Studium:Erster im Hörsaal

Munich Technical University Celebrates 150th Anniversary

Auch in diesem Hörsaal der Münchner TU dürften nur wenige Studierende aus einem nichtakademischen Elternhaus kommen.

(Foto: Getty Images)

Kinder aus nichtakademischen Elternhäusern besuchen nur selten eine Uni. Daran sind die Hochschulen aber nur bedingt schuld.

Von Matthias Kohlmaier

Unterstützung? Viel davon habe er anfangs aus seinem familiären Umfeld nicht bekommen, sagt Julian Weissler. Als er seinen Eltern vor einigen Jahren erzählte, dass er nach dem Abitur würde studieren wollen, sagte sein Vater nur: "Wennst moanst!" Was man eben so sagt, wenn man aus einem 3000-Einwohner-Dorf an der bayerisch-österreichischen Grenze kommt. "Aber ich wollte nach dem Abi unbedingt weiterlernen, und nach einer Weile haben sich damit alle angefreundet", sagt Weissler.

Für den Mittzwanziger, der eigentlich anders heißt, war der Weg an die Uni nicht gerade vorgegeben. Der Vater ist Lackierermeister, ebenso der ältere Bruder, die Mutter sitzt im örtlichen Supermarkt an der Kasse und die Schwester macht eine Ausbildung zur Bankkauffrau. In der Familie stand, sagt Weissler, unausgesprochen die Frage im Raum: Ist dir unser Leben nicht gut genug, jetzt, wo du nach München an die Universität willst? Weissler sagt: "Das war schon ein komisches Gefühl, so als erster Student in der Familie."

Dass Kinder aus Nichtakademikerfamilien den Weg an die Universitäten finden, kommt noch immer selten vor - zumindest verglichen mit ihren Klassenkameraden, deren Eltern schon einen Hochschulabschluss gemacht haben. Und selbst wenn es klappt, läuft das Studium für die Neuakademiker oft holprig. Ein paar Zahlen:

  • Von 100 Nichtakademikerkindern beginnen im Durchschnitt 21 ein Studium, mit Akademikereltern sind es 74. Diesen Vorgang nennt man Bildungstrichter, und dieser Trichter verengt sich laut Hochschulbildungsreport immer weiter während des Studiums. Während schließlich zehn Prozent der Kinder aus Akademikerfamilien eine Promotion erreichen, ist es bei den Nichtakademikern nur ein Prozent.
  • Auch der Anteil der Studierenden, die während des Semesters zur Studienfinanzierung einem Nebenjob nachgehen, variiert nach Bildungsherkunft - wenn auch weitaus geringer: Von den Studierenden aus nichtakademischem Elternhaus jobben laut aktueller Sozialerhebung 69 Prozent, mit Akademikereltern 64 Prozent.
  • Aus welchem Grund ein Studium abgebrochen wird, hängt auch mit dem familiären Background zusammen. Die Hälfte derer, die aufgrund beruflicher Alternativen oder persönlicher Gründe abbrechen, kommt aus einem Akademikerhaushalt. Dagegen haben 72 Prozent der Studierenden, die aus finanziellen Gründen nicht weiterstudieren konnten, keine Akademikereltern. Das hat das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung herausgefunden.

Auch Julian Weissler hatte von Beginn an Schwierigkeiten, sich im Studium zurechtzufinden. Der Umzug vom Dorf nach München brachte schon eine Menge Veränderungen mit sich, dazu der ungewohnte Uni-Kanon aus Hausarbeiten, Referaten, Bibliotheksbesuchen. "Natürlich hatte ich mich vorher informiert, wie das Studium aufgebaut ist, wo ich wann zu sein habe", sagt Weissler. "Aber manchmal habe ich mich in meinem Studiengang schon etwas verloren gefühlt. Meine Kommilitonen schienen mit der neuen Situation irgendwie viel lockerer klarzukommen als ich."

Studienberatung sollte schon in der Schule anfangen

Dazu kam die Studienwahl. "Als erster Student in der Familie habe ich mir gedacht, mit BWL machst du nicht viel verkehrt", sagt Weissler. Nach anderthalb mäßig erfolgreichen Semestern war ihm aber klar: Ein Ökonom würde er wohl doch nicht werden.

Mittlerweile bemühen sich diverse Organisationen darum, dass Menschen wie Weissler, die als Erste in der Familie ein Studium beginnen, der Einstieg ins akadamische Leben besser gelingt. Der Studienkompass etwa, 2007 von Accenture-Stiftung, Deutsche Bank Stiftung und Stiftung der Deutschen Wirtschaft gegründet. Die Initiative arbeitet eng mit Schulen und Lehrkräften zusammen und fördert teilnehmende Schüler nicht nur während der letzten beiden Schuljahre, sondern auch im ersten Jahr an der Uni.

Gefördert werden die Teilnehmer nicht finanziell, sondern durch Workshops und persönliche Betreuer. So werden die Neustudierenden bei Fragen zur Studienfinanzierung, Fächerwahl und der Planung möglicher Auslandsaufenthalte unterstützt. "Viele wissen zwar, dass sie gerne studieren und sich weiter bilden möchten, haben aber keine Orientierung, in welche Richtung es gehen soll", sagt Projektleiterin Stefanie Lüke. Dass sich die Beratung lohnt, zeigen zwei Zahlen: So gaben im Nachhinein nicht nur 90 Prozent der Studienkompass-Teilnehmer an, mit ihrer Studienfachwahl zufrieden zu sein. Die Studienabbruchsquote lag auch bei unter fünf Prozent. Im Gesamtdurchschnitt aller Studierender bringt etwa ein Drittel den Bachelor nicht zu Ende.

So wichtig derlei Programme aber sein mögen, und so sehr sich auch die Unis mit Willkommensangeboten für Erstsemester bemühen, den Hochschulstart angenehm zu gestalten: Um mehr Kinder aus Nichtakademikerfamilien für ein Sudium zu gewinnen, muss man früher ansetzen, meint Achim Meyer auf der Heyde. Der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks findet: "Bei der Frage darf man nicht zuerst an die Unis schauen, wo wenige Kinder aus Nichtakademikerfamilien ankommen. Man sollte sich den gesamten Bildungsweg ansehen." Gerade Kinder ohne akademische Vorbilder und auch ihre Eltern müssten bereits in der Schule für ein mögliches Studium sensibilisiert und beraten werden.

Dass eine frühzeitige Beratung Zeit und Mühe sparen kann, weiß auch Julian Weissler. Nachdem er im klassischen BWL-Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität nicht glücklich wurde, hat er sich Hilfe geholt, von Studienberatern, Freunden, Online-Auswahltests. "Ich bin im ersten Versuch viel zu naiv an das Studium rangegangen, und zu Hause hat mir natürlich niemand so richtig bei der Entscheidung helfen können", sagt Weissler. Nun studiert er Maschinenbau in einem dualen Studiengang, kann also auch praktisch arbeiten und sitzt nicht nur in Seminaren. Sein Vater hält das für einen guten Mittelweg.

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