Studium:Wo die Schwächsten ausgebeutet werden

Bis zu 25 neue Professorenstellen für junge Wissenschaftler

Deutsche Unis verfügen über weniger Geld und weniger Personal als die internationale Konkurrenz.

(Foto: picture alliance / dpa)

Deutsche Universitäten verfügen über zu wenig Geld und Personal, um international glänzen zu können. Kein Wunder, dass sie in Ranglisten schlecht abschneiden.

Gastbeitrag von Christoph Clauser

In internationalen Ranglisten schneiden deutsche Universitäten nur mittelmäßig ab. Die Enttäuschung ist dann jedes Mal groß, denn diese Listen werden für Studierende wie für Lehrende immer wichtiger als Maß für Exzellenz und für die Auswahl von Universität, Studienland und akademischen Kooperationspartnern. Aber werden sie der Arbeit, die an deutschen Hochschulen geleistet wird, gerecht? Das muss man stark bezweifeln. Denn deutsche Universitäten haben einen erheblichen Wettbewerbsnachteil: Sie verfügen über weniger Geld und weniger Personal.

International gelten die Times Higher Education World Universities Rankings (THEWUR) und das Shanghai Ranking Academic Excellence Survey (SAES) als wichtigste Gradmesser für Exzellenz. Die THEWUR bewerten vor allem Zahlen zu Lehre, Forschung und Zitierhäufigkeit; das SAES wertet die Antworten von etwa 3500 renommierten Professoren aus. Beide setzen ihre Daten jedoch nicht ins Verhältnis zur finanziellen und personellen Ausstattung der Universitäten oder zur Lehrbelastung ihrer Professuren. Gut ausgestattete Universitäten mit geringer Lehrbelastung ihrer Professoren liegen daher notwendigerweise immer vorne.

Über den Autor

Christoph Clauser, 64, leitete bis Oktober 2018 den Lehrstuhl für Angewandte Geophysik und Geothermische Energie an der RWTH Aachen.

Die THEWUR 2019 zählen nur acht deutsche zu den Top-100-Universitäten, das SAES 2018 nur vier; keine rangiert unter den Top 30. Für dieses Abschneiden gibt es viele Gründe. Der wichtigste ist aber eindeutig die ungleiche finanzielle und personelle Ausstattung. Dies erschloss sich mir im Rahmen meiner Mitwirkung im englischsprachigen "Joint Master Program in Applied Geophysics" von drei Hochschulen: der Schweizer ETH Zürich, der niederländischen TU Delft und der RWTH Aachen. Alle drei gehören der IDEA League an, einem Zusammenschluss führender europäischer technischer Hochschulen, und belegten in der neuen THEWUR-Rangliste die Plätze 11, 58 und 87. Ein Vergleich von Haushaltsmitteln, Studierendenzahl, Professuren und ihrer Lehrbelastung zeigt, dass die TU Delft um rund das Fünfeinhalbfache und die ETH Zürich sogar 15-mal bessergestellt ist als die RWTH Aachen.

Natürlich erhebt dieser Vergleich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, doch offensichtlich repräsentieren die Ranglistenplätze nicht die Leistung, verstanden als das Verhältnis der geleisteten Arbeit zu den verfügbaren Ressourcen. Setzt man diese Daten ins Verhältnis, wird deutlich: Deutsche Universitäten, hier repräsentiert durch die RWTH Aachen, leisten tatsächlich Beachtliches und sind deutlich besser, als die Ranglisten nahelegen.

Diese Schlussfolgerung ist jedoch keine Bestätigung der deutschen Hochschulpolitik, im Gegenteil. Diese hat innerhalb meiner 45 Lebensjahre zwischen Studienbeginn und Emeritierung die Lehrbelastung deutscher Professoren um die Hälfte erhöht und gleichzeitig das Personal im wissenschaftlichen Mittelbau sowie im technischen Bereich der Universitäten drastisch reduziert. Begründet wird dies stets mit der Kapazitätsverordnung. Dieses detaillierte Regelwerk vergleicht Lehrangebot und Lehrnachfrage, bietet aber viele Stellschrauben: So wurde etwa an meiner eigenen Universität im Rahmen der Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem die Doktorandenbetreuung zu einer nicht mehr anrechenbaren Lehrleistung erklärt und somit vollständig zur Privatsache der Professuren.

