Studium ohne Abitur:Wo ist der Mechatroniker mit Philosophie-Examen?

Bildung/Fernstudium aus Mecklenburg-Vorpommern

Die meisten Studienanfänger kommen direkt von der Schule an die Uni, aber immer mehr auch aus dem Beruf - ganz ohne Abitur.

(Foto: obs)

Immer mehr Berufstätige zieht es in den Hörsaal. Wer einen Meister hat, darf sich in der Regel sogar für fast jedes Fach einschreiben. Abseitige Wege gehen dennoch die wenigsten.

Von Verena Wolff

Den einfachsten Weg hat sich Bastian Schinner aus Wernberg in der Oberpfalz nicht ausgesucht. Der 27-Jährige könnte als Mechatroniker in einer Autowerkstatt arbeiten oder als Meister seine Mechatroniker anleiten. Er könnte als Serviceberater in einem Autohaus die neuesten Modelle an den Mann bringen. Das alles erlernte er nach dem Realschulabschluss. Doch er entschied sich für ein Studium. Ohne Abitur, dafür mit Berufserfahrung und dem Willen, den Master zu schaffen. An der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden (OTH) studiert Schinner nun Wirtschaftsingenieurwesen, das zweite Semester hat er erfolgreich abgeschlossen. "Man muss sich schon dahinterklemmen und Zeit investieren, sonst wird das nichts mit dem Studium", sagt Schinner.

Verschiedene Berufswege machen es heutzutage möglich, sich ohne allgemeine Hochschulreife an der Universität fortzubilden: Die Meisterprüfung oder eine berufliche Aufstiegsfortbildung berechtigen zu einem Hochschulstudium. Auch wer eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweist oder mehrjährige Berufserfahrung in einem Bereich hat, die seinem Studienfach nahe ist, kann zugelassen werden. Der Unterschied: Meister haben in der Regel freie Wahl, was das Studienfach angeht - so kann etwa ein Mechatroniker-Meister Philosophie oder eine Friseur-Meisterin Humanmedizin studieren. Meistern, Technikern oder Fachwirten stehen alle Hochschultüren offen. "Sie können bundesweit aus mehr als 8000 Studiengängen wählen", sagt Sigrun Nickel, Leiterin der Hochschulforschung beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh.

Recht, Wirtschaft, Sozial- oder Ingenieurwissenschaften sind die bevorzugten Studienfächer

Darüber hinaus regelt jedes Bundesland den Zugang selbst. In einigen Ländern kann der Nachweis über ein Beratungsgespräch an der Hochschule verlangt werden, während andere Qualifikationsnachweise oder Zulassungsprüfungen vorschreiben. An einigen Hochschulen gibt es ein zwei- bis viersemestriges Probestudium. Daher sollten sich Aspiranten frühzeitig bei der Studienberatung der jeweiligen Hochschule erkundigen.

Doch auch die unterschiedlichen Regelungen ändern nichts an der Tatsache, dass immer mehr Menschen ohne Abitur studieren. "Auch wenn ihr Anteil auf die Gesamtzahl der Studierenden gerechnet nur gut zwei Prozent ausmacht, sind die Steigerungsraten enorm", sagt Nickel. Gab es nach Angaben des CHE 1997 nur 1568 Studienanfänger ohne allgemeine Hochschulreife im gesamten Bundesgebiet, sind es etwa 20 Jahre später 14 595 - die Zahlen haben sich also nahezu verzehnfacht. Insgesamt sind aktuell circa 60 000 Frauen und Männer ohne Abitur als Studierende an Hochschulen eingeschrieben.

Spitzenreiter der Bundesländer sind Hamburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen mit einem Anteil von Studienanfängern ohne Abitur von 4, 4,5 und 5 Prozent. Die beiden Stadtstaaten im Norden, weil sie schon seit vielen Jahrzehnten die Möglichkeit bieten, mit beruflicher Qualifikation zu studieren. Und Nordrhein-Westfalen, weil dort die Fern-Universität Hagen beheimatet ist, an der sich deutschlandweit mit Abstand die meisten beruflich qualifizierten Erstsemester einschreiben.

