Studie zu achtjährigem Gymnasium:Mehr Sitzenbleiber, jüngere Abiturienten

Gymnasium G8/G9

Einige Bundesländer haben sich bereits wieder vom G8 verabschiedet.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt: Seit der Gymnasialreform sind Abiturienten jünger, sie bleiben jedoch auf dem Weg zum Abschluss häufiger sitzen.
  • Die Abiturientenquote ist seit der flächendeckenden Umstellung auf G8 konstant geblieben.
  • Hier lesen Sie die wichtigsten Ergebnisse im Überblick - und was Forscher dazu sagen.

Von Matthias Kohlmaier

Es ist die zweite Studie zum achtjährigen Gymnasium binnen weniger Tage - und die zweite, die Gegnern wie auch Befürwortern des G8 Argumente liefert. Einen unveränderten Abiturientenanteil, jüngere Absolventen, aber mehr Sitzenbleiber verglichen mit dem G9 konstatiert die aktuelle Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Forscher Jan Marcus und Mathias Huebener haben anhand amtlicher Daten des Statistischen Bundesamtes für die Abiturjahrgänge 2002 bis 2013 untersucht, wie sich die Bildungsreform bislang ausgewirkt hat.

Vergangene Woche war bereits eine Studie des Tübinger Hector-Instituts für Empirische Bildungsforschung zur Situation an den Gymnasien erschienen. Demnach erreichen G8- und G9-Schüler vergleichbare Abiturnoten und können außerdem in Mathematik, Physik und Biologie ähnliche Kompetenzen vorweisen.

Die Erhebung, die nur für Baden-Württemberg Gültigkeit besitzt, besagt aber auch: G8-Schüler fühlen sich insgesamt gestresster. Sie haben demnach mit einer als größer empfundenen Beanspruchung zu kämpfen, es geht ihnen gesundheitlich schlechter. Zudem sind ihre Leistungen im Fach Englisch signifikant schwächer als von vergleichbaren Schülern im G9.

Die wichtigsten Ergebnisse der DIW-Studie

Dass die Abiturientem im achtjährigen Gymnasium im Durchschnitt jünger sind als ihre G9-Kollegen, ist wenig überraschend. Interessant ist jedoch, dass sie laut DIW nur etwas mehr als zehn Monate jünger sind - trotz eines ganzen Jahres weniger Schule. Das liegt unter anderem daran, dass die Wahrscheinlichkeit, im Verlauf der Gymnasialschulzeit eine Klasse zu wiederholen, um drei Prozentpunkte gestiegen ist. Da im G9 im Durchschnitt fast 15 Prozent der Schüler im Laufe ihrer Gymnasialschulzeit eine Klasse wiederholt hätten, entspricht der Anstieg einer Erhöhung der Wiederholerquote um etwa ein Fünftel.

Wie viele Studien der vergangenen Jahre belegt haben, stammen die schwächeren und zum Sitzenbleiben führenden Leistungen mehrheitlich von den Jungen. Die meisten der zusätzlichen Klassenwiederholungen gab es zudem in der Oberstufe - dies könne auch darauf hindeuten, dass die betroffenen Schüler nicht unbedingt durch G8 überfordert seien, sondern freiwillig eine Klasse wiederholten, heißt es in der Studie - etwa um Kurswahlen anzupassen oder die Abiturleistung zu verbessern. Jedoch spreche der Befund auch für eine mangelnde geistige Reife, wie die Seminarleiterin eines bayerischen Gymasiums auf SZ.de-Anfrage vermutet: "Viele der heutigen Oberstufenschüler sind im Kopf einfach noch nicht so weit."

Abschließende Beurteilung der Reform steht noch aus

Ein grundsätzlich positiver Befund der Untersuchung: Die Abiturientenquote ist nicht gesunken. Inwiefern die kontante Abiturientenquote allerdings auf die Schulreform zurückgeht, ist fraglich. Seit Jahren wechseln immer mehr Grundschüler auf ein Gymnasium, worin ein Trend zu mehr Abiturienten begründet liegen dürfte. Das gesunkene Alter der Abiturienten könnte auch mit einem niedrigeren Einschulungsalter zusammenhängen. Die Studienautoren geben jedoch an, solche allgemeinen Faktoren - etwa auch das Zentralabitur - bei ihrer Auswertung berücksichtigt zu haben.

Das sagen die Autoren

"Befürchtungen, dass die G8-Reform Schüler vom Abitur abschreckt, können ebenso wenig bestätigt werden wie Hoffnungen, dass die verkürzte Abiturschulzeit dazu führt, dass sich mehr junge Leute für ein Abitur entscheiden", sagen die Studienautoren Jan Marcus und Mathias Huebener.

Man könne die Reform noch nicht abschließend beurteilen. "Noch lässt sich nicht zuverlässig sagen, welche Wirkungen sie außerhalb der Schule hat, beispielsweise darauf, ob sich das Freizeitverhalten und das gesellschaftliche Engagement der Schüler verändert haben und ob Abiturienten tatsächlich früher in den Arbeitsmarkt eintreten."

Marcus und Huebener gehen weiterhin davon aus, dass die von ihnen vermuteten Effekte der G8-Reform von Dauer seien. "Die steigende Zahl der Klassenwiederholungen ist kein kurzfristiges Phänomen, das nur im Umfeld der Einführung von G8 auftritt und mit zunehmender Erfahrung mit der neuen Schulform nachlässt", erklärt Huebener. So blieb die Reduktion des Abiturientenalters in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern - jenen Ländern, die die Reform zuerst umsetzten - auch fünf Jahre nach dem G8-/G9-Doppeljahrgang hinter einem vollen Jahr zurück. Auch die Entwicklung der Klassenwiederholungsquote schwächte sich mit zunehmendem Abstand zur Reformeinführung nicht ab.

Die G8-/G9-Diskussion

"Turbo-Abi" schimpfen Lehrer und Elternverbände seit der flächendeckenden Einführung des G8 um die Jahrtausendwende. Ziel der Reform war nicht nur eine Verschlankung des Lehrstoffs, sondern auch, die Schüler früher in den Arbeitsmarkt entlassen zu können. Wirtschaftsverbände hatten vielfach befürchtet, Deutschland könne langfristig abgehängt werden, da die potenziellen Fachkräfte der Zukunft zu lange an der Schule festsitzen würden.

Viele Hoffnungen haben sich jedoch nicht erfüllt - die Proteste gegen das achtjährige Gymnasium sind geblieben. So drehen einige Bundesländer die Reform bereits wieder zurück. Niedersachsen etwa wird mit Beginn des kommenden Schuljahres in den Klassen fünf mit acht wieder auf G9 umstellen. In Bayern startet ab September das Pilotprojekt "Mittelstufe Plus". An 47 Schulen wird es dann die Möglichkeit geben, die Mittelstufe in vier statt in drei Jahren und damit eine Form des G9 zu absolvieren. An den meisten teilnehmenden Gymnasien haben sich mehr als 50 Prozent der aktuellen Siebtklässler für das neue Modell entschieden.

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