Studium:"Wenn Kinder das lernen, sind sie resistenter gegen radikale Bewegungen"

Studium: Sofia Ameen studiert Islamische Religion auf Lehramt.

Sofia Ameen studiert Islamische Religion auf Lehramt.

(Foto: privat; Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Sofia Ameen studiert Islamische Religion auf Lehramt. Warum sie das Studium begonnen hat und was sie Schülern gerne einmal beibringen würde.

Porträt von Tanja Mokosch

Sofia Ameen breitet die Arme aus. "Gut, dass wir uns endlich gefunden haben", sagt sie an einem von zahlreichen U-Bahn-Ausgängen derselben Station in der Nähe des "Instituts für Studien der Kultur und Religion des Islam" der Uni Frankfurt. Kurz zuvor hatte sie sich am Handy beschrieben: "Ich habe ein graues Kopftuch an und so eine gelbe Strickjacke." Die Strickjacke hängt inzwischen über ihrem Arm. Es ist schwül-heiß.

Die 28-Jährige studiert Lehramt für Englisch und Philosophie am Gymnasium im dritten Master-Semester in Mainz. Seit 2013 studiert sie außerdem Islamische Religion und ist inzwischen im sechsten Semester des Bachelors in Frankfurt. Dass sie als potenzielles drittes Unterrichtsfach islamische Theologie studiert, war anfangs nicht geplant, erzählt sie später im Fachschaftszimmer des Insituts. "Ich wollte aber immer Arabisch lernen, damit ich den Koran selbst für mich übersetzen und etwas damit anfangen kann." Zum Wintersemester 2011/2012 wurde der Studiengang an der Goethe-Universität Frankfurt angeboten. Sofia Ameen schrieb sich ein.

Ein Theologie-Studium als gläubige Person ist eine persönliche Sache, das streitet sie nicht ab: "Klar hat das einen Bezug zur Religion, aber mehr auf einer wissenschaftlichen Ebene." Dennoch denkt sie schon jetzt mit, wofür sie das Studium später gebrauchen will: den Unterricht, am liebsten mit Schülern ab der Mittelstufe. Als Pädagoge müsse man "klientenorientiert" arbeiten, sagt sie, den Schüler in den Vordergrund stellen. Für ihre erste Bachelorarbeit hat sie sechs muslimische Jugendliche an einen Tisch gesetzt. Einer war Araber, einer Palästinenser, einer Türke, einer Kurde, einer gehörte der Ahmadiyya-Gemeinschaft an und einer war homosexuell. Sie sollten über ihr Selbstbild als Moslem und ihre Rolle im Klassenzimmer sprechen - miteinander. "Sie hatten verschiedene Meinungen, aber dadurch, dass sie in der Oberstufe waren, konnten sie differenziert argumentieren."

"Differenziert" ist das Schlüsselwort der Begegnung mit Sofia Ameen. Dass die 28-Jährige im Unterricht mit Kindern keine Erfüllung finden würde, ist nach wenigen Sätzen klar. Alles, was sie sagt, ist ausgelegt auf sachlichen Diskurs. Wie sie mit dem Konflikt zwischen Glaube und Wissenschaft in ihrem Studium umgehe? Es gebe keinen, sagt sie. Der Glaube schließe die Wissenschaft nicht aus. "Für mich", sagt sie - und so wird sie noch viele ihrer Antworten einleiten -, "leuchtet es viel mehr ein, den Glauben aus einer wissenschaftlichen Perspektive kennenzulernen."

Sofort beginnt sie von den vier Rechtsschulen des sunnitischen Islam zu erzählen, als müsse sie sich für irgendetwas rechtfertigen: Es sei nicht so einfach mit dem Koran. Es ginge nicht darum, eine Linie zu verfolgen. Viel interessanter sei es doch, Bezüge herzustellen, Meinungen gegeneinander abzuwägen, aber alle zu respektieren - wie es auch die Gelehrten getan hätten. "Ich habe das Gefühl, das geht immer mehr verloren. Viele sagen heute: Ich befolge nur noch diese eine Linie und alle anderen sind nicht mehr relevant für mich."

Besonders wichtig seien dafür auch die Hadith-Wissenschaften, die sich mit der Überlieferung der Handlungen Mohammeds auseinandersetzen: "Es ist wichtig zu wissen, in welchem historischen Kontext der Prophet gehandelt hat. Man kann nicht einfach sagen, damals hat er das so gemacht, also müssen wir das heute auch so machen. Oft hat der Prophet verschiedenen Gläubigen zu genau derselben Stelle im Koran ganz unterschiedliche Handlungsanweisungen gegeben. Es ist nie schwarz-weiß." Sofia Ameen erzählt engagiert, aber ihre Stimme wird nie lauter als nötig. Sie sitzt ruhig auf ihrem Stuhl. Sogar ihre Hände bleiben die meiste Zeit auf dem Tisch liegen.

Dass es nie "schwarz-weiß" sei, das lerne man in der Moschee nicht, sagt sie. Sofia Ameen hatte selbst nie Unterricht in der Moschee. Vielleicht hat sie sogar nie irgendetwas dort gelernt, denn auch zum Beten ging sie schon vor dem Studium selten hin. Jetzt noch seltener. Ein bis zwei Mal im Jahr vielleicht, zum Opferfest zum Beispiel, weil dann die ganze Familie da ist. "Ich fühle mich da nicht angesprochen und gehe lieber selbst an den Text ran, als ihn mir vorlesen zu lassen", sagt sie.

