Süddeutsche Zeitung

Studium:Warten auf einen Studienplatz wird sich für viele nicht mehr lohnen

  • Die Studienplatzvergabe für Medizin ist teilweise verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.
  • Bis Ende 2019 müssen Bund und Länder deshalb die Auswahlkriterien neben der Abiturnote neu regeln.
  • Eine Begrenzung der Wartezeit wird dann dazu führen, dass einige Anwärter keine Chance mehr auf einen Studienplatz haben.

Von Larissa Holzki

Das Vergabeverfahren für Studienplätze im Fach Humanmedizin ist teilweise verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag entschieden. Das Auswahlverfahren verletzt demnach die Chancengleichheit der Studienbewerber und ist in einigen Bereichen mit dem Grundgesetz unvereinbar. Bund und Länder müssen deshalb bis Ende 2019 die Auswahlkriterien neben der Abiturnote neu regeln.

"Es wird in Zukunft bei der Auswahl der Bewerber gerechter zugehen", sagt Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler - einerseits. Denn die Kriterien bei der Auswahl der Bewerber werden durchsichtiger, überprüfbar und bundesweit einheitlicher. Andererseits werde eine neue maximale Wartezeit für einige Anwärter jede Hoffnung zunichtemachen: "Eine Garantie, zumindest irgendwann einen Studienplatz zu bekommen, gibt es nach der heutigen Entscheidung nicht mehr." Achelpöhler hatte einen der abgelehnten Bewerber juristisch vertreten, dessen Studienplatzklage das Bundesverfassungsgericht veranlasst hat, die Situation zu überprüfen. Er hat inzwischen einen Platz bekommen und somit Glück gehabt.

Am Vergabeschema für die Studienplätze soll sich grundsätzlich nichts ändern: 20 Prozent der Plätze sollen an diejenigen Bewerber mit den besten Schulnoten gehen, 20 Prozent an Bewerber, die bereits besonders lange warten. 60 Prozent der Bewerber dürfen die Hochschulen selbst aussuchen. Allerdings verlangt das Verfassungsgericht, dass dabei künftig Folgendes berücksichtigt wird:

Abiturbestenquote

Das Bundesverfassungsgericht hat keinerlei Bedenken dabei, dass 20 Prozent der Studienplätze in der Humanmedizin zentral an die Bewerber vergeben werden, die mit herausragenden Noten die Schule verlassen. Allerdings sollen es dann auch die Besten der Besten sein und das sei bisher nicht gegeben: Momentan wird auf der Rangliste nämlich auch berücksichtigt, welche sechs Wunschstudienorte ein Anwärter angegeben hat. Wenn die allerbesten Abiturienten alle die gleichen sechs Hochschulen wählen, bekommen in der Folge einige von ihnen keinen Platz, während andere mit etwas schlechteren Noten an unbeliebteren Hochschulorten zum Zug kommen. Künftig soll es daher eine reine Bestenauswahl geben, bei der (wie bisher) berücksichtigt wird, dass das Abitur in einigen Bundesländern schwieriger ist als in anderen.

Wartezeit

Bisher gilt: Die 20 Prozent der Bewerber, die schon am längsten warten, werden zugelassen - unabhängig davon, wie viele Wartesemester sie schon auf einen Platz hoffen. Entsprechend konnte sich jeder Bewerber darauf verlassen, auch mit schlechteren Abschlusszeugnissen irgendwann zum Studium zugelassen zu werden. Aber: Endloses Warten verschlechtert die Chancen, später erfolgreich zu studieren, sagen die Verfassungsrichter. "Sie gehen sozusagen davon aus, dass die Eignung zum Medizinstudium mit der Zeit verloren geht", erklärt der Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler. Deshalb wird die Wartezeit begrenzt.