Denn auch das ist eine wesentliche Entscheidung, die es zu treffen gilt: Job aufgeben und in Vollzeit an die Hochschule? Oder weiterarbeiten und nebenbei studieren? Bastian Schinner war schnell klar, dass er seinen Vollzeitjob in einem Autohaus aufgeben muss, weil sich das Studium nicht einfach so nebenher bewältigen lässt. "Ich habe aber auch gesehen, dass ich im Job mit meiner Ausbildung nicht mehr so richtig weiterkomme." Also entschied er sich, nach mehreren Mathe- und Physik-Vorkursen, zur Immatrikulation an der Hochschule.

Einfach ist es jedenfalls nicht, den Lebensstandard wieder runterzuschrauben, wenn man schon mal regelmäßig Geld verdient oder gar eine Familie hat - immerhin ist knapp die Hälfte der Studierenden ohne Abitur älter als 30 Jahre. Das sei mit Einschränkungen verbunden, sagt Christian Tauch, Leiter des Arbeitsbereichs Bildung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). "Dem einen oder anderen fällt es schwer, sich in die Rolle hineinzufinden." Doch die ausgebildeten Studierenden haben auch klare Vorteile, denn sie sind zielstrebiger und sich meist in der Entscheidung sicher. Bis allerdings die Entscheidung reift, kann es dauern. "Ich habe auch lange darüber nachgedacht, ob ich das Studium wirklich auf mich nehmen will", berichtet Schinner.

Aufstiegsstipendien

Selbst wer den Status Student hat, ist von vielen Vergünstigungen ausgeschlossen, wenn er das 25. oder 30. Lebensjahr vollendet hat. Beim Bafög gibt es allerdings Sonderregelungen für alle, die mit abgeschlossener Berufsausbildung studieren. Viele Stipendien sind für Studierende konzipiert worden, die gleich nach dem Abitur begonnen haben.

Doch es gibt Ausnahmen, zum Beispiel die Aufstiegsstipendien für Berufstätige der Stiftung Begabtenförderung berufliche Bildung (SBB) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Mehr als 10 000 Menschen haben nach Angaben des BMBF inzwischen ein solches Aufstiegsstipendium erhalten. Außerdem gibt es das Weiterbildungsstipendium der SBB, in das jährlich 6000 neue Teilnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung aufgenommen werden können.

Nähere Informationen zu Förderwegen für Berufserfahrene: www.studieren-ohne-abitur.de, www.sbb-stipendien.de Verena Wolff

Doch schließlich siegte der Wunsch, sich beruflich weiterzuentwickeln und in Bereiche zu kommen, in denen Schinner derzeit keine Chance hat, weil dort nur Hochschulabsolventen gesucht werden. Der Master ist sein Ziel - danach möchte er bei einem Automobilhersteller oder -zulieferer durchstarten. Er hat übrigens den Vorteil, dass er das Praxissemester, das die nichtberufserfahrenen Kollegen im fünften Semester machen, nutzen kann, um schneller zum Abschluss zu kommen.

Die Weiterqualifizierung im Beruf ist einer der häufigsten Gründe, weswegen sich Gesellen und Meister für ein späteres Studium entscheiden. "Mit ihren Erfahrungen sind sie gut in den Studiengängen aufgehoben", sagt Tauch. Die beliebteste Fächergruppe sind CHE-Erhebungen zufolge die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, in denen circa 55 Prozent der Studierenden ohne Abitur zu finden sind, gefolgt von den Ingenieurwissenschaften.

Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind indes gefragter als Universitäten - zudem entscheiden sich viele Studienanfänger mit Berufserfahrung für ein Fach, das auf das Wissen aus ihrer Ausbildung aufbaut. "In vielen Fällen suchen die Teilnehmer eine Vertiefung und Fortentwicklung dessen, was sie schon gelernt haben", hat Tauch festgestellt. "Sie wollen eine akademische Komponente haben, aber trotzdem nah an der Praxis bleiben." Das gilt auch für Bastian Schinner. Zwar fasziniert ihn das Technische, doch auch mit dem Mastertitel in der Tasche wird ihm der Kundenkontakt wichtig sein - das weiß er jetzt schon.

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