Studienreform:Mär vom bösen Bachelor

Studium Bologna-Reform Studenten Humboldt-Universität zu Berlin

In der Uni lernen wie in der Schule: Der Bachelor steht seit seiner Einführung in der Kritik.

(Foto: dpa)

Kritiker sehen in ihm eine Gefahr für Qualität und Freiheit der Wissenschaft. Und jetzt macht der Bachelor auch noch krank. Das soll zumindest eine neue Studie ergeben haben. Doch stresst das verpönte Studium wirklich die Studierenden? Oder stressen die sich vor allem selbst?

Von Johanna Bruckner

Hartz-Reformen, Praxisgebühr, Bachelor/Master. Gäbe es ein Ranking der unbeliebtesten politischen Maßnahmen des vergangenen Jahrzehnts, so könnte es aussehen. Die neuen Studienabschlüsse sollten den guten Ruf des deutschen Hochschulwesens in die Zukunft retten, indem sie es zeitgemäßer machen, internationaler und praxisorientierter. Doch stattdessen sorgen sie immer wieder für Negativ-Schlagzeilen.

Jüngste Kritik: Der Bachelor mache Studierende krank, interpretierte Spiegel online die Ergebnisse einer Studie der Uni Heidelberg.

Bereits 2009/2010 hatte ein Forscherteam dort 405 Studierende des auslaufenden Diplom- sowie des Bachelor-Studiengangs Psychologie zu ihrem jeweiligen Studium befragt. Die Ergebnisse wurden jetzt in der renommierten Wissenschaftszeitschrift Psychologische Rundschau veröffentlicht und klingen tatsächlich erst einmal alarmierend. So wollten die Forscher wissen, wie gestresst und wie zufrieden die Studierenden sind. Die jungen Leute im Bachelor-Studiengang gaben im Schnitt nicht nur höhere Stresswerte an als ihre Kommilitonen im Diplom-Studiengang - ihre Lebens- und Studienzufriedenheit war auch geringer.

Konkrete Krankheiten wurden nicht erhoben

Nun stand der Bachelor schon häufiger unter Beschuss, wurde als Gefahr für die Qualität und die Freiheit der Wissenschaft gegeißelt - vor allem von Berufsvertretern. Doch wenn die Heidelberger Ergebnisse tatsächlich den Schluss zuließen, dass der Bachelor auch eine Gesundheitsgefahr darstellt, müsste man wohl sagen: Die wichtigste Bildungsreform im Hochschulbereich der vergangenen Jahrzehnte war eine grandiose Fehlentscheidung. Und das vor dem Hintergrund, dass mittlerweile 85 Prozent aller Studiengänge auf das angloamerikanische Abschluss-System umgestellt sind.

Macht der Bachelor also wirklich krank? Auf Nachfrage will selbst Monika Sieverding, wissenschaftliche Leiterin der ersten Heidelberger Studie, die Frage nicht uneingeschränkt mit "ja" beantworten.

Denn inwieweit die Studierenden im Bachelor möglicherweise in höherem Maße als die Diplomstudenten unter körperlichen und/oder seelischen Beschwerden leiden, wurde in dieser Studie nicht erhoben. Sieverding verweist zwar auf eine andere, zeitgleich unter ihrer Leitung durchgeführte Studie mit Psychologie-Studierenden, die krankhafte Symptome belegt habe (erschienen im Buch "Zwangsjacke Bachelor" von Laura Schmidt und Julia Obergfell). Doch einen studiengangsübergreifenden Beweis für krankmachende Studienumstände im Bachelor gibt es bislang nicht.

Gestresst wie Arbeitnehmer

Die Heidelberger Forscher konnten in ihrer Arbeit aber ihre Ausgangshypothese bestätigen, wonach sich das sogenannte "Demand-Control-Modell" auch auf die Lebenswelt von Studierenden anwenden lässt. Das Modell wurde ursprünglich entwickelt, um krankmachende Strukturen in der Arbeitswelt zu identifizieren. Verkürzt besagt es: Je höher die Anforderungen und je geringer die Handlungsspielräume in einem Job sind, desto eher bekommen Arbeitnehmer gesundheitliche Probleme.

Dieser Effekt lässt sich der Studie zufolge auch beim Bachelor-Studium feststellen. Dort stehen die Studierenden unter permanentem Leistungsdruck, weil nahezu jede Zensur in die Abschlussnote einfließt. Dazu kommt, dass die Lerninhalte gerade in den ersten Semestern genau vorgeschrieben sind, Wahlmöglichkeiten gibt es - wenn überhaupt - erst später.

