Süddeutsche Zeitung

Frauen in der Wissenschaft:Männer müssen warten

Mit der Ankündigung, die kommenden fünf Jahre nur noch Frauen einzustellen, sorgt die TU Eindhoven für Wirbel. Die Erfinderin verteidigt das Programm.

Von Fabian Busch

Die Technische Universität Eindhoven (TUE) ist vor allem für ihre Ingenieur- und Naturwissenschaften bekannt. In der Industriestadt im Süden der Niederlande treibt sie den Wandel zum High-Tech-Standort mit voran. Jetzt aber erregt die Uni anderweitig Aufsehen, und das nicht nur in den Niederlanden: In den kommenden Jahren will sie alle unbefristeten wissenschaftlichen Stellen zunächst nur für Frauen ausschreiben. Das wirft die Frage auf: Wie radikal darf Frauenförderung in der Wissenschaft sein? Evangelia Demerouti hat einiges zu erklären.

Die gebürtige Griechin hat auf Kreta studiert und in Oldenburg promoviert. Seit 2009 ist sie Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie in Eindhoven, außerdem Beauftragte für Diversität an der Universität. Sie steckt maßgeblich hinter der Maßnahme. Nur 15 Prozent der Dozenten an der TUE sind weiblich, damit ist die Uni niederländisches Schlusslicht. Seit 2010 versucht sie, mehr Frauen in Top-Positionen zu bringen, erklärt Demerouti: Alle Fakultäten haben dafür Beauftragte, bei Stellenbesetzungen muss es mindestens eine Bewerberin in die letzte Runde schaffen. "Aber das alles hatte nicht den erwarteten Effekt", sagt die 49-Jährige. Beim gemeinsamen Nachdenken habe der Rektor gefragt, ob man sich nicht "eine drastischere Maßnahme" einfallen lassen könne.

Auch Frauen äußern Kritik

Man kann. Seit dem 1. Juli stehen frei werdende oder neu geschaffene wissenschaftliche Stellen ausschließlich Frauen offen. Das soll für mindestens fünf Jahre gelten - in dieser Zeit rechnet die TUE mit 150 zu besetzenden Positionen. Und bei denen darf die Hochschule aus dem Vollen schöpfen: Die neu eingestellten Frauen nehmen am "Irène-Curie-Stipendiums" teil: Sie bekommen einen Mentor zur Seite gestellt und erhalten 100 000 Euro, die sie in ihre Forschung investieren können. Das Geld kommt von der Regierung.

Das Echo in Medien und Wissenschaft ist geteilt. "Die positiven Reaktionen überwiegen, aber die negativen fallen vielleicht etwas lauter aus", sagt Evangelia Demerouti. Überrascht hat sie das nicht, Veränderungen stießen ja oft zunächst auf Ablehnung. Und es würden auch nicht nur Männer Kritik anmelden: "Es gibt auch Frauen, die nicht wollen, dass sie wegen ihres Geschlechts bevorzugt werden." Es sei wichtig, über das Thema zu diskutieren, findet die Psychologin. Dafür wird sie bald viel Gelegenheit haben: Die Einladungen zu Veranstaltungen, auf denen Demerouti das Programm erklären soll, häufen sich.

Dem Europäischen Statistikamt zufolge waren 2017 rund 41 Prozent der 18 Millionen Wissenschaftler und Ingenieure in der EU weiblich. Die Niederlande (38 Prozent) und Deutschland (33 Prozent) liegen bei diesem Thema unter dem Durchschnitt. In Deutschland würde das Eindhovener Modell allerdings in Konflikt mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geraten. Positive Maßnahmen, um bestimmte Gruppen zu fördern, seien im öffentlichen Dienst zwar zulässig, erklärt eine Sprecherin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Allerdings gelte grundsätzlich die Regel, dass eine Stelle mit dem besten Bewerber besetzt werden müsse. "Darum kann hier nicht pauschal ein Geschlecht ausgeschlossen werden." Möglich sei es lediglich, weibliche Bewerberinnen bei gleicher Qualifikation zu bevorzugen.

Gleichwohl haben auch viele deutsche Universitäten Förderprogramme nur für Frauen. An der Ludwig-Maximilians-Universität München können sich promovierte Nachwuchsforscherinnen etwa für ein Stipendium der Bayerischen Gleichstellungsförderung bewerben. Die Universität Erlangen-Nürnberg bietet seit 2002 in Fächern, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, eine rotierende Gastprofessur für Wissenschaftlerinnen an.

Rechtlich hat sich die Eindhovener Universität vor ihrem Schritt beraten lassen - sie geht davon aus, dass die neue Einstellungspolitik auch vor Gericht Bestand hat. Zudem sei der Schritt mit EU-Recht vereinbar, ist die Hochschule überzeugt. Männer sind nicht komplett aus dem Rennen: Findet sich für eine Stelle binnen sechs Monaten keine geeignete Wissenschaftlerin, sind auch männliche Bewerber zugelassen. Aber auch dann muss es mindestens eine Frau in die letzte Runde schaffen.

Angestrebt: 35 Prozent Frauen in fünf Jahren

Bleibt die Frage, ob sich überhaupt genügend Wissenschaftlerinnen finden, die Professorin werden wollen. Technische Fächer gelten weiterhin eher als Männerdomäne, auch von den rund 12 000 Studierenden der TUE sind nur etwas mehr als ein Viertel weiblich. Evangelia Demerouti glaubt trotzdem, dass es an Bewerberinnen nicht mangeln wird. "Wenn man sich außerhalb der Wissenschaft umschaut, gibt es durchaus viele Frauen in technologischen Berufen", sagt sie. Allerdings würden viele bisher eine Hochschulkarriere scheuen. "Sie fürchten, das ist nicht der richtige Ort für sie - auch weil sie dort in ein männliches Umfeld gelangen."

Evangelia Demerouti ist neugierig auf die Ergebnisse. "Es wäre wünschenswert, den Frauenanteil auf 35 Prozent in fünf Jahren zu steigern." An der Uni ist allerdings nicht jeder glücklich mit dem Plan. Der sei "völlig verrückt", zitierte eine Lokalzeitung einen Professor, ohne dessen Namen zu nennen: "Statt nach Leistung wird nach Geschlecht selektiert." Frank Baaijens, der Rektor der Eindhovener Uni, sieht das anders: Gemischte Teams würden bessere Ergebnisse erzielen, schreibt er in einer Pressemitteilung. "Sie führen zu besseren Strategien, mehr kreativen Ideen und schnellerer Innovation."

Der nächste Schritt steht Ende 2020 an: Nach anderthalb Jahren will die TUE die Maßnahme überprüfen und bewerten - gemeinsam mit den neuen Dozentinnen.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2019/berk
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