Süddeutsche Zeitung

Studium auf Englisch:International aufgestellt

Immer mehr Professoren lehren auf Englisch - mehr als 1300 Studiengänge können Studierende nur noch in der Weltsprache absolvieren. Das lockt junge Akademiker aus dem Ausland nach Deutschland, erschwert aber die Integration. Und ist nicht ganz unumstritten.

Miriam Hoffmeyer

Accounts, production, administration - die deutsche Sprache ist in der Betriebswirtschaft seit Jahren auf dem Rückzug. "Alle Fachbegriffe sind auf Englisch. Da fand ich es sinnvoll, auch gleich auf Englisch zu studieren", sagt die Berlinerin Juliane Neitzke. Sie gehörte 2007 zum ersten Jahrgang des Bachelor-Studiengangs "International Business Management" der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, der komplett in englischer Sprache stattfindet.

Einige Anlaufschwierigkeiten habe es gegeben, sagt die 26-Jährige: "Manche Dozenten sprachen perfekt Englisch, bei anderen war es eher holprig." Sie selbst war nach dem Abitur ein paar Monate in Neuseeland und findet Englisch sowieso schöner als Deutsch. Auch die anderen deutschen Studenten in ihrem Jahrgang hätten keine Verständigungsprobleme gehabt, sagt sie. "Aber es gab Studenten aus Osteuropa, die große Schwierigkeiten mit der englischen Sprache hatten, vor allem schriftlich."

Vor 15 Jahren wurden mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) die ersten 21 englischsprachigen Studiengänge an deutschen Hochschulen eingerichtet. Seither ist das Angebot ungeheuer gewachsen, allein in den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der englischsprachigen Studienangebote nahezu verdoppelt.

Der Betreiber des Studentenportals "Studis online", Oliver Iost, findet in seiner Datenbank selbst dann, wenn er Anglistik, Amerikanistik und Nordamerikastudien ausspart, fast 1300 Studiengänge, in denen ganz oder teilweise auf Englisch gelehrt wird. Die Bandbreite reicht von komplett englischsprachigen Programmen bis hin zu Studiengängen, in denen nur einzelne Seminare - etwa über Marketing oder internationales Privatrecht - englischsprachig sind.

Am genauesten weiß es die Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Nach ihren Angaben gibt es zurzeit 766 Studiengänge mit Hauptunterrichtssprache Englisch. Überwiegend handelt es sich um Master-Programme in Wirtschafts- oder Ingenieurwissenschaften. Viele dieser Studiengänge sind mit nur 20 bis 30 Teilnehmern pro Jahrgang sehr klein.

Die deutschen Studenten hoffen auf spätere Vorteile im Beruf, für ihre ausländischen Kommilitonen fällt die Hürde der deutschen Sprache flach. Die meisten Hochschulen melden ihre englischsprachigen Angebote beim DAAD, um internationale Studenten darauf aufmerksam zu machen. Wie hoch der Ausländeranteil tatsächlich ist, wird nicht erfasst. An vielen englischsprachigen Programmen nähmen aber mehr ausländische als deutsche Studenten teil, sagt die DAAD-Referentin Silvia Schmid.

Besonders stolz auf ihre Internationalität ist die private Jacobs University Bremen, deren Studenten aus mehr als hundert Ländern kommen. Nur 30 Prozent der eingeschriebenen Kommilitonen sind Deutsche. Sämtliche Studienfächer werden auf Englisch gelehrt, und im Unterschied zu anderen Hochschulen muss sich an der Jacobs University auch kein Ausländer mit einem deutschen Immatrikulationsformular plagen. Für die Deutschen sei die internationale Atmosphäre das Hauptmotiv, sich hier zu bewerben, sagt der Pressesprecher der Uni. Auf dem Campus kann man jahrelang studieren und auch seine Freizeit verbringen, ohne ein einziges Wort Deutsch zu sprechen.

