Süddeutsche Zeitung

Studienabbruch:Gescheitert cum laude

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Von Johann Osel

Zuerst können Studenten in Bremerhaven den Führerschein machen, einen Studienführerschein. Wie vielerorts gibt es an der Hochschule Mathekurse für Erstsemester, damit angehende Ingenieure Lücken beheben, dazu Seminare in Zeitmanagement und dergleichen. Der Schein, der dann winkt, ist erstes Erfolgserlebnis für die Neulinge, die zugleich besser ins Studium starten.

Bundesweit erproben Hochschulen neue Konzepte, aus Sorge um die Studienabbrecher: In Aachen lancierten Uni und Fachhochschule ein "nulltes Semester" zum Schnuppern in Hörsaal und Mensa. Erst danach fällt die Wahl des Fachs und der Hochschulart. In Trier wartet auf Anfänger eine "100 Tage-App", mit Stundenplan und Gewinnspiel. Unis bieten Nachhilfe und mehr persönliche Betreuung, in Greifswald in der "Student-Coaching-Lounge".

Aktuell läuft die Einschreibung für das Wintersemester. Schaut da jemand auf der Wartebank in der Verwaltung zum Nachbarn links und rechts, wird, statistisch gesehen, einer der beiden oder er selbst scheitern. Ein Drittel der Uni-Bachelorstudenten gibt auf. Ein Trost: Das Bild vom Studienabbrecher wandelt sich. Ihm wird nicht mehr gleich der Versager-Stempel aufgedrückt. In den Neunzigern geißelten Unternehmensberater Abbrecher als "unter Effizienzgesichtspunkten unnötige Belastung". Heute hört man: Scheitern ist gestattet - und besser, als sich durch ein Studium zu quälen, das die falsche Wahl ist.

Es bricht auch nur eine Minderheit der Studenten ab, weil sie der Stoff überfordert. Fast 40 Prozent geben laut Studien auf, weil sie die Motivation verlieren oder sich ihre Vorstellungen nicht erfüllen. Nur gut ein Drittel scheitert in der Sache. "Wenn 50 Prozent der Schulabgänger Abitur haben, bedeutet das nicht, dass genauso viele auch ein Studium schaffen", sagt Horst Hippler, Chef der Hochschulrektorenkonferenz. Sich auszuprobieren und festzustellen, dass es nicht reicht, sei legitim. "Wir glauben immer, dass jemand, der vom schnurgeraden Weg abkommt, gescheitert ist. Das ist falsch.

"Studienabbrecher sind eine Zielgruppe bei der Fachkräftesicherung"

Unternehmen denken nicht so, zeigt eine Umfrage des Bundesinstituts für Berufsbildung: Drei von vier Personalchefs würden Abbrecher als Azubis nehmen. Und wer das schon getan hat, ist zufrieden. Die Chefs wissen aber kaum, wie sie ein Studium anrechnen können. Der Bund fördert nun Projekte, die eine Turbo-Lehre erproben.

"Die Kombination aus höherem Alter und Erfahrung ist attraktiv. Studienabbrecher sind eine Zielgruppe bei der Fachkräftesicherung", sagt der Industrie- und Handelskammertag. Im September werden zum Lehrbeginn wieder viele Lehrstellen frei bleiben - unter anderem, weil so viele Schulabgänger ein Studium beginnen. Die Uni gilt immer noch als das Tor zu Wohlstand und Karriere. Dabei können die Chancen auch ganz woanders liegen: Das Handwerk spricht von 200 000 Betrieben, deren Chefs bald in Rente gehen. Da sollte auch mancher unzufriedene Student aufhorchen. Das Magazin Business Punk gibt gar Tipps für den "perfekten Studienabbruch". Höhere Ziele, heißt es unter Verweis auf Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, verwirkliche man "am rock-'n'-rolligsten, indem man sein Studium schmeißt".

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SZ vom 24.08.2015
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