Wundermittel E-Learning?

Die jeweiligen Landesregierungen entscheiden, welches Verhältnis von Studierenden pro Professur sie für angemessen halten. Es variiert von 51,5 in Mecklenburg-Vorpommern bis 99 in Nordrhein-Westfalen. Wird zur Bemessung die Anzahl an planmäßigem wissenschaftlichem und künstlerischem Personal herangezogen, so variiert diese Quote von 13,8 in Thüringen bis 25,8 in Nordrhein-Westfalen. So kann praktischerweise die Anzahl an Professuren trotz Stellenabbau und steigender Studierendenzahlen immer als angemessen definiert werden. International gelten diese Zahlen jedoch als sehr hoch. Und zweifellos sind sie "exzellenten" Universitäten nicht angemessen.

Wie bewältigen deutsche Universitäten diese hohe Lehrbelastung, die durch das schlechte Betreuungsverhältnis bedingt ist? Die deprimierende Antwort: durch Ausbeutung der Schwächsten im System. In vielen Fächern, insbesondere den Ingenieurwissenschaften, ist oft der einzige Ausweg, Doktoranden und ältere Semester zu Vorlesungen und Übungen sowie der zeitaufwendigen Klausurkorrektur heranzuziehen. Mit dieser sogar die Hochschulgesetze verletzenden Praxis wird der Mangel an Lehrenden verschleiert und durch abhängige Personen kompensiert. Nur so bewältigen einige Fakultäten selbst eine Überlast von mehr als 150 Prozent. Die paradoxe Folge ist eine interne Umverteilung von Ressourcen aus Fakultäten mit geringer zu jenen mit großer Überlast. Es werden also nicht die überlasteten Fakultäten zur Anpassung ihres Lehrangebots an die vorhandene Kapazität aufgefordert - vielmehr werden die voll ausgelasteten Fakultäten bestraft, sie müssen Ressourcen abgeben. Es ist wahrlich ein Stück aus dem universitären Absurdistan.

Als neues Wundermittel gegen Überlast wird seit einiger Zeit das E-Learning angepriesen. Wird dies wie vom MIT und von Harvard mit Millionen Dollars umgesetzt, dann können sich daraus sogar eigenständige Selbststudiengänge entwickeln. Ähnliches wird in Deutschland seit vielen Jahren von der Fernuniversität Hagen angeboten, wenn auch meist nicht internetbasiert. Sollte der Dienstleistungssektor im Rahmen zukünftiger Freihandelsabkommen vollständig liberalisiert werden, werden solche Angebote sicher auch in Deutschland vermarktet werden, mit weitreichenden Folgen für die gesamte Bildungslandschaft.

Wie sollen unsere Universitäten damit konkurrieren? Die Antwort ist: durch Rückbesinnung auf ihre Tradition und eigentliche Stärke als Präsenzuniversitäten. Und vor allem, jenseits aller Exzellenzwettbewerbe, durch bessere personelle und finanzielle Ausstattung und ein Verhältnis von Lehrenden zu Studierenden, das exzellenten Universitäten angemessen ist. Dann würde wieder die Einheit von Forschung und Lehre im Mittelpunkt stehen und nicht der Zwang, mit möglichst wenig Lehrenden möglichst viele Studierende durchzuschleusen.

Dies erfordert ein Umdenken in der Bildungspolitik. Es sollte nicht nur vor Wahlen die Bedeutung von Bildung als "wichtigstem Rohstoff" betont, sondern danach tatsächlich mehr Geld in Personal und Infrastruktur der Hochschulen investiert werden. Dann müssten auch nicht mehr die Schwächsten im Hochschulsystem seine Mängel kompensieren.

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