Third Mission:Außeneinsatz

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Mission impossible? Vor allem Hochschulen in finanzschwachen Bundesländern setzen auf außeruniversitäres Engagement als profilbildende Maßnahme. Ob Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt - Sinn und Nutzen stellt kaum noch jemand in Frage. (Foto: Paramount Pictures)

Hochschulen wollen nicht länger Elfenbeintürme sein, sondern sich gesellschaftlich engagieren. Ist das am Ende wichtiger als Forschung und Lehre? Über eine Debatte, die ins Herz der Universitäten zielt.

Von Christine Prußky

Schön ist sie nicht, die Stadt, mit all den Plattenbauten, aber ihre inneren Werte lassen sich sehen. Ob bei Arbeitsplatzdichte, Erwerbstätigenquote oder Steuerkraft: Neubrandenburg rangiert auf Platz eins in Mecklenburg- Vorpommern und schlägt noch manch andere Kommune in Ostdeutschland. Die Kennzahlen sind den Kommunalpolitikern, den örtlichen Unternehmern, Sozialeinrichtungen und Bildungsträgern bekannt. Auch der Rektor der Hochschule Neubrandenburg Micha Teuscher hat die Eckdaten drauf - und dazu die Leistungswerte seiner Hochschule. Bei einer Absolventenquote von 80 Prozent schaffen 85 Prozent der Studenten in Neubrandenburg den Abschluss in der Regelstudienzeit. Frei übersetzt heißt das: Die Hochschule steht für Aufschwung, sie ist ihr Steuergeld wert.

Diese Botschaft ist besonders wichtig in Regionen, die wie Neubrandenburg vom demografischen und strukturellen Wandel gebeutelt sind und jeden Euro zweimal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben. In solchen Situationen überlassen Hochschulen lieber nichts dem Zufall: Sie zeigen, was Stadt und Land neben Forschung und Lehre von ihnen haben. Das neudeutsche Schlagwort für derartige Legitimationsbemühungen lautet "Third Mission". Darunter werden Aktivitäten gefasst, die Hochschulen für ihre jeweilige Region erbringen. Das können Weiterbildungsangebote sein, wissenschaftliche Beratungen, öffentliche Ringvorlesungen oder Kinderlabore. Forschungsprojekte mit örtlichen Unternehmen fallen ebenfalls darunter oder auch sogenannte Service-Learning-Projekte, in denen Studierende ihr Wissen praktisch anwenden und so einen sozialen Mehrwert schaffen. "Third Mission ist", wie der österreichische Bildungsforscher Attila Pausits es kürzlich bei einer Expertentagung in Berlin zusammenfasste, eine "profilbildende Maßnahme".

Was passiert, wenn diese ausbleibt oder nicht greift, hat Rektor Teuscher bereits erlebt. 2005 drohten der Hochschule Neubrandenburg Etatkürzungen von 20 Prozent. "Wir mussten uns und der Politik die Frage beantworten: Sind wir relevant für das Land oder nicht?", sagt Teuscher. Die Antwort fand sich in einem Hochschulentwicklungsplan und dem neuen Forschungsschwerpunkt, "Nachhaltiger Strukturwandel in der Region". So konnte die Hochschule die Kürzungen zwar nicht abwenden, aber immerhin auf zehn Prozent drücken - ein Erfolg. Es sei, so resümiert Teuscher rückblickend, "ein interner Weckruf" gewesen.

Naturschutztag, Seniorenschule - das alles lässt sich nur schwer mit Geld aufwiegen

Seitdem hat sich einiges getan in Neubrandenburg: An der Hochschule gibt es heute zum Beispiel jährliche Naturschutztage, eine Schule für Senioren und eine für Kinder. Professoren, Studenten, Unternehmen und Verbände treffen sich bei den Tagen der Technik. Und Studierende greifen in Bachelor- und Masterarbeiten kommunale Probleme auf, was die Stadt ihrerseits mit Förderpreisen würdigt. "Hochschule findet Stadt" lautete denn auch das Motto der Jubiläumsfeier zum 25-jährigen Bestehen der Hochschule Neubrandenburg im vergangenen Oktober. Mit ihren 2100 Studierenden und knapp 80 Professoren gehört die Hochschule zwar immer noch zu den kleineren Mecklenburg-Vorpommerns, ihren unmittelbaren Nutzen für die Region allerdings stellt aktuell keiner mehr infrage.

