Süddeutsche Zeitung

Grundschule:Wer Sport macht, rechnet besser

Eine Studie zeigt: Was Kinder in der Freizeit machen, hat großen Einfluss auf ihren Lernerfolg. Ob sie am Nachmittag in der Schule bleiben, dagegen kaum.

Von Bernd Kramer

An der Grundschule Sander Straße in Hamburg sorgt Rektor Marco Fritzler mit allen Mitteln dafür, dass die Kinder nicht zu träge werden. In den Unterrichtsstunden halten die Lehrkräfte sie zum Beispiel immer wieder an, aufzustehen und sich neues Lernmaterial zu holen - "unbewusste Bewegungspausen" nennt Schulleiter Fritzler das Konzept, bei dem er unbemerkt durch die Hintertür etwas Sport ins Klassenzimmer holt. Als eine neue Turnhalle gebaut werden sollte, setzte Fritzler sich dafür ein, dass die alte nicht abgerissen wird. Jetzt hat die Schule sogar zwei Sporthallen und kann ihren Schülerinnen und Schülern gemeinsam mit einem Verein jeden Nachmittag bis zu drei Angebote zur Auswahl bieten: von Fußball über Ringen, Tanzen, Inliner, Basketball, Turnen bis hin zu Yoga.

"Jedes Kind, das die Ganztagsangebote nutzt, soll möglichst einen Sportkurs pro Woche besuchen. Darauf achten die Erzieher bei uns sehr genau", sagt Fritzler. "Wenn sich Kinder bewegen, lernen sie besser." Im vergangenen Jahr hat die Schule Sander Straße sogar den Deutschen Schulsportpreis erhalten.

Sport macht schlau. Das bekräftigt nun auch eine neue Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die der SZ vorab vorliegt. Der Ökonom Wido Geis-Thöne und seine Kollegin Ruth Maria Schüler wollten herausfinden, welche Aktivitäten außerhalb des Unterrichts einen Einfluss auf den Lernerfolg haben. Dazu werteten sie die Daten von rund 4000 Viertklässlern aus, die im Rahmen des Nationalen Bildungspanels befragt wurden. "Wir haben uns nicht einzelne Teilbereiche angesehen, sondern die Lebenslagen der Kinder in der ganzen Breite", erklärt Forscher Geis-Thöne.

Zu viel Sport, zu wenig Zeit für Hausaufgaben

Manche Ergebnisse sind dabei erwartbar. Wer an seinen schulfreien Tagen regelmäßig liest, erreicht eine höhere Lesekompetenz. Er schneidet aber auch in Mathematiktests besser ab. Lesen bildet - und macht Schüler interessanterweise auch zu besseren Rechnern.

Am erstaunlichsten war für die Forscher allerdings die segensreiche Wirkung, die regelmäßiger Sport entfalten kann. Nicht allein das Bücherlesen macht klug, sondern auch Bewegung, die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Die Forscher können dabei ausschließen, dass dieses Bild sich lediglich ergibt, weil es vor allem die gut verdienenden Eltern mit hohen Bildungsabschlüssen sind, die ihre Kinder in die Tennisvereine schicken: Den sozialen Hintergrund der Schülerinnen und Schüler haben die Autoren aus den Ergebnissen herausgerechnet. Selbst wenn man also nur Professorinnen- oder nur Verkäuferkinder betrachten würde, wären die sporttreibenden unter ihnen im Schnitt kompetenter als die, die keinen Sport machen.

Sie dürfen es nur nicht übertreiben: Wer mindestens einmal in der Woche schweißtreibenden Sport macht, schneidet im Rechnen, Lesen und Rechtschreiben besser ab als andere Klassenkameraden. Wer sich dagegen jeden Tag auspowert, erzielt schlechtere Ergebnisse. "In Maßen führt Sport eindeutig zu besseren Leistungen", sagt Geis-Thöne. "Wenn ein Kind jeden Tag Fußball spielt, fehlen vielleicht schlicht die Zeit und die Energie, um für die Schule zu lernen."

Sport verändert das Gehirn - und die Persönlichkeit

Dass Sport nicht nur Muskeln und Ausdauer stärkt, hatte IW-Ökonom Geis-Thöne schon in früheren Studien herausgefunden. Sport lässt offenbar sogar das Einkommen wachsen: Männer, die im Alter zwischen 25 und 34 mindestens einmal wöchentlich Sport trieben, verdienten in den folgenden neun Jahren 6,39 Euro mehr in der Stunde als ihre Kollegen - bei gleichem Bildungsabschluss und Gesundheitszustand. Auch beim Berufseinstieg waren die Sportlichen erfolgreicher. Die Grundschul-Studie fügt diesem Bild nun eine weitere Facette hinzu.