Ob man allen ausländischen Studenten mit dem Angebot, in Deutschland auf Englisch zu studieren, einen Gefallen tut, ist allerdings fraglich. Eine Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration ergab vor kurzem, dass die meisten in Deutschland studierenden Ausländer nach ihrem Abschluss auch hier arbeiten möchten. Dass dies nur wenigen gelingt, liegt nicht nur an Informationsmängeln und den rechtlichen Rahmenbedingungen: 37 Prozent der ausländischen Absolventen besitzen nach eigener Einschätzung keine oder nur elementare Deutschkenntnisse.

Die Autoren der Studie sprechen von einem "Sprachdilemma": Zwar wüssten die ausländischen Studenten, dass sie mit Deutschkenntnissen bessere Arbeitschancen hätten. Neben dem englischsprachigen Studium hätten sie aber schlicht keine Zeit, Deutsch zu lernen. Daher sagt Professor Ralph Mocikat aus München: "Es ist ein Fehler, einseitig auf das Englische zu setzen."

Der Immunologe hat zusammen mit anderen Wissenschaftlern den "Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache" gegründet, der unter anderem gegen die Umstellung von immer mehr Studiengängen ins Englische eintritt. Mocikat betont, dass der Arbeitskreis keineswegs gegen die Lingua franca der Wissenschaft in Publikationen und auf internationalen Kongressen sei. Das Vordringen in die deutsche Lehre aber führe auf den Holzweg, schließlich seien die wenigsten Dozenten in englischsprachigen Studiengängen Muttersprachler. "Da geht in der Lehre viel verloren, Vorträge und Diskussionen sind weniger lebendig", sagt Mocikat. "Es besteht die Gefahr, dass nur Wissen reproduziert wird und die Reflexion zu kurz kommt."

Das sprachliche Niveau dürfte in jedem englischsprachigen Studiengang anders sein. Die Anforderungen sind auch unterschiedlich hoch: Während die Jacobs University von den Bewerbern perfektes Englisch erwartet und auch im Gespräch prüft, verlangen die meisten Hochschulen nur mittlere bis gute Kenntnisse, die durch die Englisch-Abiturnote oder festgelegte Mindestergebnisse in den einschlägigen Sprachtests nachgewiesen werden müssen.

Die Arbeitsgruppe "Sprachenpolitik an deutschen Hochschulen" der Hochschulrektorenkonferenz, an der auch Ralph Mocikat mitwirkte, verabschiedete im vergangenen November eine Empfehlung zur Mehrsprachigkeit: Die Hochschulen sollen danach den bewussten Einsatz unterschiedlicher Sprachen fördern und nicht nur das Englische in den Vordergrund stellen, auch im Interesse einer "lebendigen Kommunikation" zwischen den Hochschulmitgliedern.

Vorläufig aber wächst die Zahl der komplett englischsprachigen Studiengänge weiter. "Es zeichnet sich derzeit ab, dass uns wieder viele neue Angebote gemeldet werden", sagt Silvia Schmid vom DAAD. Nicht alle davon überleben auf Dauer: Jedes Jahr würden zehn bis 15 Prozent der Studiengänge mit Hauptunterrichtssprache Englisch eingestellt oder modifiziert, erklärt Schmid, aber es kämen auch immer wieder neue hinzu.

Juliane Neitzkes Bachelor-Studiengang gibt es noch. Inzwischen studiert sie im zweiten Semester des Master-Programms "International Marketing Management", das ebenfalls vollständig auf Englisch stattfindet. Aus Gewohnheit schreibt sie auch den deutschen Professoren englische Mails. Sie fühlt sich in beiden Sprachen zu Hause - und kann dank einem Auslandsjahr in Lyon übrigens auch sehr gut Französisch: "Später möchte ich bei einer internationalen Organisation arbeiten", sagt sie.

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SZ vom 14.06.2012/wolf
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