Weil sich an den Studienplatzkapazitäten vorerst nichts ändern wird, heißt das: Das Recht auf einen Medizinstudienplatz läuft irgendwann ab. Auf eine bestimmte Dauer hat sich das Gericht heute zwar nicht festgelegt, in einer älteren Entscheidung hatte es sich jedoch dafür ausgesprochen, dass niemand länger als die Regelstudienzeit auf einen Platz warten müssen sollte, im Medizinstudium dauert diese zwölf Semester. Zum Wintersemester 2017/2018 wurden allerdings noch Wartende zugelassen, die 14 Semester ausgeharrt hatten. Die alte Äußerung könnte ein Hinweis darauf sein, wie die Vorgabe später konkretisiert wird, vielleicht wird die Grenze aber auch darunter angesetzt. Medizinbewerber, die heute schon vier oder fünf Jahre auf einen Platz warten, müssen daher zittern, dass 2020 nicht feststeht: Es war umsonst. Künftige Bewerber ohne Topnoten kann dieses Schicksal auch ereilen, sie kennen jetzt aber das Risiko.

Hochschuleigene Verfahren

Wenn die Hochschulen schon 60 Prozent ihrer Bewerber selbst aussuchen dürfen, müssen sie dabei andere Kriterien anlegen als im zentralen Vergabesystem, also bei der Bestenliste und der Wartezeitregel vorgesehen, heißt es seitens des Verfassungsgerichts. Die Richter machen den Hochschulen deshalb klare Vorgaben für ihre eigenen Verfahren:

  • Die Hochschulen müssen ein Auswahlkriterium einführen, das unabhängig von den Schulnoten ist.
  • Im Auswahlverfahren muss berücksichtigt werden, dass Top-Leistungen im Abitur in einigen Bundesländern schwieriger zu erreichen sind als in anderen.
  • Verfahren, mit denen die Hochschulen die Eignung ihrer Bewerber selbst prüfen und die Auswahl abhängig von vorangegangenen Berufsausbildungen, müssen standardisiert, das heißt objektiv nachvollziehbar und überprüfbar sein.

"Die Hochschulen werden nun erst mal stöhnen, weil sie künftig mehr Aufwand mit den Verfahren haben werden", sagt Verwaltungsrechtler Wilhelm Achelpöhler. Er schätzt, dass die Bedeutung des Medizinertests deutlich zunehmen wird. Dieser lasse sich vergleichsweise einfach durchführen.

Entscheidung könnte Folgen für andere Fächer haben

Die Entscheidung gilt zunächst für Studienplätze in der Human-, Zahn- und Tiermedizin sowie in der Pharmazie. In diesen vier Studiengängen werden die Plätze zentral vergeben. Nach Einschätzung von Rechtsanwalt Achelpöhler werden aber auch die Auswahlverfahren in anderen beliebten Studienfächern nun überprüft werden müssen. Denn auch in der Psychologie beispielsweise gibt es viel mehr Bewerber als Studienplätze. Die damit verbundenen Berufschancen müssten ebenfalls nach dem Maßstab des Bundesverfassungsgerichts gerecht verteilt werden.

In der Humanmedizin ist das Gerangel um Studienplätze allerdings besonders groß. Zum laufenden Wintersemester galt es nach den Zahlen der Stiftung Hochschulzulassung, 9176 Studienplätze deutschlandweit auf mehr als 43 000 Bewerber zu verteilen. Weil der großen Zahl an abgelehnten Bewerbern zugleich ein Mangel an Ärzten, vor allem im ländlichen Raum gegenübersteht, fordern unter anderem Ärztevertreter seit Langem, mehr Studienplätze zu schaffen. Aus dieser Sicht ist das große Interesse an den Plätzen eher ein Vorteil als ein Problem. Mehr Studienplätze zu schaffen wäre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht aber auch die einzige Möglichkeit, jedem, der grundsätzlich zu einem Medizinstudium befähigt ist, das Recht auf freie Wahl von Beruf und Ausbildungsstätte tatsächlich zu gewähren.

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