Studium:Warum Studierende bald mehr kopieren müssen

Hand auf Kopierer

Auf die Plätze, fertig, kopieren!

(Foto: iStockphoto)
  • Zum 1. Januar 2017 soll das Verfahren, nach dem Werkauszüge in digitalen Vorlesungsskripten abgerechnet werden, geändert werden.
  • Bisher gab es eine Pauschalvergütung, künftig sollen Dozenten jede Quelle einzeln an die VG Wort melden.
  • Die Unis fürchten, dass sich der Mehraufwand negativ auf die Lehre auswirkt.

Von Matthias Kohlmaier

Früher: Wer ordentlich studieren wollte, ging zwischen Vorlesung und Seminar in die Uni-Bibliothek und suchte den Ordner mit Kopiervorlagen, um sich mit Lehr-/Lernmaterialien für eine bestimmte Veranstaltung auszustatten. Mitsamt Ordner - falls selbiger gerade verfügbar und nicht ein Kommilitone schneller war - ging man zum nächsten Kopierer und vervielfältigte alles, was man brauchte.

Heute: Wer ordentlich studieren möchte, kann noch immer zwischen Vorlesungen und Seminaren in eine Uni-Bibliothek gehen. Die Kopiererei kann man sich aber gewöhnlich schenken, denn viele Unterrichtsmaterialen sind in einem digitalen Semesterapparat zu haben. Dafür loggt man sich per Passwort ein, von zu Hause aus oder von wo auch immer, und lädt herunter, was für die kommenden Lehrveranstaltungen wichtig ist.

Kurzum: Das Internet und die digitale Bereitstellung von Skripten haben das Leben vieler Studierender deutlich komfortabler gemacht. Ab dem 1. Januar 2017 könnte sich für viele von ihnen jedoch das komfortable Heute ganz schnell wieder in das kopierwütige Früher verwandeln.

An diesem Punkt waren Unis, Lehrende und Studierende vor ziemlich genau einem Jahr schon einmal - und das liegt am Urheberrecht und der Verwertungsgesellschaft Wort, kurz VG Wort. Letztere ist ein Zusammenschluss von Autoren und Verlagen, der Tantiemen aus Zweitnutzungsrechten einnimmt und an die Urheber weitergibt. Wenn in einem digital von der Uni bereitgestellten Skript urheberrechtlich geschützte Quellen verwendet wurden, konnte das bisher mit recht geringem Aufwand pauschal abgerechnet werden.

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2013 darf diese für Hochschulen und Länder sehr angenehme Praxis aber nicht dauerhaft aufrechterhalten werden. In Zukunft - die eigentlich bereits vor Monaten beginnen sollte, schließlich einigte man sich aber für 2016 darauf, noch mal pauschal abzurechnen - muss jede Seite aus jedem Skript einzeln gemeldet und bezahlt werden. Das gilt selbst dann, wenn das Skript vom Dozenten passwortgeschützt nur einer Handvoll Seminarteilnehmern zugänglich gemacht wird.

Eine bürokratische Katastrophe, fürchten die Unis. Sie sehen einen Riesenaufwand auf ihre Dozenten zukommen, die alle Skripte durchforsten und entsprechende Stellen an die VG Wort melden müssten. Was das neue System für Lehrende bedeuten könnte, wurde 2014/15 an der Uni Osnabrück getestet. Demnach hielt mehr als ein Drittel der Dozenten das Verfahren für zeitlich und organisatorisch unzumutbar.

"Im schlimmsten Fall haben wir ab Januar chaotische Verhältnisse"

Was geht uns das an?, fragen nun womöglich viele Studierende. Eine Menge, denn laut der Studie ist damit zu rechnen, dass Lehrende wegen des Mehraufwands und der Unsicherheit, was wie an die VG Wort gemeldet werden muss, deutlich weniger Skripten digital bereitstellen. "Knapp zwei Drittel der Studierenden gaben an, dass sich im Semester des Piloteinsatzes der Aufwand für die Literaturbeschaffung erhöht (36 Prozent) beziehungsweise sogar stark erhöht (26 Prozent) hat", schreiben die Projektleiter aus Osnabrück. Auf die Plätze, fertig, kopieren!

Käme das alles so, würden viele Studierende zumindest vorübergehend wieder lernen wie ihre Elterngeneration Jahrzehnte zuvor. Weil das viele Uni-Chefs nicht akzeptieren wollen, weigern sie sich bis dato, dem Rahmenvertrag mit der VG Wort beizutreten. Wolfgang-Uwe Friedrich, Präsident der Uni Hildesheim, sagt: "Sicher ist, dass wir keinen Vertrag unterschreiben, der Studierenden und Lehrenden viele Nachteile bringen würde. In diesem Fall kommt auf die Studierenden und Lehrenden ab Januar eine Übergangszeit zu, die den Betrieb in den Hochschulen schwieriger gestalten wird, aber keinesfalls lahmlegt."

Damit will er nicht die Bedeutung des Urheberrechts verkennen. Natürlich wolle man nicht, "dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihren Anspruch auf Vergütung verlieren". Der Aufwand bei einer möglichen Einzelabrechnung stehe aber in keinem Verhältnis. Die VG Wort sieht das anders. Man habe das Meldeverfahren seit dem Pilotversuch in Osnabrück vereinfacht und nutzerfreundlicher gestaltet. "Das System arbeitet technisch einwandfrei und die Meldungen lassen sich ohne großen Zeitaufwand vornehmen", heißt es in einer Mitteilung.

Man ist sich also einig, dass man sich nicht einig ist. Die Hochschulen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens hoffen dennoch auf eine einvernehmliche Lösung und haben sich Anfang November schriftlich an die VG Wort gewandt. Ihre Wünsche:

  • Eine auf Einzelabrechnungen basierende Vergütung der VG Wort kommt nicht in Frage.
  • Durch eine aussagekräftige Teilerhebung an einzelnen Hochschulen wird die tatsächliche Nutzung digitaler Sprachwerke ermittelt.
  • Auf Basis dieser Teilerhebung einigt man sich auf eine jährliche Gesamtvergütung über einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren.
  • Nach Ende dieser Laufzeit ermittelt man erneut, ob die Vergütung noch angemessen ist oder geändert werden muss.

Die VG Wort scheint allerdings keinen großen Gesprächsbedarf zu sehen, jedenfalls hat sie auf das Schreiben noch nicht reagiert. Bereits nachdem sich viele Hochschulen geweigert hatten, dem Rahmenvertrag beizutreten, hatte VG-Wort-Geschäftsführer Rainer Just dem Deutschlandfunk mit Blick auf die Unis gesagt: "Vielleicht kehrt da noch etwas mehr Realitätsbezug irgendwo ein."

Und die Studierenden? Die könnten vom 1. Januar an bei dieser Zankerei der kopierende Dritte sein.

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