Kopftuch? Im Winter tut's auch eine Mütze

Gelernt hat Sofia Ameen dafür umso mehr auf zwei Reisen in ihrem Leben. Sie kam im Kindergartenalter mit ihren Eltern aus Kaschmir nach Deutschland, ist in einem Dorf in der Nähe von Frankfurt aufgewachsen. Als sie in der siebten Klasse war, ist ihre Familie für drei Jahre zurück nach Kaschmir gegangen. Der Vater wollte, dass die Kinder ihre Wurzeln kennenlernen. Dort hat Ameen gelernt, Urdu und Hindi zu schreiben und zu lesen und angefangen, sich selbst mit dem Koran auseinander zu setzen. In Deutschland waren sie und ihre Familie die einzigen "echten" Migranten im Dorf, wie sie sagt. Sofia Ameen durchlebte den klassischen Konflikt der Generation, deren Eltern ausgewandert ist: In Deutschland wird sie nicht als Deutsche wahrgenommen, in der vermeintlichen Heimat ist sie die Deutsche. Trotzdem verändert sie das Leben in Kaschmir: "Ich war zuvor total introvertiert, als ich zurückkam, war ich das Gegenteil."

Sofia Ameen versteckt sich nicht unter ihrem Kopftuch, das inzwischen so selbstverständlich zur Beschreibung ihres Aussehens gehört wie eine gelbe Strickjacke - obwohl sie es erst seit wenigen Jahren trägt. Mit 25 hat sie ein Auslandsjahr gemacht, in San Diego, Kalifornien. Die zweite große Reise. Sie kam mit Kopftuch zurück. Wäre sie nicht in die USA gegangen, sagt sie heute, sie würde vermutlich noch immer keines tragen. Ihre Familie verlangt es nicht von ihr. Als sie dem Vater von ihrem Entschluss erzählte, sagte er, sie müsse es sich doch nicht unnötig schwer machen. Aber Ameen will. "Ich habe in San Diego so viele so unterschiedliche Menschen getroffen wie nie zuvor. Jeder konnte einfach der sein, der er wollte." Frei vom gesellschaftlichen Druck, den sie in ihrer Heimat verspürte, entschloss Ameen sich also, Kopftuch zu tragen. Die Haare, erklärt sie, seien ein Zwischending zwischen direktem und indirektem Reiz. Sie fühle sich so wohler.

In ihrer Heimat Hessen ist Lehrern das Tragen religiöser Symbole seit 2004 per Gesetz verboten. "Ob ich jetzt den ganzen Arm volltätowiert habe oder dieses Tuch trage - ich finde es nicht in Ordnung, dass so etwas beruflich irgendetwas beeinflusst." Sie wolle als deutsche Bürgerin auf ihr Grundrecht auf Religions- und Meinungsfreiheit auf keinen Fall verzichten oder sich darin einschränken lassen. "Das Tragen oder Nicht-Tragen ist eine persönliche Entscheidung", sagt sie. Ein Etikett braucht die Kopfbedeckung dafür nicht: Im Winter trage sie auch einfach eine Mütze, und auch sonst manchmal etwas "Turbanartiges".

Das Argument, sie beeinflusse ihre zukünftigen Schüler mit einer Kopfbedeckung, bringt sie selbst auf und wehrt es sofort ab: "Jeder Lehrer hat eine Überzeugung. Man beeinflusst die Schüler durch seine Art und sein Auftreten - so, dass aus ihnen ein tolles Individuum wird und nicht so, dass sie das nachmachen, was ich tue."

Ein bisschen Geschichte, ein bisschen Ethik

Wieder ist Sofia Ameen in Gedanken im Klassenzimmer angekommen. Klientenorientiert. Als sie selbst zur Schule ging, besuchte sie Ethik- oder Philosophiestunden, während die anderen im Religionsunterricht saßen. Wie der islamische Religionsunterricht an Mittel- und Oberstufe, den es in Deutschland bislang bundesweit an nur wenigen weiterführenden Schulen gibt, aussehen könnte? Ein bisschen wie Geschichtsunterricht, meint Ameen. Für sie ist das Unterricht, den sie vielleicht nie halten wird. In Rheinland-Pfalz und Hessen, den Bundesländern, in denen sie am wahrscheinlichsten arbeiten wird, bieten bislang nur drei Gymnasien islamische Religion an.

Sie hat trotzdem eine genaue Vorstellung: Es sei wichtig, dass sie sich mit der Religion gut auskenne und wisse, dass zum Beispiel im 6. Jahrhundert eine andere Auslegung des Korans der Zeitgeist war als im 8. Jahrhundert. "Wenn die Kinder das lernen", sagt sie, "sind sie viel resistenter gegen radikale Bewegungen." Dann könnten sie sagen: "Das haben wir aber nicht so gelernt. Das war in einem ganz anderen Kontext." Von der Fachdidaktik her müsse der Unterricht ablaufen wie Ethik oder Philosophie: Ausgelegt auf Diskurs. Differenziert.

So differenziert sind Sofia Ameens Antworten, dass sie nach drei Jahren Studium der Islamwissenschaften zum Abschluss sagt: "Ich weiß gar nichts. Das einzige, was ich tun kann, ist einen Weg für mich zu finden und zu versuchen, andere in dem, was sie tun zu verstehen." Genau das wolle sie ihren Schülern einmal beibringen.

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