Studium:"Ich bin sehr tierversuchskritisch, aber ..."

Tierversuche sind umstritten. Häufig werden sie an Mäusen durchgeführt.

Umstrittener wissenschafticher Alltag in deutschen Laboren: Tierversuche.

(Foto: Jan-Peter Kasper/dpa)

Helene Richter ist Professorin für Tierschutz. Im Unigespräch erklärt sie, wie man herausfindet, ob Labormäuse optimistisch sind.

Interview von Matthias Kohlmaier

In den Unigesprächen befragen wir Forscher und Hochschullehrer, die sich mit einem sehr speziellen Fachgebiet beschäftigen. Diesmal im Interview: Helene Richter, die mit einer neuen Professur für Tierschutz und Verhaltensbiologie ausgestattet neben ihren Kollegen Sylvia Kaiser und Norbert Sachser an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster forscht und lehrt.

SZ.de: Frau Richter, laut Klischee wollen alle tierlieben Studentinnen Tierärztinnen werden. Warum sind Sie einen anderen Weg gegangen?

Helene Richter (lacht): Von diesem Klischee habe ich schon ein- oder zweimal gehört. Aber im Ernst: Weil mich der wissenschaftliche Aspekt mehr interessiert. Jeder tierliebe Mensch glaubt doch, einen Zugang zu Tieren zu haben. Mir reicht es aber nicht, mich auf mein Gefühl zu verlassen. Ich möchte wissenschaftlich belegen können, ob es einem Tier gut oder schlecht geht.

Haben Sie selbst Haustiere?

Ja, eine Mischlingshündin aus dem Tierheim.

Gehen Sie mit ihr aufgrund Ihrer Forschung anders um als der durchschnittliche Hundehalter?

Ich versuche, mein eigenes Tun immer wieder zu hinterfragen. Aber es gibt tatsächlich auch Situationen, wo ich wissenschaftliche Konzepte aus meinem Beruf auf meinen eigenen Hund übertrage.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Wir haben es im Labor lange Zeit nicht geschafft, herauszufinden, ob Mäuse eine große von einer kleinen Belohnung systematisch unterscheiden können. Also habe ich das Verfahren zu Hause ausprobiert und kann sagen: Wenn ich Lilly zwischen zwei Futternäpfen wählen lasse, die zuvor mit verschieden großen Futterportionen gefüllt waren, entscheidet sie sich zuverlässig für den Napf, in dem ursprünglich die große Portion gelegen hat.

Sie beschäftigen sich beruflich viel mit Tierversuchen. Als tierlieber Mensch muss das auf Dauer sehr belastend sein.

Absolut. Da überlappen sich Beruf und Privatleben dann auch manchmal. Wenn ich zum Beispiel an der Supermarktkasse stehe und vor mir kauft jemand Eier von Hühnern aus Bodenhaltung, fällt es mir schon sehr schwer, demjenigen nichts über die unwürdigen Haltungsbedingungen dieser Hühner zu erzählen. Aber ich denke mir dann auch, dass die meisten Menschen ja nicht aus Boshaftigkeit so handeln, sondern aus Unwissenheit.

Gibt es denn Forschungsbereiche, in denen Tierversuche noch immer notwendig sind?

Noch gibt es die, ja. Das liegt daran, dass viele Richtlinien gar kein anderes Vorgehen ermöglichen. Sehen Sie sich das Arzneimittelgesetz an: Bestimmte Substanzen müssen einfach zuerst am Tier getestet werden, bevor man das am Menschen tun darf. Als Privatperson würde ich mir aber natürlich wünschen, dass man langfristig ganz auf bestimmte Tierversuche verzichten kann.

Und als Wissenschaftlerin?

Sehe ich diese Zukunft leider noch nicht sehr bald kommen. Bei dem Thema muss man sich aber auch darüber im Klaren sein, dass nicht alle Tierversuche grundsätzlich schlimm sind.

Das müssen Sie erklären.

Die meisten Menschen haben beim Begriff Tierversuch vermutlich einen Affen mit Elektroden im Hirn vor Augen. So etwas prägt sich ein, ist jedoch nur ein winzig kleiner Teil der Realität. Wenn zum Beispiel Zugvögel mit kleinen Sendern ausgestattet werden, damit man ihre Flugrouten nachvollziehen kann, dann ist auch das ein Tierversuch. Ich bin sehr tierversuchskritisch, aber ich kann nicht grundsätzlich gegen Tierversuche sein.

