Jura-Studium:Gattin, Sekretärin, Geliebte

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Studierende sitzen in einer Vorlesung zum Thema Recht in einem Hörsaal im Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin. (Foto: dpa)

Antiquiert und voller Klischees: Das Jura-Studium vermittelt ein Frauenbild von vorgestern, zeigt eine neue Studie.

Von Christoph Fuchs

Wäre die Welt so, wie sie in Übungsfällen im Jura-Studium geschildert wird, dann sähe das Leben von Frauen so aus: Am liebsten würden sie Schuhe und Handtaschen kaufen, sich dabei aber durch ungünstige Verträge über den Tisch ziehen lassen. Arbeiten würden sie ungern, sondern als Hausfrauen darauf hoffen, dass ihre Gatten und Gönner sie finanzieren. Und wenn sie es beruflich ausnahmsweise doch in eine Führungsposition schaffen, dann kann das eigentlich nur in einem Schönheitssalon passieren, unterstützt von einem Mann.

Vom ersten Semester bis zum Ende des Referendariats haben angehende Juristen mit Fällen zu tun, anhand derer der Stoff geübt und geprüft wird. Um die Konstellationen greifbarer zu machen, werden sie als Geschichten erzählt. Dass diese vor überkommenen Klischees nur so triefen, zeigt nun eine Studie der Juristin Dana-Sophia Valentiner. Sie hat knapp 100 Fälle untersucht, mit denen zwei Hamburger Jura-Fakultäten ihre Studenten auf das erste Staatsexamen vorbereiten. Frauen, so der Befund, kommen dort nur sehr selten vor, 80 Prozent des Fall-Personals ist männlich. Und wenn sie auftauchen, dann meist nicht eigenständig, sondern als Anhängsel eines Mannes: als seine Ehefrau, Sekretärin oder Geliebte.

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Die Zahlen aus Valentiners Studie räumen auch mit dem gern angeführten Gegenargument auf, das Mann-Frau-Verhältnis in den Fällen spiegele nur die Realität wider. Denn es stimmt zwar, dass die Ausbildungsfälle oft auf echten Gerichtsentscheidungen basieren. Und es ist auch richtig, dass es statistisch deutlich mehr männliche als weibliche Straftatverdächtige gibt. Aber abgesehen davon, dass es trotzdem sinnvoll sein könnte, der Stereotypen-Bildung entgegenzuwirken: Laut Studie ist die Zahl der Frauen in Zivilrechtsübungen, in denen es etwa um Kaufverträge und Mietstreitigkeiten geht, prozentual sogar noch geringer (11 Prozent) als im Strafrecht (20 Prozent). Und das ohne jegliche statistische Grundlage in der Realität.

Zwar bilden die Zahlen nur die Lage in Hamburg ab. Aber dass das Ergebnis übertragbar ist, bezweifelt kaum jemand. Auseinander gehen die Meinungen erst bei der Frage, wie problematisch der Befund ist. Nicht so sehr, sagen die einen, immerhin seien die Studenten volljährig und setzten ihr Weltbild nicht aus diesen Fällen zusammen. Ute Sacksofsky, Prodekanin des Fachbereichs Rechtswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt, zweifelt nicht an der Reife des juristischen Nachwuchses, trotzdem hält sie die Männerdominanz für problematisch: "Unser Bewusstsein wird dadurch geprägt, was wir als Normalitätsvorstellung erleben. Wenn junge Frauen in solchen Fällen zum Beispiel immer nur 'der Rechtsanwalt' lesen, dann ergibt sich für sie das Bild, dass das Normale eben ein männlicher Rechtsanwalt ist. Das macht es für Frauen schwerer, sich in diesen Rollen vorzustellen."

Valentiners Studie ist nicht die erste Auseinandersetzung mit dem Thema. Schon vor genau 40 Jahren gab es Untersuchungen zum "Frauenbild im zivilrechtlichen Schulfall". Die Ergebnisse von damals, so Valentiner, seien den jetzigen teilweise erschreckend ähnlich. Einen Erklärungsansatz, warum die Juristenausbildung in dieser Hinsicht so hinterherhinkt, sieht sie im "Mythos der Objektivität und Neutralität, der das Recht umgibt". Wer sich für Gerechtigkeit in der Welt zuständig fühlt, dem mag es mitunter an Reflexionsbereitschaft über eigene Vorurteile fehlen.

Vor drei Jahren hat die Rechtsanwältin Daniela Schweigler im Anschluss an ihr Referendariat der bayerischen Justizausbildung in einem Aufsatz ein Sexismusproblem diagnostiziert: Die Übungsfälle waren aus ihrer Sicht nur ein Symptom eines insgesamt nicht gerade frauenfreundlichen Klimas.

Im Rahmen einer darauffolgenden Anfrage aus dem Landtag verneinte das Bayerische Staatsministerium der Justiz einen Handlungsbedarf. Dabei verwies es unter anderem darauf, dass die Geschlechter in den Examensfällen gleichmäßig vertreten seien und sich über die Ausbildungsmaterialien außer Schweigler noch niemand beschwert habe. Valentiner und Schweigler sagen, sie hätten nach ihren Veröffentlichungen viele Rückmeldungen bekommen, die zeigen, dass es durchaus andere Leute gibt, die sich ebenfalls an den Fällen stören.

Wenn die Verwaltungsbeamtin einen Baum fällt

Dass die Übungsfälle mit bösem Willen gestrickt werden, will Valentiner niemandem unterstellen. Es mangele aber am Bewusstsein für das Thema. Erst wenn das vorhanden sei, könne sich etwas ändern und auf Klischees verzichtet oder - so ein weiterer Vorschlag der Studie - auch mal gezielt mit Klischees gebrochen werden. So habe eine Klausur kürzlich von einer Verwaltungsbeamtin gehandelt, die einen Baum mit der Motorsäge fällen musste.

Langsam scheint das Bewusstsein zu wachsen: Egal ob an den Fakultäten in München, Erlangen oder Frankfurt - alle, mit denen man spricht, möchten die Studie zumindest verbreiten. Auch Martin Groß, Präsident des Gemeinsamen Justizprüfungsamts von Berlin und Brandenburg, sagt, er werde den Befund zum Anlass nehmen, in seinem Mitarbeiterstab für Sensibilität zu werben, denn: "Wir wollen von unseren Kandidatinnen und Kandidaten, dass sie die gesellschaftliche Auswirkung von Recht und Rechtsanwendung im Blick behalten." Und das könne nur glaubwürdig beanspruchen, wer dafür sorgt, dass die gesellschaftliche Realität auch in den eigenen Ausbildungsfällen abgebildet wird.

© SZ vom 04.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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