safran damals, sei ein universeller Wert. Sie müsse unbedingt von Politik getrennt werden. Allerdings spricht nicht nur die Zusammensetzung der Runde in Köln, sondern auch der Name des Gastgebers Bände. Eingeladen hatte die "Maarif Foundation" (wörtlich: Bildungsstiftung). Seit ihrer Gründung 2016 ist sie unabhängig vom Bildungsministerium als Speerspitze türkischer Kulturpolitik in jenen Ländern tätig, in denen türkische Minderheiten leben oder türkische Wirtschaftsinteressen begleitet werden sollen. Sie baut Schulen, Bildungsinstitutionen und Wohnheime weltweit und gibt Stipendien aus. Innerhalb von drei Jahren erhielt die Stiftung aus dem Budget des Bildungsministeriums laut Zeitung Cumhuriyet per Ministerratsbeschluss 155 Millionen Euro.

Die Stiftung dient derzeit jedoch vor allem zur Übernahme der Gülen-Schulen. Laut einem Bericht des Geheimdienstes MIT, aus dem türkische Medien zitieren, betrieb die Gülen-Bewegung 2017 in etwa 100 Ländern 767 gebührenpflichtige Schulen und Universitäten, die den Eliten in Entwicklungsländern und den türkischen Einwandererkindern in der westlichen Welt akademische Ausbildung und Türkischunterricht gaben. Im Gegenzug durfte die Türkei auf die Loyalität der Staatenlenker und Investitionsmöglichkeiten hoffen. 20 Jahre lang - bis zum Beginn des offenen Machtkampfes zwischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und dem mächtigen Gülen-Netzwerk - besorgten die Geschäftsleute und Lehrer um den Prediger Fethullah Gülen die kulturpolitischen Ambitionen der Türkei im Ausland. Die jeweiligen türkischen Regierungen unterstützten diese religiös-nationalistische Expansion, deren Mission auch die Verbreitung einer großen osmanisch-türkischen Geschichte ist. Die Staats- und Ministerpräsidenten der Türkei reisten bis 2016 regelmäßig zu den Eröffnungen der Schulen in aller Welt.

Ende der Ruhe

In den muslimisch geprägten Ländern des Balkans, Südostasiens, Afrikas und der ehemaligen Sowjetunion predigte die Gülen-Bewegung einen staatstragenden Islam türkischer Prägung. Seit Erdoğan Jagd auf das Netzwerk und ihr Kapital macht, ist die Ruhe vorbei. Jetzt soll die Maarif-Stiftung übernehmen. Laut Stiftungsrat wurden ihr bis Anfang Januar 219 Gülen-Schulen im Ausland "übertragen". Außerdem habe sie knapp hundert neue Schulen gegründet. Sie unterhalte jetzt Bildungsinstitutionen in 42 Ländern - die meisten in Afrika, auf dem Balkan und in Zentralasien, aber auch in den USA. Das 43. Land könnte nun Deutschland werden. Das Ziel sei, die Türkei bis 2023, dem hundertsten Gründungsjahr der Republik, als Bildungsmarke zu etablieren und in "mindestens der Hälfte aller Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen" aktiv zu sein.

Die "Übergaben" werden in den betroffenen Staaten mit dem Hinweis auf die von türkischer Seite als "Terrororganisation" geführte Gülen-Bewegung diplomatisch vorbereitet. In Äthiopien händigte die Regierung nach Schilderungen örtlicher Medien die bis letzten Sommer gülennahen "Rainbow Schools" unter Polizeischutz an Beamte der Maarif Stiftung aus.