Wie schlägt sich das in Ihrer Forschung nieder?

Es gibt in dem Bereich drei große Forschungsbereiche: replacement, reduction und refinement. Bei Ersterem sollen Tierversuche komplett ersetzt, beim zweiten reduziert werden. Ich forsche im Bereich refinement. Da geht es zum Beispiel darum, die Haltungsbedingungen von Labortieren zu verbessern.

Über optimistische und pessimistische Labortiere

Gibt es ein aktuelles Forschungsprojekt, das Ihnen besonders wichtig ist?

Eigentlich sogar zwei. Wir erforschen derzeit, wie man die Methoden verbessern kann, um Tierversuche aussagekräftiger und reproduzierbarer zu machen. Wenn wir schon Versuche an Tieren durchführen müssen, dann soll zumindest sichergestellt sein, dass die Ergebnisse auch einen wissenschaftlichen Wert haben. Auch interessant finde ich aber ein Projekt, bei dem es um die Emotionen von Tieren geht und darum, ob Labortiere optimistisch oder pessimistisch sind.

Wie lässt sich das herausfinden?

Im Endeffekt geht es um die Frage, ob das Wasserglas halb voll oder halb leer ist. Eine Ratte lernt zum Beispiel, sobald ein hoher Ton erklingt, eine Taste auf der linken Seite zu drücken, um eine Futterbelohnung zu bekommen. Bei einem tiefen Ton dagegen muss sie eine Taste auf der rechten Seite drücken, um eine milde Bestrafung zu vermeiden. Ist das sicher erlernt, spielt man einen Ton genau zwischen den ersten beiden und guckt, für welche Taste sich die Ratte entscheidet. Drückt sie links, ist sie eher optimistisch, drückt sie rechts, ist sie eher pessimistisch. Wir versuchen so etwas gerade mit Mäusen in einem Touch-Screen-Test.

Was folgt daraus?

Wenn die Labortiere immer pessimistisch reagieren und damit anzeigen, dass es ihnen nicht gut geht, kann man überdenken, wie man ihre Haltungsbedingungen oder auch den Umgang mit dem Tier verändern kann, damit sie sich wohler fühlen.

Lassen Sie uns noch ein wenig über den Bereich Lehre sprechen. Welche Studierenden kommen in Ihre Veranstaltungen?

Der Themenkomplex Tierschutz ist eingebettet in den Studiengang Biowissenschaften mit Bachelor und Master sowie in die Masterstudiengänge Biotechnologie und Molekulare Biomedizin in Münster. Das Tierschutzmodul besuchen hauptsächlich Leute, die sich auf Verhaltensbiologie spezialisieren möchten oder den Versuchstierkundeschein machen wollen. Den braucht man, um überhaupt mit Tieren arbeiten zu dürfen, was bei manchen Studierenden für die angestrebte berufliche Laufbahn wichtig ist.

Welche Job-Ziele haben die Studierenden in Ihren Veranstaltungen?

Viele Studierende der Biowissenschaften wollen in die Wissenschaft gehen. Das muss nicht an der Uni, sondern kann auch bei Unternehmen etwa im Pharmabereich sein. Es sind aber auch immer mal wieder Lehramtsstudierende dabei.

Was müssen angehende Studierende für Fähigkeiten und Interessen mitbringen, wenn sie in den Bereich Tierschutz und Verhaltensbiologie gehen wollen?

Liebe zum Tier ist zwar eine gute Grundlage, aber nicht immer der beste Ratgeber, um zu erkennen, wann es einem Tier gut geht und was es braucht. Man sollte also den Wunsch haben, sich mit naturwissenschaftlichen Methoden Fragen zu nähern, die in der Öffentlichkeit ganz selbstverständlich beantwortet werden.

Und welche neuen Lehrveranstaltungen halten Sie im kommenden Sommersemester als Neu-Professorin?

So richtig aufgestockt wird das Kursangebot erst im Herbst. Im Sommersemester werden beispielsweise bioethische Fragen bearbeitet. Dort sollen Studierende lernen, gesellschaftsrelevante Themen kritisch zu reflektieren. Das machen wir anhand der aktuellen Nutztierdebatte, zum Beispiel mit der Frage: Dürfen wir männliche Küken einfach so schreddern?

Dürfen wir?

Natürlich nicht. Aber da gibt es viele Aspekte zu bedenken, und das werden die Studierenden hoffentlich tun.

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