Gleich auf ihrer Startseite zeigt die Webseite Hochschulkompass mehr als 20 000 unterschiedliche Studiengänge an - Tendenz steigend. Und da sollen Interessenten das Richtige für sich finden? Schwierig, auf den ersten Blick vielleicht sogar unmöglich.
"Die Wahlmöglichkeit hat auch Chancen", sagt Christiane Mateus, "durch die Fülle des Angebots sind Studienanfänger dazu gezwungen, sich intensiver mit der Studienwahl zu beschäftigen." Mateus ist stellvertretende Leiterin der Zentralen Studienberatung an der LMU München, mit mehr als 51 000 Studierenden zählt die Hochschule zu den größten Präsenz-Universitäten Deutschlands.
"Die Studienentscheidung ist ein Prozess, das braucht Zeit", sagt Mateus. Den Grund für die hohe Anzahl an Angeboten sieht die Beraterin zum einen in der starken Ausdifferenzierung der Studienfächer durch die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge, zum anderen im Ausbau der Fachhochschulen.
Womit willst du dich in den nächsten drei bis fünf Jahren intensiv beschäftigen? Auch das ist eine Frage, die Mateus in ihrer Beratung immer wieder stellt. "Je höher der Grad an Motivation für das Fach, an Identifikation mit ihm, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit eines sehr guten Abschlusses", sagt sie. "Das kann auch ein kleines, auf den ersten Blick eher abseitiges Fach sein. In jedem Fall lernen die Studierenden, kritisch zu denken, sich eine Methodik anzueignen und reflektiert an eine Problemstellung heranzugehen."
Gerade hatte Michael Seidl als Geschäftsführer einer Online-Druckerei in Coburg angefangen, als er durch Zufall vom Studiengang Zukunfts-Design erfuhr: In einem Vortrag ging es um Entwicklungen, die ein Unternehmen in seinem Fortkommen stören können. "Ich hatte sofort die eigenen Probleme in der Druckbranche vor Augen", sagt Seidl. "Uns macht die Verlagerung von Printwerbung in Richtung online immer mehr Probleme. Denn das führt letztendlich zu Preisverfall und Druckereisterben." Schon am nächsten Tag saß Seidl in der Hochschule Coburg im Auswahlgespräch - und bekam gleich die Zulassung.
Seit Oktober 2016 studiert er neben seinem Vollzeitjob Zukunfts-Design im Master-Studiengang. Für ihn lässt sich das gut vereinbaren, denn die Vorlesungen und Projekte sind an den Wochenenden. "Klar kostet das Freizeit, aber ich wollte unbedingt eine Weiterbildung machen", sagt Seidl. Nach dem Fachabitur studierte er BWL, Marketing & Vertrieb an der Hochschule Coburg und arbeitete sieben Jahre als Unternehmensberater - möglich, dass es wieder in diese Richtung geht. Im Januar hat er mit zwei Mitstudierenden die sogenannte Querdenkermanufaktur "Grill dein Unternehmen" gegründet.
Finanzberatung für Ordensschwestern
Eine Besonderheit des Studiums ist der hohe Praxisbezug: Der reine Frontalunterricht in den einzelnen Modulen ist auf ein Minimum beschränkt und geht fließend in die Arbeit an realen Projekten über. Seit diesem Semester sind das 62 Projekte mit insgesamt 41 externen Projektpartnern aus der Region. In diesem Semester arbeiten die Studierenden etwa mit einem Orden zusammen und versuchen, Lösungen für die finanziellen Probleme der Ordensschwestern zu entwickeln. Anders als bei einer Unternehmensberatung handelt es sich grundsätzlich um Projekte mit offenem Ausgang - somit haben die Studierenden die Freiheit, außergewöhnliche Ideen zu entwickeln.
Für Seidl steht jetzt zum Ende des sechsten Semesters eigentlich nur noch die Masterarbeit an. Doch er will sich Zeit lassen: "Das Studium hat mein Mindset, die Art zu denken, nachhaltig verändert. Durch das Arbeiten in interdisziplinären Teams bekommt man einen anderen Blickwinkel auf die Dinge - weit über den Tellerrand hinaus. Zum Beispiel, wenn es um innovative Lösungsansätze geht."
So habe er gelernt, dass die Fragestellung häufig gar nicht unbedingt das Problem sei. Etwa bei der Zusammenarbeit mit einem Bäcker, der von den Studierenden zu einem neuen Kassensystem beraten werden wollte. "Wir haben herausgefunden, dass es für den Bäcker viel mehr bringt, wenn er eine bestimmte, besonders schmackhafte Brotsorte bewirbt", sagt Seidl.
In seinem Studiengang lernte der Gründer zusammen mit Sozialpädagogen, Ingenieuren, Architekten. "Davon profitiere ich sehr. Als BWLer tendiere ich oft zu schnellen, kostengünstigen Lösungen. Dabei ist das auf längere Sicht oft nicht das Beste und nicht das Zukunftsfähigste."
"Körperpflege? Das kann man studieren? Lernst du da, wie man sich richtig wäscht?" Solche Sprüche hat Karolin Ludwig zu Beginn ihres Studiums an der TU Darmstadt oft zu hören bekommen. Inzwischen lächelt sie sie weg.
Körperpflege studiert man, wenn man Berufsschullehrerin werden will und dann zukünftige Friseurinnen und Friseure sowie Kosmetikerinnen unterrichtet. Genau das hat Karolin Ludwig vor. "Das Lehrerding war schon immer in meinem Kopf", sagt sie, "als ich noch an der Berufsschule war, habe ich meinen Mitschülerinnen immer gerne den Stoff erklärt, wenn sie Schwierigkeiten hatten." Sie gab auch Nachhilfe, engagierte sich als Schülersprecherin - und sprach immer schon gerne vor Menschen.