Wo die Enteignung von Schulen und die geforderte Auslieferung von Gülen-Personal nicht reibungslos laufen, bekommt die Maarif-Stiftung Schützenhilfe vom türkischen Geheimdienst MİT. Wie die gülennahe Nachrichtenseite Samanyolu berichtet, gab es 24 Entführungen in den letzten zwei Jahren. Auch in Europa fuhren die gefürchteten MİT-Vans vor. Zuletzt wurde am Neujahrstag laut Hürriyet Daily News in Tirana ein Mann in einem Wagen des MİT zum Flughafen gebracht. Es soll sich um einen Lehrer handeln, der in einer von Gülen-Anhängern betriebenen Schule in Kirgisistan unterrichtet hatte und vor dem Zugriff Erdoğans zunächst nach Serbien, dann nach Albanien geflohen war, um Asyl zu beantragen. Von dem Mann fehlt jede Spur.

Enteignung, Auslieferung, Entführung

Für Balkan Insight, ein unabhängiges Nachrichtportal, das 2007 von Journalisten des "Investigativ-Netzwerk Balkan" gegründet wurde, ist das Engagement der türkischen Regierung in der Region ein Dauerthema. Die Forderung Erdoğans an die Regierung in Bosnien-Herzegowina, die fünf dort tätigen Gülen-Schulen zu enteignen, sorgt seit 2018 für Unruhe. Im Dezember kam es zu einer Eskalation. Die bosnische Polizei setzte auf Druck der türkischen Regierung den Direktor der Richmond Park Schools in Bihać fest. Der Türke, der seit 15 Jahren in Bosnien als Lehrer arbeitet, wurde in Auslieferungshaft genommen. Seine Anwälte klagten umgehend, ein Gericht gab ihnen recht. Der Mann ist wieder frei.

Auch in Rumänien stoppten Gerichte kurz vor Weihnachten eine Übergabe von Gülen-Anhängern an den MİT. Der Direktor einer Betreibergesellschaft mehrerer Gülen-Schulen in Rumänien wird nicht ausgeliefert. Sechs Männer entführte der MİT mit Unterstützung des moldauischen Geheimdienstes in die Türkei. Einer von ihnen, zuvor Angestellter einer Gülen-Highschool, erhielt laut türkischen Medien in Istanbul jüngst eine zwölfjährige Haftstrafe, vier andere wurden ebenfalls zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kritisierte das Kidnapping und verurteilte die Republik Moldau 2019 zu Entschädigungszahlungen.

In Kosovo hatte der MİT bereits 2018 sechs türkische Gülen-Lehrer entführt. Zwei von ihnen sind in der Türkei inzwischen zu sieben Jahren Haft verurteilt, für die anderen fordert die Staatsanwaltschaft zwischen 16 und 28 Jahren.

Konflikte in der türkischen Community drohen

In den Verhandlungen mit Ankara beruft sich das Auswärtige Amt auf den Wunsch der Türkei nach Wechselseitigkeit: Es gibt drei deutsche Auslandsschulen in der Türkei, also müsse es auch drei türkische Schulen in Deutschland geben. Doch es spricht wenig dafür, dass es der Türkei wirklich nur um die schwindenden Türkischkenntnisse deutschtürkischer Schüler geht. Vielmehr sind die geplanten Schulen in Deutschland Teil einer globalen Strategie Ankaras, die auf die Ausweitung türkischer Einflusssphären gerichtet ist. Vor wenigen Tagen erst, auch das ist Teil dieser Softpower-Offensive, ging TRT Deutsch auf Sendung, der erste türkische Staatskanal in Deutschland.

Die türkische Regierung kennt bei der Durchsetzung ihrer Interessen kaum rechtsstaatliche Grenzen - das zeigen vor allem die Vorgänge in der Republik Moldau. Zu befürchten ist, dass auch die drei türkischen Schulen in Deutschland dazu beitragen werden, die vielen Konflikte in der türkischen Community zu schüren. Die Schulen sollen in Berlin, Köln und Frankfurt entstehen - wo die Gülen-Bewegung deutschlandweit am stärksten organisiert ist und ebenfalls Schulen betreibt.

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SZ vom 20.01.2020/berk/cat
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