Ein paar Hundert Kilometer weiter südwestlich ist die Universität Magdeburg noch nicht ganz so weit. Aber auch sie hat ihren Erweckungsmoment schon hinter sich. Datieren lässt er sich im Jahr 2013, als der Wissenschaftsrat das gesamte Hochschulsystem Sachsen-Anhalt und mit ihm die Universität Magdeburg evaluierte: "Die Passagen zur Universität Magdeburg zeigten mir, dass unsere Bedeutung für die Region und das Land nicht wirklich erkannt worden war", sagt Magdeburgs Unirektor Jens Strackeljan, da sei die Universität "wach geworden". Politik und Gesellschaft ließen sich "hinsichtlich der regionalen Effekte einer Universität" eben nicht "allein durch die gängigen wissenschaftlichen Kennzahlen" überzeugen. Deren wirksame Aussagekraft sei "in diesem Kontext doch eher zweifelhaft".

Auf Third Mission als profilbildende Maßnahme setzen nicht mehr nur Hochschulen in ärmeren Ländern. Selbst die vergleichsweise reiche Ludwig-Maximilians-Universität in München hat die Zeichen der Zeit erkannt und erweiterte ihre hochschulinterne Transferstelle um den Arbeitsbereich "Gesellschaftliche Innovationen". Damit rüstet sich die bayerische Eliteuni für eine Zukunft, die in anderen europäischen Ländern schon Gegenwart ist. So müssen britische Wissenschaftler bereits heute bei Forschungsgeldanträgen erklären, welchen Nutzen ihre jeweiligen Projekte der Gesellschaft bringen. In EU-Projekten ist es nicht anders. Auch dort ist in Drittmittelanträgen der sogenannte "Community-Outreach" zu erklären.

Dass die Bundesrepublik davon so weit nicht mehr entfernt ist, wurde vergangenen Monat deutlich. Da veröffentlichte Deutschlands wichtigstes Beratungsgremium in Fragen der Hochschul- und Forschungspolitik, der Wissenschaftsrat, ein Positionspapier, in dem es nicht nur die Bedeutung des Wissenstransfers in Wirtschaft und Gesellschaft unterstrich und Hochschulleitungen "eine klare Strategie zum Austausch mit der Region" empfahl. Transfer sei "als gleichwertige Kernaufgabe wissenschaftlicher Einrichtungen ernst zu nehmen", heißt es in dem Papier weiter, und "als wissenschaftliche Leistung anzuerkennen".

Sind Forschung, Lehre und gesellschaftliches Engagement womöglich gleichwertig zu betrachten? Das ist die Frage, die in der deutschen Wissenschaftsszene aktuell höchst strittig diskutiert wird. Sie greift nämlich nicht nur das Primat von Forschung und Lehre an, zielt also mitten hinein ins Herz der Universität. Die Debatte rührt auch in Wunden, die übereifrige Evaluierer in den bundesdeutschen Hochschul- und Wissenschaftsbetrieb schlugen. "Meine Sorge ist, dass das Messen, Bewerten und Belohnen am Ende im Vordergrund stehen", sagt Peter Dehne, der an der Hochschule Neubrandenburg das Institut für Regionalentwicklung leitet. Hervorgegangen ist das Institut vergangenes Jahr aus eben dem Forschungsschwerpunkt, den die Neubrandenburger Hochschule 2005 in ihrer Not einrichtete. Hochschulen, sagt Dehne, dürften "nicht unter den Zwang geraten, Third Mission zu betreiben". Denn: "Ich frage mich, ob Messen von Engagement der Qualität wirklich zuträglich wäre."

Der Erfolg von Third Mission lebt vom Einsatz und den Ideen Einzelner, die sich eben nur schwer in Geld aufwiegen lassen. Wie schwer, mag das Unidorf-Projekt verdeutlichen, das Peter Dehne organisierte. Zusammen mit Studierenden zog er vergangenen Juli für ein paar Tage nach Ahlbeck im Stettiner Haff, führte Interviews mit den Dorfbewohnern, diskutierte und feierte mit ihnen am Lagerfeuer. Am Ende stand eine Studie zur Rolle der "Kleinen Grundschule auf dem Lande". Sie nützt nicht nur den Ahlbeckern, die dafür eine knappe Woche lang zeltende Studierende im Dorf aushielten. Es mag auch eine Hilfe für all die Kommunalpolitiker sein, die sich andernorts mit Schulschließungen befassen müssen.

Nun sind in Neubrandenburg natürlich längst nicht alle Professoren so engagiert in Third Mission wie Peter Dehne, der als Naturschutz-, Landschafts- und Raumentwicklungsplaner von den Kooperationen mit der Region auch wissenschaftlich profitiert. Etwa ein Fünftel der Professorenschaft vernetzt sich mit der Gesellschaft und der Region, schätzt Rektor Teuscher, ohne die Zahl bewerten zu wollen. Denn auch wenn er Third Mission als strategische Aufgabe der Hochschule sieht, die sie im steten Kampf um Autonomie stärke, steht für Teuscher doch auch außer Frage, dass jedes gesellschaftliche Engagement auf dem Grund von Forschung und Lehre zu stehen hat. "Die Hochschule", sagt Teuscher, sei schließlich "kein Supermarkt für Innovationen".

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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