Studium speziale: Frisistik:"Mein Studium hat nichts mit Haaren zu tun"

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(Foto: Illustraton Jessy Asmus)

Als Thede Thießen Germanistik studiert hat, saß er in vollen Hörsälen. Jetzt sitzt er manchmal mit den Dozenten allein im Kurs. Nicht um Frisuren geht es dabei, eher um Worte wie: "Rüm hart, klaar kiming".

Protokoll von Julian Erbersdobler

Thede Thießen studiert im Master Frisistik (Friesische Philologie) in Kiel. Er schätzt vor allem die Augenhöhe zu Dozenten und Professoren.

Warum nicht BWL: "Wie man an meinem Namen vielleicht schon erahnen kann, komme ich aus Nordfriesland. Ich bin direkt an der dänischen Grenze aufgewachsen. Mein Urgroßvater war aber der Letzte in der Familie, der auch wirklich Friesisch gesprochen hat. Ich finde das schade. Wenn eine Sprache ausstirbt, geht auch immer ein Stück Kultur verloren. Im Bachelor habe ich Germanistik studiert, auch da habe ich mich schon mit dem Friesischen auseinandergesetzt. Im Master Frisistik ist das aber natürlich noch viel intensiver. Gerade mache ich ein Praktikum an der Uni in Amsterdam. Gemeinsam mit meinem Professor analysiere ich Geschichten eines friesischen Lehrers. Mit einem HTML-Programm können wir nach bestimmten Wortkonstruktionen suchen, zum Beispiel nach dem Infinitiv III. Wir würden sagen: Es ist leicht, deutsch zu lernen. Im Friesischen heißt es: Es ist leicht und lern deutsch."

Thede Thießen

Thede Thießen studiert Frisistik in Kiel.

(Foto: privat)

Was ist anders: "Als ich noch Germanistik studiert habe, saß ich mit 500 anderen im Hörsaal. Ich hatte das Gefühl, dass Professoren einen erst im Master wirklich ernst nehmen. Das Problem ist auch: Je mehr Leute in einem Kurs sitzen, desto weniger fühlt sich jeder einzelne verpflichtet, mitzumachen. In der Frisistik ist das anders, hier geht es viel persönlicher zu. Wir duzen wir uns alle, sind ja auch nicht so viele. 2018 war ich der Einzige im Master, letztes Jahr ist noch einer dazugekommen. Mit den Bachelorstudierenden sind wir jetzt vielleicht zu zehnt. Manchmal sitzen wir zu dritt in Kursen, mein Professor, meine Dozentin und ich."

Lieblingsspruch auf Friesisch: "'Rüm hart - klaar kiming', das bedeutet 'Weites Herz - klarer Horizont'."

Das schwerstes Fach: "Westfriesisch. Da werden manche Buchstaben anders ausgesprochen, wenn das nächste Wort zum Beispiel mit einem S anfängt. Das war wirklich knifflig."

Wichtigstes Hausarbeitsthema: "Ich analysiere gerade eine 24-minütige Tonaufnahme eines Friesen aus meinem Heimatdorf, der den ersten Weltkrieg erlebt hat. Er hat am Hindenburgdamm mitgearbeitet, der Sylt mit dem Festland von Schleswig Holstein verbindet. Alleine das Transkribieren dauert schon ewig. Dazu kommt, dass der Mann teilweise nuschelt. Auch mein Professor versteht nicht alles. Aber der Aufwand lohnt sich trotzdem, weil sich noch niemand mit dieser Aufnahme auseinandergesetzt hat. Ein Stück Kulturgeschichte."

Wie andere reagieren, wenn sie Frisistik hören: "Viele kennen das Wort nicht und stellen dann irgendeinen Zusammenhang her, den es gar nicht gibt. Manche glauben, dass ich Friseurwissenschaft studiere. Mein Studium hat nichts mit Haaren zu tun."

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