Schwerpunkte in ihrem Studium sind Biologie, Chemie sowie Mode und Ästhetik. Auch Kurse in Didaktik und Pädagogik gehören dazu. Vor allem Chemie und Biologie "gehen sehr in die Tiefe", sagt Ludwig, "Zellbiologie, Dermatologie, Humanbiologie, Allgemeine und Organische Chemie, Kosmetikchemie. Im Seminar Modetheorien lesen wir Texte des Philosophen und Soziologen Georg Simmel und des französischen Philosophen Roland Barthes."
Kritische Analyse von Haarmoden
Nach dem Abitur hatte sich Karolin Ludwig für eine Lehre als Friseurin entschieden. Gleich nach Abschluss ihrer Ausbildung setzte sie noch den Meister drauf und machte sich mit ihrem mobilen Friseursalon "Kopfsache" im hessischen Nidda selbständig. Es lief gut, und so hätte es weitergehen können. "Ich arbeite wirklich gerne als Friseurin, aber ich habe gemerkt, dass ich das nicht mein Leben lang jeden Tag machen möchte", sagt Ludwig.
Inzwischen hat sie neben ihrem Studium einen Job als wissenschaftliche Hilfskraft an der Uni. Und betreibt weiterhin ihren mobilen Friseursalon. "Ich konnte schon einiges umsetzen, was ich im Studium gelernt habe." Ihr Blick auf die Inhaltsstoffe bestimmter Präparate und auf Schönheitsideale sei noch kritischer geworden. "Ich frage mich öfter: Was symbolisieren bestimmte Haarmoden? Muss man das wirklich mitmachen? Was steckt hinter Schönheitsidealen, wie dem Trend, Körperbehaarung zu entfernen?"
Um Berufsschullehrerin zu werden, muss Karolin Ludwig nach dem Bachelor noch einen Master absolvieren, dann das Referendariat. Schon jetzt, während des Studiums, unterrichtet sie im Rahmen einer Hospitation zukünftige Friseur- und Kosmetik-Azubis an der Berufsschule. "Das mache ich wirklich gern", sagt sie. Keine Frage, ihre Studienwahl war die richtige. Nur einen anderen Namen für das Fach solle man sich vielleicht mal ausdenken.
Ursprünglich wollte Lea von Berg vor allem "irgendwas mit Sprachen" studieren. Und wählte den Klassiker Germanistik, kombiniert mit Kunstgeschichte im Nebenfach. Mediävistik, also die Wissenschaft, die sich mit der deutschen Sprache und Literatur des Mittelalters befasst, gehört in den Anfangssemestern zu den Pflichtfächern im Germanistikstudium. "Das hat mich gleich gereizt, weil man noch so viel selbst entdecken kann und eine Menge unbeackerter Felder findet", sagt sie. Ein Proseminar im zweiten Semester mit dem Titel "Heitere Dichtung des Mittelalters" brachte sie endgültig dazu, sich für mittelalterliche Literatur zu begeistern. Seitdem lässt sie die Mediävistik nicht los.
Nach dem Bachelor schloss sie gleich ihr Masterstudium an - Mittelalter- und Renaissancestudien, ein interdisziplinär angelegter Studiengang. "Das ist genau das, was ich wollte, gerade, weil hier andere Fächer mit einbezogen werden. Und das beugt dem Fachidiotentum vor. Man kommt nicht weiter, wenn man nicht rechts und links schaut", erläutert die Studentin. Sie hat sich für den Schwerpunkt Germanistik entschieden, dazu kommen Philosophie, Theologie und Geschichte.
Und hinterher? Vielleicht im Museum arbeiten
Derzeit sitzt Berg an ihrer Masterarbeit. Darin beschäftigt sie sich mit der Äbtissin Caritas Pirckheimer, einer bekannten Persönlichkeit zur Zeit der Reformation, die unter anderem im regen Briefwechsel mit dem Maler Albrecht Dürer und dem Gelehrten Erasmus von Rotterdam stand. Wenn alles gut geht, kann sie die Arbeit im Sommer abgeben. Und dann? "Ziemlich sicher werde ich promovieren, und ich würde gerne im wissenschaftlich-akademischen Bereich arbeiten."
Als wissenschaftliche Mitarbeiterin verdient sie heute schon etwas dazu. Und sie sieht die Berufsaussichten an der Universität realistisch - wie schwierig es ist, tatsächlich in diesem Bereich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, weiß sie. "Ich könnte mir auch vorstellen, in einem Museum zu arbeiten", sagt sie.
Wenn die Freiburgerin gefragt wird, was sie studiert, hat sie manchmal das Gefühl, sich verteidigen zu müssen. "Es gibt eine Menge Vorurteile: Viele denken, wir lesen den ganzen Tag, und fragen, was man denn mit so einem Studium anfangen kann." Lea von Berg geht jedenfalls ganz in diesem Fachbereich auf - und sieht immer wieder Bezüge zur Gegenwart: "Das Studium regt dazu an, Transferleistungen zu vollziehen. Zum Beispiel, wenn wir die Erfindung des Buchdrucks mit der momentanen Digitalisierung vergleichen. Das hat die Kommunikation im Spätmittelalter genauso grundlegend verändert wie die Digitalisierung unsere heutigen Kommunikationsgewohnheiten."