Studium:Der Imam, der aus der Uni kam
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Von Matthias Drobinski und Johann Osel, München
In Münster vertragen sie sich wieder. Als sich Ende April Ursula Nelles, die Rektorin der dortigen Universität, mit den Vertretern der muslimischen Verbände traf, gab es viele freundliche Worte und Schokokugeln für alle. Vorbei ist die Zeit, als man über Mahmoud Khorchide stritt, den Münsteraner Religionspädagogen, und um seinen "Islam der Barmherzigkeit". Vorbei ist auch die Zeit, da die Uni-Präsidentin den Verbänden vorwarf, sie wollten die Wissenschaft kontrollieren, und die Verbände der Präsidentin, sie wolle ihnen den Glauben vorschreiben.
Jetzt kann es endlich losgehen, können Lehrstühle besetzt und Studenten geprüft werden. Nordrhein-Westfalen braucht dringend islamische Religionslehrer, will es den Plan umsetzen, die 320 000 muslimischen Schüler im Land in ihrer Religion zu unterrichten. Da kann niemand Streit gebrauchen. "Die Vernunft hat sich durchgesetzt", sagt ein erleichterter Khorchide.
Es brauche diesen islamischen Religionsunterricht, damit in Deutschland ein friedlicher und mit der pluralen Gesellschaft verträglicher Islam heimisch wird, diese Forderung gehört inzwischen zum Standardrepertoire von Bildungsplanern, Politikern und Kirchenvertretern. Gerade erst hat Heinrich Bedford-Strohm, der bayerische Landesbischof und Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, eine flächendeckende Einführung des islamischen Religionsunterrichts gefordert.
Es braucht diesen Unterricht, sagte Anfang 2010 auch der Wissenschaftsrat, der die Bundesregierung berät. Er schlug vor, analog zur christlichen Theologie Institute für "Islamische Studien" zu gründen und dort Imame und islamische Religionslehrer auszubilden. Da es im Islam keine Kirchenstrukturen gibt, empfahl der Wissenschaftsrat, "Beiräte für Islamische Studien" einzurichten. Sie sollen bei der Gestaltung der Studiengänge und der Auswahl von Wissenschaftlern mitbestimmen.
Der Bund hat bisher 20 Millionen Euro in die Zentren investiert
Oft dauert es lange, bis sich in der Bildungspolitik Ideen materialisieren - diesmal aber ging es ganz schnell. Die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte Geld zu, auch die Länder sollten sich beteiligen. Schon wenige Monate später erhielten Tübingen, Münster und Osnabrück den Zuschlag, ein Jahr darauf Frankfurt und Gießen sowie Erlangen-Nürnberg. Bis heute hat das Bundesbildungsministerium nach eigenen Angaben 20 Millionen Euro in die Zentren investiert, Ministerin Johanna Wanka (CDU) hat angekündigt, die Förderung fortzusetzen. Das Land Berlin plant, ein eigenes Zentrum für islamische Studien aufzubauen, voraussichtlich als Kooperation mehrerer Unis der Stadt; in etlichen Städten gibt es mittlerweile kleinere Seminare, die islamische Religionslehrer ausbilden.
Die Bemühungen zeigen Wirkung: Vor fünf Jahren gab es nur eine Handvoll Studienanfänger, mittlerweile sind an den vier großen Zentren insgesamt 1800 Studenten eingeschrieben. Vergangenes Semester gab es in Münster 1600 Bewerber auf etwas mehr als 200 Studienplätze. Sie sei beeindruckt, wie schnell die Zentren sich etabliert hätten, sagt Wanka, "die islamische Theologie hat eine Forschungslücke an unseren Universitäten geschlossen." Integrationsministerin Aydan Özoğuz (SPD) sagte bei der Eröffnung des Studienseminars in Paderborn: "Genau das brauchen wir in Deutschland: eine moderne theologische Ausbildung in Islamwissenschaften in deutscher Sprache." Das sei das beste Mittel gegen das "undifferenzierte Gerede von ,dem' Islam, der uns bedrohe".
