Studienfinanzierung:Stärkt das Bafög!

Das Bafög hat schon mehr als vier Millionen Menschen ein Studium ermöglicht. Sinnvoller kann man Steuergeld kaum anlegen. Die Bildungsrepublik müsste also stolz sein auf ihre Ausbildungsförderung, sie hegen und pflegen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Ein Appell.

Von Dieter Timmermann

In den politischen Auseinandersetzungen um einzelne Instrumente der staatlichen Studienfinanzierung gehen sehr leicht die Proportionen verloren. Das "Deutschlandstipendium", mit dem Bund und Wirtschaft gemeinsam die besten Studierenden fördern wollen, mag man für sinnvoll halten oder nicht; Fakt ist: nur 0,6 Prozent aller Studierenden profitieren überhaupt davon. Und lediglich vier Prozent erhalten insgesamt ein Stipendium, das Deutschlandstipendium inbegriffen.

Lange wurden auch Studienkredite als neuer Königsweg propagiert. Fakt ist: Vier Prozent der Studierenden greifen tatsächlich auf das (staatlich subventionierte) Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau zurück.

Anders das Bafög. Das Bafög verdient es wirklich, eine tragende Säule der Studienfinanzierung genannt zu werden. Das zeigte jüngst die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks: Studienfinanzierung ist hierzulande eine Mischfinanzierung aus Elternunterhalt, Nebenjob und Bafög. 87 Prozent der Studierenden werden von ihren Eltern unterstützt, knapp zwei Drittel jobben, ein Viertel erhält Bafög. Und mehr als 80 Prozent der Geförderten sagen, ohne das Bafög könnten sie gar nicht studieren.

Vier Millionen Mal Aufstieg durch Bildung

In seiner mittlerweile 42-jährigen Geschichte hat das Bafög schon mehr als vier Millionen Menschen, denen eine akademische Bildung nicht in die Wiege gelegt worden war, ein Studium ermöglicht. Das heißt: vier Millionen Mal Aufstieg durch Bildung; der individuelle, der ökonomische, der gesellschaftliche "Gewinn" des Modells kann nicht hoch genug veranschlagt werden.

Sinnvoller kann man Steuergeld kaum anlegen. Die Bildungsrepublik müsste stolz sein auf ihr Bafög und es hegen und pflegen. Müsste.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Ob das Bafög reformiert oder erhöht wird, ist zu oft abhängig von politischen Gemengelagen. Die letzte wirklich große Investition in die Ausbildungsförderung brachte die rot-grüne Koalition 2001 auf den Weg. Die Bedarfssätze wurden damals erhöht, die Geförderten durften höhere Vermögen bilden und mehr jobben, ohne dass dies auf das Bafög angerechnet wurde. 2008 besserte die große Koalition nach sieben Jahren Stillstand nach.

Dann, sicherlich mitverursacht durch die damaligen Studierendenproteste, erhöhte die schwarz-gelbe Koalition das Bafög zuletzt moderat. Allerdings strich sie zugleich den Darlehenserlass für besonders gute und schnelle Studienabschlüsse. Seitdem tut sich nichts. Und das, obwohl im Bafög-Bericht der Bundesregierung im Januar 2012 ein Erhöhungsbedarf der Bedarfssätze um fünf Prozent und der Freibeträge um sechs Prozent zum Herbst 2012 festgestellt wurde.

Das Bafög muss mit der Zeit gehen

Bund und Länder waren aber vor der Bundestagswahl nicht zu einer Erhöhung zu bewegen. Sie setzten eine Arbeitsgruppe auf Staatssekretärsebene ein; Konkretes war von ihr bisher nicht zu hören. Weil die Länder 35 Prozent der Bafög-Kosten von rund zwei Milliarden Euro im Jahr tragen, können offenbar gerade ärmere Länder dieser Verpflichtung nicht mehr nachkommen. Schon auf dem ersten "Bildungsgipfel" im Jahr 2008 hatten diese Länder gefordert, sie bräuchten für Bildungsaufgaben vom Bund einen Prozentpunkt der Mehrwertsteuer. Seitdem ist dieser gordische Knoten nicht durchschlagen.