Zwar wurde in vielen Studiengängen nach den ersten Erfahrungen mit dem Bachelor nachjustiert, Module wurden entschlackt, die Zahl der Prüfungen reduziert. Doch an den Rahmenbedingungen hat sich nichts geändert. Aus diesem Grund ist Monika Sieverding auch von der grundsätzlichen Aussagekraft der drei Jahre alten Ergebnisse überzeugt. "Die Studierenden konkurrieren untereinander, wollen möglichst gute Noten haben, weil die später darüber entscheiden, wer einen Master-Platz bekommt. Das stresst natürlich", so die Psychologie-Professorin.

Es kommt auf die Persönlichkeit an

Die Heidelberger haben außerdem nachgelegt: Eine noch nicht veröffentlichte Nachfolge-Studie mit Bachelor-Studierenden weiterer Studiengänge belegt den Negativ-Zusammenhang von Leistungsdruck, Handlungsspielräumen und Stressempfinden. Studienleiter Fabian Scheiter hat daneben einen weiteren entscheidenden Einflussfaktor festgestellt: die Persönlichkeit der Probanden.

So waren die befragten weiblichen Studierenden im Schnitt gestresster als ihre männlichen Kommilitonen - allerdings nur, weil unter den Frauen auch die Persönlichkeitsdimensionen "ängstlich/vermeidend" und "gewissenhaft" stärker ausgeprägt waren. Diese Typen neigen Scheiter zufolge zu einem höheren Stressempfinden. Er gibt aber zu bedenken: "Männer geben nur nicht so gerne zu, ängstlich oder gestresst zu sein."

Nur die stressige Prüfungszeit bleibt in Erinnerung

An dieser Stelle setzt die grundsätzliche Kritik von Bildungsforscher Rolf Schulmeister an den Heidelberger Studien an. Er hält die Methode für nur bedingt aussagekräftig. Befrage man Studierende danach, wie sehr sie ihr Studium fordere, werde man immer übertriebene Einschätzungen bekommen. "Ihnen bleibt von einem mehrmonatigen Semester vor allem die kurze, stressige Prüfungszeit in Erinnerung."

Auch dafür, dass Studierende über zu wenig persönliche Freiheit im Bachelor klagen, hat der Hamburger Professor eine alternative Erklärung: "Viele Studierende schaffen es nicht, den Leerlauf zwischen Lehrveranstaltungen sinnvoll zu nutzen. Am Abend haben sie das Gefühl, einen Acht-Stunden-Tag hinter sich zu haben - obwohl es tatsächlich nur vier Stunden Uni waren."

Schulmeisters "Zeitlast"-Studien zum Bachelor belegen diese verzerrte Sicht. Er ließ Studierende von mittlerweile 35 Studiengängen ihren Tag protokollieren. Dabei kam heraus, dass Studierende im Schnitt zwischen 23 und 27 Stunden pro Woche auf ihr Studium verwenden. "Natürlich gibt es auch Studierende, die das Arbeitspensum eines Managers haben." Der Median liegt allerdings bei 23 Stunden pro Woche: 50 Prozent der Befragten verwenden also noch weniger Zeit für die Uni.

Zwar sieht auch Schulmeister strukturellen Verbesserungsbedarf beim Bachelor. So plädiert der Erziehungswissenschaftler für ein themenzentriertes Lehren und Lernen in geblockten Modulen. Doch sein grundsätzliches Fazit ist positiv: Für die Heidelberger Ergebnisse macht er weniger die Studienreform als vielmehr mangelnde Selbstorganisation verantwortlich - "den meisten Studierenden kommt der verschulte Bachelor entgegen."

Weniger lernen, mehr leben

Diese Einschätzung klingt zunächst wie die Gegenposition zu Sieverding und Scheiter. Doch so weit liegen die Bildungsforscher tatsächlich nicht auseinander. Denn auch die Heidelberger Wissenschaftler sehen die Problematik des Bachelor nicht im Studiensystem per se, sondern in der Umsetzung. "Hier wurde das Bachelor-/Master-System typisch deutsch umgesetzt: überkorrekt. Struktur ist zwar gut, doch es braucht auch Freiräume", sagt Scheiter. In Heidelberg gibt es im Bachelor Psychologie inzwischen auch unbenotete Veranstaltungen.

Darüber hinaus könnten die Studierenden selbst etwas zu ihrem eigenen Wohlbefinden beitragen, so Psychologie-Professorin Sieverding: "Ich sage meinen Erstsemestern immer: 'Ihr könnt das Studium in sechs Semestern durchziehen - aber niemand zwingt euch dazu!'" Sie rät Studierenden, sich frei zu machen von gefühlten Zeitzwängen.

Und Scheiter appelliert an besonders Gestresste, statt noch mehr zu lernen, lieber mal das Leben zu genießen. Denn, so konnte er auch feststellen: Studierende, die mehr Zeit für außeruniversitäre Aktivitäten verwendeten, bekamen nicht etwa schlechtere Noten. Sie waren aber weniger gestresst.

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