Sätze des Stolzes sind das. Sie überdecken aber auch die Probleme, die es nach wie vor mit dieser islamischen Theologie gibt. Die Beiräte, die an jeder Uni anders organisiert sind, bergen nach wie vor Konfliktpotenzial, trotz des gegenwärtigen Friedens. Die Einigkeit sei oberflächlich, sagen Insider - den Frieden sichere mehr die Erkenntnis der Verbände, dass sie Konflikte mit den Wissenschaftlern in schlechtem Licht erscheinen lassen, und ihr Wunsch nach staatlicher Anerkennung. Inhaltlich blieben die Differenzen bestehen: Die türkisch-islamische Ditib, der größte Verband, versuche, möglichst viel türkisches Personal an die Unis und möglichst viel türkische Positionen in die Lehrinhalte zu bringen. Der Islamrat und der Verband der islamischen Kulturzentren in Deutschland wiederum wollten ihre sehr konservativen theologischen Positionen vertreten sehen.
Die Verbände haben sehr unterschiedliche Auffassungen vom Islam
"Die Verbände vertreten eine Minderheit der Muslime, sie repräsentieren überwiegend Sunniten, und sie sind theologisch sehr konservativ", sagt der Freiburger Theologe Abdel-Hakim Ourghi. Sein Seminar bildet islamische Religionslehrer aus, ohne dass dies ein Beirat kontrolliert. Noch ist das möglich in Baden-Württemberg, Ourghi aber befürchtet, dass das nicht so bleibt, sollte das Beiratsmodell sich etablieren, und dass dann die Debatte losgeht, wie weit man auch über die problematischen Seiten des Islam reden könne, über die gewaltverherrlichenden Passagen im Koran zum Beispiel. Andere Professoren jedoch sehen die Zusammenarbeit mit den Beiräten positiver, zum Beispiel der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Harry Harun Behr. Es gebe kein Diktat, sagt er, und schließlich würden die Lehrpläne auch im Kultusministerium geprüft.
Unklar bleibt die Frage, wo die Absolventen später einmal arbeiten sollen. 2000 Lehrer braucht man für einen bundesweiten Islamunterricht, schätzte 2011 das Bundesbildungsministerium - da wäre erst einmal Platz für viele. Doch was ist mit denen, die nicht in den Schuldienst wollen? An der Uni Osnabrück können sie sich bald in muslimischer Sozialarbeit ausbilden lassen. Imam in einer Gemeinde dürften nur die wenigsten werden: Die Ditib wünscht, dass ihre Prediger weiter aus der Türkei kommen, der Islamrat und der Verband der Islamischen Kulturzentren haben eine eigene Ausbildung aufgebaut, und der kleinste Verband, der Zentralrat der Muslime, wird auch nicht in größerem Umfang die teuren Akademiker einstellen.
Als größtes Problem jedoch erweisen sich zunehmend die Studenten, die später einmal als Lehrer, Sozialarbeiter, Imame oder Wissenschaftler einen modernen und offenen Islam vermitteln sollen. Denn es gibt zwar kluge und gescheite Frauen und Männer unter ihnen, aus denen einmal die intellektuelle Elite des Islams in Deutschland erwachsen kann. Was aber, wenn die Mehrheit weder modern, noch offen sein will? "Da kommen junge Leute, überwiegend Frauen, die sich eine fromme Predigt wünschen, aber keine wissenschaftliche Auseinandersetzung", sagt Abdel Hakim Ourghi, "die sind dann völlig verunsichert, wenn sie hören, dass es verschiedene Lesarten des Korans gibt."
Die Kluft zwischen der Glaubenswelt der jungen Erwachsenen und der wissenschaftlichen Theologie wächst, heißt es auch in Frankfurt. Es wankt auch bei christlichen Theologiestudenten erst einmal das Weltbild, wenn die Wissenschaft auf ihren Glauben trifft - in den islamischen Seminaren hat das aber eine andere Dimension. "Inzwischen wird unsere Autorität als Hochschullehrer infrage gestellt", sagt Ourghi. Als er von der Vertreibung und Ermordung der Juden in Medina unter den Augen Mohammeds berichtete, erntete er Widerspruch: Es könne nicht sein, dass der Prophet so etwas getan habe. Es gibt Geschichten über Tränen im Hörsaal, über Debatten, ob man in der Schule Vorgesetzten anderen Geschlechts die Hand geben soll. Zu Besprechungen mit Professoren kommen Studentinnen zu zweit, weil es sich nicht gehört, mit einem Mann allein im Raum zu sein.
"Wie sollen die einmal vor einer Klasse unterrichten?", fragt Orughi. "Aber was sollen wir Professoren anderes machen als uns immer wieder dieser Auseinandersetzung zu stellen?" Es lohnt sich, springt ihm der Kollege Khorchide aus Münster bei: "In den ersten Semestern haben viele Studierende ein sehr enges Islamverständnis, aber bei vielen weitet es sich auch durch das Studium."