Studium:Wer will schon Vorlesungen halten?

Lehrveranstaltungen an deutschen Unis sind oft öde, Professoren haben wenig Lust darauf. Das liegt im Hochschulsystem begründet.

Von Matthias Kohlmaier

Oft passiert es in Einführungsveranstaltungen, in großen Sälen mit Hunderten Studierenden. Vorne steht ein angegrauter Professor und liest vor, und zwar genau die Vorlesung, die er seit gefühlt 43 Semestern an dieser Stelle vorliest. Zuschauer halten sich krampfhaft wach, dem Alten vorne ist es egal, er denkt beim Lesen über wichtigere Projekte nach.

Dass die Qualität der Lehre an deutschen Hochschulen oft mäßig bis mies ist, das wissen nicht nur die Studierenden, sondern auch die Lehrenden selbst. Bei einer Umfrage sprachen sich vor einigen Jahren vier Fünftel der Befragten für eine didaktische Verbesserung der Lehre aus. Dennoch bleibt das Lehren für viele Dozenten und insbesondere Professoren ein Zahnarztbesuch: Lust hat man keine darauf; notwendig ist es aber; man versucht, es schnell und ohne großen Ärger hinter sich zu bringen.

Dass Seminare und Vorlesungen für viele Lehrende lästig sind, liegt auch im Hochschulsystem begründet. "Die meisten deutschen Unis fordern von ihren Professoren hohe Leistung in der Forschung und zusätzlich das Einwerben von Drittmitteln, die Lehre muss nebenbei laufen", sagt Annette Glathe, stellvertretende Leiterin der Hochschuldidaktischen Arbeitsstelle der TU Darmstadt.

An vielen Unis gibt es sogar Anreizsysteme für Professoren, die die Ignoranz gegenüber guter Lehre regelrecht fördern. In Zielvereinbarungen wird dann festgelegt, dass mehr Geld bekommt, wer viele Drittmittel einwirbt und möglichst umfangreich forscht und publiziert. Ob die Studierenden aus den Lehrveranstaltungen mehr als ein Gefühl der Schwermut mitnehmen, spielt keine Rolle.

Dementsprechend legen Habilitierte den Fokus auf die eigene Reputation, auf Veröffentlichungen und Fachvorträge. Das Thema Ausbildung kommt irgendwann danach. Fortbildungsangebote im Bereich Didaktik gibt es zwar, aber an den allermeisten Hochschulen ist die Teilnahme freiwillig. Wenn Lehrende Rat suchen, sagt Glathe, seien es meist die jüngeren. "Für die Professoren müssen wir eigene Veranstaltungen anbieten. Die meisten von ihnen nehmen sich als ausreichend kompetent in der Lehre wahr und sehen keine Notwendigkeit, etwas zu verändern." Jedenfalls solange die Evaluationen nicht allzu schlecht seien und Studierende sich nicht beschwerten.

"Die meisten Studierenden wollen keine Forscher werden"

Dass die Konzentration auf die Forschung dem Unterricht im Hörsaal schaden kann, weiß auch Uwe Kanning. Er ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück - und 2016 vom Karrieremagazin Unicum als Professor des Jahres im Bereich Medizin/Naturwissenschaft ausgezeichnet worden. "Universitätsprofessoren müssen sich klar darüber sein, dass die allermeisten Studierenden keine Forscher werden, sondern später in die Praxis gehen wollen", sagt Kanning.

Wissenschaftliches Downgrading könnte man das nennen, was er sich wünscht. "Man muss verstehen, dass die Leute, die einem in der Vorlesung gegenübersitzen, noch keine Experten in dem Fach sind. Man muss ein Stück weit eine andere Sprache sprechen als zum Beispiel auf einer wissenschaftlichen Konferenz." Natürlich sei das nicht einfach. Aber: "Der Hörsaal ist nicht immer der Ort, wo ich die hohe Expertise, die ich mir in meinem Fach erworben habe, auch ausleben muss."

Natürlich gibt es auch viele in der Lehre sehr engagierte Professoren. Solche, die sich selbst zurücknehmen, ihr Wissen über komplexe Zusammenhänge in eine verständliche Sprache übersetzen können. Beim Ruf auf Professuren spielt diese Fähigkeit aber nur eine untergeordnete Rolle. Ist in der Wirtschaft eine Führungsposition zu besetzen, ist es ganz normal, dass sich der potenzielle neue Arbeitgeber beim alten darüber erkundigt, ob der Bewerber eigentlich mit Menschen umgehen kann. Diese Kultur des Nachfragens gibt es an Universitäten kaum, sodass sich Berufungskomittees weiterhin auf Forschungserfolge und Publikationen von Kandidaten verlassen.

Dass von diesem Desinteresse gegenüber der Lehrqualität während eines Professorenlebens Tausende Studierende betroffen sind - geschenkt. "Ich finde, es darf niemand als Professorin oder Professor berufen werden, der keine umfassende didaktische Fortbildung vorweisen kann. Da müssen auch Themen wie Beraten, Prüfen, Betreuen und zum Beispiel Umgang mit digitalen Medien in der Lehre abgedeckt sein", sagt Hochschuldidaktikerin Annette Glathe.

Wer im Vertrauen bei Professoren und Dozenten nachfragt, hört zum Thema Lehre häufig die Worte ich muss und nur selten ich darf. Und er erfährt Geschichten wie die von dem Juniorprofessor, dem sein Einsatz für die Studierenden fast zum Verhängis geworden wäre. Sehr engagiert war er in der Lehre, die Evaluationsergebnisse hervorragend, weitergebildet hatte er sich, dazu in der Selbstverwaltung seines Fachbereichs eingebracht. Das Berufungskomittee aber bemängelte, dass er zu wenig veröffentlicht habe. Am Ende bekam er zwar die Stelle, aber mit der unterschwelligen Botschaft: Du wirst Juniorprofessor trotz und nicht wegen deines Engagements für guten Unterricht.

"Wer eine Professur anstrebt, muss leider aufpassen, dass er nicht zu viel Zeit und Energie auf die Lehre verwendet", sagt auch Annette Glathe. So gesehen ist es wenig verwunderlich, dass Vorlesungen und Seminare an vielen deutschen Unis langweilig sind. Um das zu ändern, arbeiten die Didaktiker an der TU Darmstadt zum Beispiel mit dem Zertifikat Hochschullehre. Die Fortbildung besteht aus mehreren Modulen und ist national und international anerkannt. Insgesamt sei das ein Zeitaufwand von etwa zweihundert Stunden verteilt auf drei Semester, schätzt Glathe. Und zwar ein aus studentischer Sicht unbedingt sinnvoller, findet sie: "Der Weg zur Professur dauert zehn bis zwölf Jahre. Da ist es doch nicht zu viel verlangt, sich in dieser Zeit professionell auf eine Aufgabe vorzubereiten, die später einen großen Teil der eigenen Berufstätigkeit ausmacht: Unterrichten von Studierenden."

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