Studium der BWL:Betriebsrat? Nie gehört

Erstsemester in Mainz

Studenten sitzen in einem Hörsaal der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.

(Foto: dpa)
  • Mitbestimmung in Betrieben kommt auf dem Stundenplan von BWL-Studenten kaum vor, zeigt eine aktuelle Studie.
  • Die Autoren haben dafür Dutzende Studiengänge an 25 deutschen Hochschulen analysiert.

Von Philipp Nowotny und Johann Osel

Das Fazit der Forscher ist ernüchternd: Die Mitbestimmung von Arbeitnehmern präge die Unternehmenskultur und viele Entscheidungen im Alltag in Betrieben - in der Ausbildung angehender Manager komme sie aber kaum vor. Konkret: in wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen, wo Firmen künftiges Führungspersonal rekrutieren.

Das zeigt eine Analyse, die an der Europäischen Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt entstanden ist. Martin Allespach und Brigita Dusse haben Dutzende Studiengänge an 25 Hochschulen analysiert, darunter die zehn größten Universitäten. Die Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, wurde von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert und soll demnächst in deren Zeitschrift erscheinen.

Betriebsrat, Betriebsverfassung, kollektives Arbeitsrecht - auf solche Themen haben die Autoren die Studiengänge geprüft. So ordnen sie Präsenz und Umfang der Thematik einzelnen Kategorien zu, eine heißt "blinder Fleck". Mehr als die Hälfte der untersuchten Fälle gehört dazu; Mitbestimmung werde zwar "nicht völlig ausgeklammert", sei aber auch kein "grundsätzlicher Bestandteil" der Lehrpläne. Eine Behandlung im Zusammenhang mit Personalmanagement laufe zudem in der Regel über freiwillige Seminare. Mitunter werde Mitbestimmung "als Rahmenbedingung" thematisiert, mit der sich das Management eben "zu arrangieren hat". Und gelegentlich würde sie gar ausdrücklich "als Störfaktor dargestellt". "Gestalterisch" - im positiven Sinn - mit dem Thema umgegangen wird laut Analyse in weniger als zehn der untersuchten Studienangebote.

Barbara E. Weißenberger, Vorsitzende des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, räumt auf SZ-Anfrage ein: Das Thema ist tatsächlich kein "grundsätzlicher Bestandteil" der Lehrpläne. Einen Nachteil erkennt sie darin nicht. "Ich könnte plakativ sagen: Die Ergebnisse zeigen, dass wir in der BWL nicht in den Denkmustern der 50er- und 60er-Jahre verhaftet sind. Die BWL berücksichtigt den Komplex ,Teilhabe' heute in einem ganzheitlichen Zusammenhang." Das Fach beschäftige sich sehr intensiv mit sozialer Verantwortung, Unternehmensethik und Gleichberechtigung. "Wenn ich mit meinen Studenten über Unternehmenssteuerung rede, dann natürlich auch über Mitbestimmung", sagt die Düsseldorfer Professorin. "Was ich und meine Kollegen nicht machen: Vorlesungen oder Module anzubieten, die den Titel ,Mitbestimmung' tragen. Es ist eben nur ein Element unter vielen."

Die gesetzliche Verankerung von Mitbestimmung sei historisch gesehen eine große Leistung, sagt Weißenberger. Den allermeisten Unternehmen sei bewusst, "dass es ohne konstruktives Miteinander zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr funktioniert." Heute gewinnen aus ihrer Sicht andere Themen an Bedeutung: Macht über Daten, ständige Erreichbarkeit, als Beispiele.

"Starke Mitbestimmung gefährdet die betriebliche Wohlfahrt"

Jennifer Nicolay sieht ihre Erfahrung in der Studie bestätigt. Sie leitet das deutschlandweite Studenten-Netzwerk "sneep", das sich für Wirtschaftsethik einsetzt. Deren Vernachlässigung wurde vor allem im Zuge der weltweiten Finanzkrise angeprangert. Das Thema Mitbestimmung tauche eher am Rande auf, wenn juristische Fragen erörtert werden, etwa im Umgang mit Betriebsräten, sagt Nicolay, die in Münster BWL studiert. Da aber stünden rein ökonomische Interessen im Vordergrund. "Starke Mitbestimmung gefährdet die betriebliche Wohlfahrt" - das sei der Tenor einiger Dozenten. Deutlich sei zu sehen, dass viele Kommilitonen ein eher materielles als wissenschaftliches Interesse am Fach haben: "Die ökonomische Ausrichtung und die Fokussierung auf Wachstum und Gewinnmaximierung prägt das Denken."

Das spricht auch die Studie an. Umfragen zeigten, dass BWL-Studenten öfter eine "distanzierte demokratische Grundhaltung" hätten als Kommilitonen anderer Fächer. Betriebswirte entschieden sich meist wegen der erhofften Karriere fürs Studium. Gesellschaftlicher Nutzen oder soziale Verantwortung als Motive würden im Vergleich zu anderen Studenten selten genannt. Tatsächlich gilt BWL gemeinhin Abiturienten, die kein genaues wissenschaftliches Interesse oder Berufsziel haben, als gute Option. Wohl auch deswegen ist BWL zum Massenfach der Massenfächer geworden, fast jeder zehnte Student (und das ohne VWL) schreibt sich hier ein.

Allespach und Dusse plädieren gerade daher für andere Inhalte: Ein Studium, das die Führung von Menschen lehre, dürfe die Frage nach demokratischen Prinzipien im Betrieb nicht ausklammern oder gar als rechtliches Übel deuten. Studentin Nicolay fordert, "ein ganzheitliches und verantwortungsvolles Unternehmensbild" zu vermitteln, wichtig sei dazu die Stärkung der Wirtschaftsethik. Auch wenn zuletzt vermehrt Lehrstühle dafür eingerichtet worden seien, bestimmte nach wie vor "klassische Ökonomie" die Studiengänge.

Verantwortliches Verhalten werde in einer guten Lehre "nicht isoliert vermittelt, sondern integriert in die betriebswirtschaftlichen Instrumente", beteuert dagegen Professorin Weißenberger. Als Zerrbild empfindet sie den Vorwurf, BWL werde im ethikfreien Raum gelehrt und erziehe Egoisten: "In den 90er-Jahren gab es eine starke Fokussierung in der Lehre auf rationales Verhalten und Eigennutzenmaximierung. Davon haben wir uns aber weit entfernt."

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