Studium:Wenn Note 1,1 nicht zum Medizinstudium reicht

Medizin-Studium

Studienmaterial für angehende Mediziner: Nachbildung eines menschlichen Kopfes.

(Foto: dpa)

Bei der Zulassung zum Medizinstudium wird jedes Jahr Tausenden jungen Menschen der Zugang zum Arztberuf verwehrt - wegen ihrer Abiturnote. Das muss sich ändern.

Kommentar von Paul Munzinger

Arzt zu werden ist ein Berufstraum, der für zu viele junge Menschen in Deutschland unerfüllt bleibt. Wie dramatisch sich der Flaschenhals ins Medizinstudium verengt hat, zeigen die Zahlen: Um bundesweit 9176 Plätze konkurrierten zu diesem Wintersemester 43 184 Bewerber. Wer einen Abiturschnitt mitbringt, der jenseits von 1,0 oder 1,1 liegt, hat kaum eine Chance, in absehbarer Zeit zugelassen zu werden. Er oder sie muss sich auf eine Wartezeit einstellen, die derzeit bei mindestens 14 Semestern liegt - und damit länger dauert als das angestrebte Studium. Und während Zehntausende Bewerber leer ausgehen, werben deutsche Kliniken Jahr für Jahr Zehntausende Ärzte aus dem Ausland an, um den steigenden Bedarf zu decken. Es ist die ganz normale Absurdität, die der NC, der Numerus clausus, im Semesterrhythmus hervorbringt.

Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. So steht es im Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht urteilte bereits Anfang der 70er-Jahre, der Numerus clausus dürfe dieses Recht nicht zur hohlen Phrase werden lassen. Heute, da das Gericht wieder die Verfassungsmäßigkeit der Studienplatzbeschränkung in Medizin prüft, droht diese Gefahr mehr denn je. Der NC, einst als "situationsbedingte Notmaßnahme" gebilligt, ist Dauerzustand geworden. Die Anforderungen haben sich wegen rapide gestiegener Abiturienten- und Studentenzahlen ins Aberwitzige gesteigert - nicht nur in Medizin, sondern etwa auch in Psychologie. Was also tun?

Die naheliegende und von Ärzteverbänden seit Jahren erhobene Forderung lautet: Erhöht die Zahl der Studienplätze! So richtig dieser Ansatz ist, das Grundproblem würde er nicht lösen. Denn selbst die Bundesärztekammer wünscht sich nur zehn Prozent zusätzliche Plätze - das wären weniger als 1000. Die riesige Lücke zwischen Angebot und Nachfrage lässt sich so nicht schließen.

Den Hochschulen bleibt nichts anderes übrig, als sich um eine möglichst gerechte Mangelverwaltung zu bemühen. Gerecht, das bedeutet vor allem: Die Abiturnote darf nicht wie ein Fallbeil darüber richten, wer Medizin studieren darf und wer nicht. Zum einen, weil sich hinter dem Abitur in jedem Bundesland unterschiedliche Leistungen verbergen, die bei der Zulassung zum Studium dann auf einen Schlag verwischt werden. Vor allem aber, weil auch ein Französisch-Versager ein guter Arzt werden kann - vorausgesetzt, man gibt ihm die Gelegenheit.

Viel stärker als bisher müssen im Auswahlverfahren daher Berufserfahrung, Vorwissen und Motivation berücksichtigt werden. Viele Unis, das darf man nicht unterschlagen, tun das bereits. Sie setzen auf Gespräche, vergeben Bonuspunkte für ausgebildete Krankenpfleger oder Rettungsassistenten, halten Tests für Mediziner ab. In Heidelberg hat es so mindestens ein Bewerber mit der Abiturnote 2,2 ins Studium geschafft - gut, aber für Medizin eigentlich nicht gut genug. Bleibt zu hoffen, dass das irgendwann keine Nachricht mehr wert ist.

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