Bloß warum ist das so? Eine Überlegung: Es ist vielleicht gar nicht so sehr der Sport, der etwas bewirkt. Womöglich unterscheiden sich sporttreibende Menschen von vornherein in vielen Punkten von anderen - sie zeichnen sich möglicherweise durch mehr Disziplin und Durchhaltewillen aus, Eigenschaften also, die für den Gang zum Training ebenso wichtig sind wie für den Erfolg in der Schule oder im Job. IW-Forscher Geis-Thöne glaubt allerdings, dass auch der Sport selbst etwas bewirkt. Er verweist auf Untersuchungen, wonach unsere Persönlichkeit uns nicht allein zu Sportlern macht - sondern Sport umgekehrt auch unsere Persönlichkeit prägt: Wer sich bewegt, wird dadurch offenbar gewissenhafter und offener für neue Erfahrungen.

Andere Studien wiederum zeigen, dass Bewegung das Gehirn fit machen kann: Forscher der Uni Bochum zum Beispiel legten Sportler in den Kernspintomographen und fanden so heraus, dass sie nicht nur mehr Muskelmasse hatten, sondern auch mehr Hirnsubstanz. Ein US-amerikanisches Forscherteam stellte fest, dass Schulkinder besser in Leistungstests abschnitten, nachdem sie 20 Minuten lang auf dem Laufband standen. Die IW-Ergebnisse bestätigen diese Forschung nun.

Warum zahlt sich mehr Zeit in der Schule nicht aus?

So entscheidend es ist, wie Kinder ihre Freizeit verbringen, so wenig macht es überraschenderweise für ihre Leistungen aus, ob sie an den Nachmittagen in der Schule bleiben. Ganztagsschüler schneiden in Mathematik, Lesen und Rechtschreiben nicht nennenswert besser ab als Kinder, die nur Halbtagsunterricht bekommen - auch das stellt die IW-Studie fest. Mehr Zeit auf dem Bolzplatz macht klug, mehr Zeit in der Schule dagegen nicht unbedingt. Für Studienautor Wido Geis-Thöne ist das ein verwunderliches Ergebnis: "Offenbar haben wir in der Breite nicht die Qualität im Ganztag, die wir eigentlich bräuchten", sagt er.

Dieser Befund deckt sich mit den Erkenntnissen der "SteG"-Studie, einer großen Untersuchung, die den Ausbau der Ganztagsschulen erforscht. Auch sie stellte fest: Der Besuch einer Ganztagseinrichtung führt nicht automatisch dazu, dass Schülerinnen und Schüler auch in Leistungstests besser abschnitten.

Dabei sollen Ganztagsschulen nicht nur Förderstunden und Hausaufgabenbetreuung anbieten, sondern auch Freizeitangebote, die das Lernen unterstützen. Aber offensichtlich finden sie dafür nicht immer die richtigen Partner: Ein großer Teil der Ganztagsgrundschulen kooperiert zwar mit Sportvereinen, die Zahl ist aber zwischenzeitlich gesunken: 2012 hatten laut "Steg"-Studie 85,9 Prozent der Schulen eine Partnerschaft mit einem Verein, im vergangenen Jahr waren es nur 79,5 Prozent. Zwischenzeitlich war die Zahl sogar noch niedriger. IW-Forscher Geis-Thöne mahnt an, gute Bewegungsangebote nicht zu vernachlässigen. "Wir brauchen mehr Sport im Ganztag."

Als die Grundschule Sander Straße in Hamburg vor sieben Jahren den Ganztagsbetrieb startete, suchte sie gezielt die Kooperation mit dem Sportverein TSG Bergedorf; in einer Umfrage hatten sich die Eltern dafür ausgesprochen. "Im Unterricht können wir einzelne Bewegungsfelder allenfalls anreißen", sagt Schulleiter Marco Fritzler. "Wirklich für einen Sport begeistern können wir die Kinder aber nur, wenn sie sich am Nachmittag ausprobieren und dann auf eine Sportart spezialisieren können, die ihnen Spaß macht." In Hamburg funktioniert das offensichtlich: Nach der vierten Klasse, wenn sie die Schule wechseln, erzählt Fritzler, suchten sich viele Schüler einen Verein. Sie bleiben am Ball, was vielleicht auch den Mathelehrer am Gymnasium freut.

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