Studentin auf Wohnungssuche, 2010

In vielen Uni-Städten ist Wohnraum knapp - und teuer. Das Bafög muss an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst werden. (Im Bild: Studentin auf Wohnungssuche in München)

(Foto: lok)

Nichtsdestotrotz bleibt das Bafög ein Bundesgesetz. Egal welche Koalition nach der Bundestagswahl im September die Bildungspolitik verantworten wird: Ich appelliere schon jetzt an sie: Pflegen Sie das Bafög besser! Stärken Sie es! Gehen Sie auf die Länder zu! Denn ein besseres Instrument für mehr Chancengleichheit und Bildungsaufstieg haben Sie nicht. Entwickeln Sie das Bafög weiter, machen Sie es passender für die Studienbedingungen von Bachelor und Master und für neue Bildungsbiografien!

Man muss das oft verwendete Schlagwort vom "lebenslangen Lernen" einmal ernst nehmen. Die Zukunft wird neue Gruppen von Studierenden an Deutschlands Hochschulen bringen, zum Beispiel mehr beruflich Qualifizierte ohne Abitur. Phasen des Studiums und der Erwerbstätigkeit werden sich in Zukunft abwechseln; die Bildungsverläufe werden diskontinuierlicher, die Anzahl der Teilzeitstudiengänge und der dualen Studiengänge wird zunehmen. Daran muss - und kann, wenn man denn will - das Bafög angepasst werden.

Zuletzt tat sich: nichts

Es ist höchste Zeit, diese konzeptionelle Arbeit zu beginnen. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hat in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung im Frühjahr eine Bafög-Reform genau in diese Richtung skizziert. Wann kommt sie? Zuletzt tat sich eben: nichts.

Die Reformvorschläge liegen auf dem Tisch und das schon seit Längerem: weg mit den Altersgrenzen im Bafög, Förderung auch für Teilzeit- und duale Studiengänge, Mitnahme der Ansprüche in alle 47 Bologna-Staaten und nicht nur in EU-Länder sowie einen Bafög-Anspruch auch für die Übergangszeit zwischen einem Bachelor-Abschluss und dem Beginn eines weiterführenden Master-Studiums.

Noch immer müssen geförderte Studierende nach dem vierten Fachsemester einen Leistungsnachweis bringen - das stammt aus den Zeiten vor der Bologna-Reform und passt überhaupt nicht mehr zu einem sechssemestrigen Bachelor-Studium. Warum geht die Politik so etwas, das sich rasch ändern ließe, nicht endlich an?

Auch der Bafög-Vollzug bedarf der Reform. Bis vor Kurzem waren in den Verwaltungsvorschriften zur Ausbildungsförderung noch D-Mark-Beträge ausgewiesen. Die IT-Infrastruktur in den Bundesländern ist föderal buntscheckig, manche setzen auf selbst programmierte Landeslösungen, andere vertrauen kommerziellen Software-Anbietern. In Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen kann man Bafög online beantragen, in den anderen Ländern nicht. Wer hat dafür heutzutage noch Verständnis?

Am wichtigsten und dringendsten ist es aber, das Bafög regelmäßig und automatisch an die Entwicklung von Preisen und Einkommen anzupassen. Gehen diese hoch, müssen auch die Bedarfssätze und die Elternfreibeträge der Förderung steigen. Dann wäre auch endlich Schluss mit einer Bafög-Politik je nach Kassen- oder hochschulpolitischer Stimmungslage.

Der Bildungsökonom und ehemalige Rektor der Universität Bielefeld, Dieter Timmermann, 70, ist Präsident des Deutschen Studentenwerks. Es betreibt an Hochschulen unter anderem Mensen und den Bafög-Vollzug.

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