Mit Schulden aus dem Studium zu kommen, ist eine Bürde, die über das Finanzielle hinausgeht. Mal davon abgesehen, dass es für junge Menschen mit dem Einstiegsgehalt schon schwierig genug sein kann, das tägliche Leben zu finanzieren. Während die meisten deutschen Studenten die Uni-Zeit privat oder mithilfe von Bafög finanzieren und die Belastung durch einen Studienkredit eher die Ausnahme darstellt, sind Darlehen in den USA der Preis, den es für einen höheren Bildungsabschluss zu bezahlen gilt - oft noch Jahrzehnte nach College oder Uni.
Jetzt könnte ein massenhafter formaler Fehler wenigstens einige Ex-Studenten von ihren Schulden befreien. Die New York Times berichtet von Zehntausenden jungen Kreditnehmern, die mit ihren Raten im Rückstand sind und mit einem Schlag ihren Schuldenberg los sein könnten. Denn offenbar hat es einer der größten Besitzer privater Studienkredite in den USA, der National Collegiate Student Loan Trust, versäumt, den Ankauf von Bildungsdarlehen einwandfrei zu dokumentieren. Weswegen US-Richter bereits in Dutzenden Fällen für die Schuldner entschieden haben.
So wie im Fall von Samantha Watson, heute 33 Jahre alt, Mutter von drei Kindern. Sie hatte 2013 ihren College-Abschluss gemacht - als Erste ihrer Familie. Psychologie am Lehman College im New Yorker Stadtteil Bronx. Finanziert hatte die junge Frau ihr Studium über einen privaten Kredit. Ein Fehler, wie sie rückblickend sagt, denn was sie da bei der Bank unterschrieb, verstand sie nicht: "Jeder erzählt dir, dass du aufs College gehen sollst, einen guten Abschluss machen sollst, und alles wird gut werden. Also habe ich genau das gemacht."
Verschwundene Dokumente, getürkte Papiere
Als Watsons Tochter krank wurde und sie ihren Job als Assistentin in der Geschäftsführung aufgeben musste, geriet sie mit ihren Zahlungen in Rückstand. Und sah sich plötzlich mit rechtlichen Forderungen konfrontiert. Watson suchte sich Hilfe bei einer gemeinnützigen Rechtsberatung - und bekam am Ende recht. National Collegiate war nicht in der Lage, die entsprechenden Verträge vorzulegen, die bewiesen hätten, dass Watson dem Trust Geld schuldete. Die Dokumente waren einfach verschwunden. An einer Stelle hätten die gegnerischen Anwälte versucht zu belegen, dass seine Mandantin an einem College eingeschrieben war, an dem sie nie studiert hatte, erzählte Watsons Anwalt der New York Times.
Die Ironie der Geschichte von Samantha Watson und anderen Ex-Studenten: Entlastet werden durch die Urteile genau jene jungen Menschen, die die härtesten Rückzahlungsbedingungen haben - Kreditnehmer privater Banken. Sie zahlen im Vergleich zu staatlichen Darlehen deutlich höhere Zinsen, mitunter im zweistelligen Bereich. Und sie müssen sich an einen strikten Ratenplan halten. Andernfalls drohen schnell juristische Konsequenzen. Doch genau die Klagefreude wird dem Kreditaufkäufer National Collegiate nun zum Verhängnis: Denn vor Gericht fielen die allermeisten Klagen schnell in sich zusammen, schreibt die New York Times. Es fehlten die nötigen Papiere, die beweisen, dass die Beklagten tatsächlich die Kreditnehmer sind; außerdem die Dokumentation, wer das Darlehen wann an wen weiterverkauft hat.
Dem Blatt zufolge wird derzeit an amerikanischen Gerichten über einen Gesamtschuldenberg von fünf Milliarden US-Dollar verhandelt. Übrig bleiben könnte am Ende ein Maulwurfhügel - inklusive löchrigem Untergrund. Verantwortlich dafür sind für Laien nicht ganz einfach nachzuvollziehende Geschäfte mit Krediten.
So wenden sich die meisten Studenten für ein Bildungsdarlehen an eine Bank. Banken bündeln diese Kredite und verkaufen sie weiter an Finanzunternehmen. Diese wiederum veräußern die Kredite an Trusts, im konkreten Fall: den National Collegiate Student Loan Trust. Ihm gehören 15 kleinere Trusts an, die 800 000 Studienkredite im Wert von zwölf Milliarden US-Dollar besitzen. Insgesamt hat der Markt für private Bildungsdarlehen in den USA ein Volumen von 108 Milliarden Dollar. (Zum Vergleich: Der größte Kreditgeber für Studienkredite ist der amerikanische Staat, dieser Sektor kommt auf unglaubliche 1,3 Billionen Dollar. Ein Geschäft, das sich also lohnt.)
Bei der Eintreibung der Schulden geht National Collegiate dem New-York-Times-Bericht zufolge aggressiv vor. Landesweit strengt der Trust im Schnitt vier Klagen gegen säumige Kreditnehmer an - pro Tag. In den vergangenen Jahren seien so Zehntausende Fälle zusammengekommen.
Der Druck zeigte Wirkung: Vielfach gingen die Verfahren in der Vergangenheit zugunsten von National Collegiate aus, schlicht, weil die Schuldner aus Angst gar nicht erst vor Gericht erschienen. Der Trust gewann so automatisch und konnte verlangen, dass das Gehalt und sogar Sozialleistungen zur Tilgung der Schulden eingezogen werden. Auch wenn ein höherer Bildungsabschluss eine sinnvolle Investition sein kann - längst nicht jeder Student schließt sein Studium mit einem Abschluss ab, der ihm einen gutbezahlten Job eröffnet. Gerade private Unis gehen in den USA oft pleite oder werden nach Betrugsvorwürfen geschlossen. Die private "Trump University" für angehende Immobilienmakler des heutigen US-Präsidenten ist nur ein Beispiel.
"Meine Mutter hat angefangen zu weinen"
Doch nun könnte sich das Blatt wenden. Denn wenn die Beklagten vor Gericht gehen, haben sie gute Chancen zu gewinnen. Die Folgen sind auch den Anwälten von National Collegiate bewusst. In einem Antrag schrieben sie jüngst: "Wenn sich die Nachricht verbreitet, dass der Trust nicht in der Lage ist, die Dokumente zu liefern, um die Darlehensschulden einzufordern, steigt die Wahrscheinlichkeit von weiteren Zahlungssäumnissen."
Ex-Studentin Samantha Watson ist einfach nur froh, nicht mehr jeden Monat Angst haben zu müssen, ihre Kreditrate nicht bedienen zu können. Sie war nach ihrem Urteil mit einem Mal 31 000 Dollar Schulden los. "Es fühlt sich an, als wäre ein Gewicht von dir genommen", sagte sie der New York Times. "Meine Mutter hat angefangen zu weinen."