Süddeutsche Zeitung

Tempelhof-Schöneberg:"Schulnotstand" in Berlin

Wie aus dem Hilferuf eines Schulamts für die Unterbringung von Schülern eine Schlagzeile wird.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Der Sturm, der Anfang vergangener Woche in Berlin losbrach, hatte es in sich. Nicht weniger als einen "Schul-Notstand!" attestierte die Boulevardzeitung B.Z. der Hauptstadt - "90 Kinder ohne Platz". Schlagzeilen, die sofort dramatische Bilder abriefen: eine Heerschar von Heranwachsenden, die zu Hause alleingelassen dumpf vor ihren mobilen Endgeräten hocken. Doch bereits am Freitag konnte der Schulstadtrat des Bezirks Tempelhof-Schöneberg Oliver Schworck (SPD) Entwarnung geben: "Die große Herausforderung, vor der unser Bezirk noch vor wenigen Tagen stand, kann mit der gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten äußerst konstruktiv bewältigt werden."

Was also war passiert?

Am Ende der Weihnachtsferien hatte das Schulamt Tempelhof-Schöneberg einen "Hilferuf" an alle 60 Schulen des Berliner Bezirks geschickt. In der E-Mail war tatsächlich von einem "Notstand" die Rede, von "der Herausforderung, fast 90 Kinder und Jugendliche nicht zeitnah mit einem Schulplatz in einer Lerngruppe versorgen zu können". Da die Debatte um die ausreichende Anzahl von Schulplätzen die Arbeit der Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) seit Monaten begleitet, nahm der politische Gegner den Brandbrief schnell auf. Die CDU kritisierte eine "verfehlte Bildungspolitik", die Grünen sahen ein "unentschuldbares Versäumnis".

Tatsächlich handelte es sich bei den genau 86 betroffenen Schülerinnen und Schülern um Kinder von Geflüchteten, die in dem Bezirk in den vergangenen Wochen und Monaten keinen Platz in einer der sogenannten Willkommensklassen bekommen hatten. In diesen Gruppen mit bis zu zwölf Lernenden sollen die Grundlagen der deutschen Sprache vermittelt werden, damit die Geflüchteten so schnell wie möglich am Regelunterricht teilnehmen können. Konkret ging es um sechs fehlende Plätze in den ersten zwei Schuljahren, 30 für die Klassen 3 bis 6 sowie 50 fehlende Plätze für die Klassen 7 bis 10. Einige der Kinder und Jugendlichen sind bereits vor Monaten in Berlin angekommen, die meisten aber erst vor wenigen Wochen. Zudem ist es häufig so, dass diese Schüler bereits in Fächern am Unterricht teilnehmen, für die Deutschkenntnisse nicht unbedingt notwendig sind, wie Kunst oder Sport.

Der Bildungssenat beruhigt: Die 86 Schülerinnen und Schüler haben inzwischen Plätze

So ist es wohl kein Notstand, der in Berlin herrscht, aber doch ein Problem in Tempelhof-Schöneberg. Einer der Gründe für den Platzmangel ist, dass es in dem Bezirk mit 350 000 Einwohnern mehr Flüchtlingseinrichtungen gibt als in den meisten anderen Berliner Bezirken. Doch lange Zeit rechnete der Bezirk - wie auch der Schulsenat für das gesamte Stadtgebiet - mit sinkenden Schülerzahlen. In Tempelhof-Schöneberg wurden deshalb Willkommensklassen aufgelöst. Manche Schulen hatten sich sogar dagegen gesperrt, solche speziellen Klassen überhaupt zu eröffnen - meist mit der Begründung, es gebe zu wenig Personal. Ein fadenscheiniges Argument, da in den Willkommensklassen regelmäßig Seiteneinsteiger unterrichten.

Schulsenatorin Scheeres sei von dem Ausmaß des Problems "auch erst durch den Brief überrascht worden", sagt Martin Klesmann vom Bildungssenat. "Wenn das jetzt Mittelschichtskinder gewesen wären, hätten die Eltern bestimmt früher Alarm geschlagen." Klesmann sieht die Gründe für den vorübergehenden Platzmangel auch in dem Kompetenzwirrwarr zwischen Senat, Bezirksschulamt und den Schulen selbst. "Warum das nicht im Stillen gelöst worden ist, fragen wir uns auch", sagt Klesmann. Denn wie sich schließlich gezeigt habe, sind durchaus ausreichend Plätze für die 86 Schülerinnen und Schüler vorhanden.

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SZ vom 13.01.2020
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