Süddeutsche Zeitung

Studentenverbindungen in Tübingen:Verrufene Villenbewohner

Wie kleine Schlösser thronen sie über dem Neckar: Etwa 30 Studentenverbindungen gibt es in Tübingen. Horte antiquierter Rituale und Deutschtümelei? Besuch in zwei sehr unterschiedlichen Häusern.

Von Hanna Spanhel

Verbindungen - Überbleibsel aus einer anderen Zeit?

Wer das herrschaftliche Haus der Burschenschaft Germania oberhalb der Neckarbrücke betritt und die große mit rotem Teppich ausgelegte Treppe hinaufsteigt, spürt: Traditionen sind hier wichtig. An den Wänden im großen Kneipsaal hängen lange Fechtwaffen und im Speisesaal ein Stockwerk tiefer reihen sich in Glasvitrinen Kelche, Pokale und Pfeifen aus dem 19. Jahrhundert aneinander.

"Ehre, Freiheit, Vaterland" - auch der Wahlspruch der Germania stammt aus der Gründungszeit der Burschenschaft 1816. "Da geht es einfach um Ideale wie Ehrlichkeit und Sittlichkeit", sagt Christopher Weber. Er ist Mitglied der ältesten aktiven Verbindung in Tübingen. Auf seinem T-Shirt zeichnen sich die geschwungenen Initialen der Burschenschaft ab, darüber trägt der Ethik- und Geschichtsstudent das dreifarbige Band: Schwarz, Gold, Rot. "Natürlich verstehen wir uns irgendwo auch als Patrioten und sind stolz darauf, dass Deutschland heute geeint ist."

Burschenschaften entstanden ab 1800 als Zusammenschlüsse von Studenten, die ein klares Ziel verfolgten: Der Kleinstaaterei in Deutschland ein Ende bereiten und für ein vereintes demokratisches Deutschland kämpfen. "Progressiv" nennt Weber die frühen Burschenschafter. Auch heute noch wollen Burschenschaften wie Germania explizit politisch sein, tragen mitunter auch in der Öffentlichkeit ihre Farben und sind "pflichtschlagend" (wobei es auch andere Auslegungen des Begriffs Burschenschaft gibt).

Burschenschaften sind jedoch nur eine Form der Studentenverbindung. In der traditionsreichen Universitätsstadt Tübingen existieren etwa 30 durchaus unterschiedliche studentische Korporationen: Es gibt unpolitische Corps, die vor allem auf Etikette und Disziplin Wert legen, Sängerschaften und Turnerbünde, für die Musik und Sport zentral sind, dichtende Verbindungen, christliche Verbindungen und reine Damenverbindungen. Wie viele Studenten in Tübingen Mitglied einer Studentenverbindung sind, kann die Universität nicht sagen. Deutschlandweit sollen etwa ein Prozent der Studierenden so organisiert sein.

Bund fürs angenehme Leben

Während für die Germania althergebrachte Rituale und tradierte Ideale eine große Rolle spielen, nimmt die akademische Verbindung Stuttgardia auch Frauen auf und folgt einem liberaleren Grundsatz. "Wir sind ein heterogener Haufen. Es geht nicht darum, was man mitbringt oder wie man ist, sondern um das Freundschaftspotential", sagt ein Verbindungsmitglied.

Ein paar Stuttgarden sitzen im großen Wohnzimmer der alten Villa auf dem Österberg, durch die großen Fenster sieht man die Burg Hohenzollern im Dunst. Bänder tragen die Stuttgarden nicht, dafür Karohemd, Kapuzenpulli und Ray-Ban-Brille. Für sie ist das Leben in der Verbindung vergleichbar mit einer großen WG. Klar, Traditionen gibt es auch hier - Reh-Essen im Herbst zum Beispiel, oder Festabende.

Akademische Verbindungen sind aber vor allem ein Zusammenschluss von Studierenden und Ehemaligen, der oft ein Leben lang besteht. Aktive Mitglieder können während ihres Studiums günstig in den Verbindungshäusern wohnen - meist für bis zu vier Semester - und profitieren von dem Mitgliedernetz. Wichtigste Gruppe in diesem Netzwerk sind die Ehemaligen.

Die "Alten Herren" und "Hohen Damen" zahlen Mitgliedsbeiträge und unterstützen die Verbindungen so finanziell. Daneben helfen sie Studierenden und Absolventen beim Start in die Berufswelt. Manche Studentenverbindung steht gar im Ruf, beste Kontakte zu den Spitzen in Politik und Wirtschaft zu pflegen.

Rassistisch und exzessiv - was ist an den Vorurteilen dran?

"Mit Vorurteilen haben wir eigentlich permanent zu kämpfen", sagt Germania-Burschenschafter Weber. "In Deutschland gibt es einzelne Burschenschaften, die durchaus rechtsextrem sind, die einen falschen Bezug zu den Idealen 'Ehre' und 'Vaterland' haben und dementsprechend für negative Schlagzeilen sorgen." Vor allem den Dachverband Deutsche Burschenschaften, in dem auch die Germania bis 1974 Mitglied war, sieht Weber kritisch: "Das ist inzwischen ein trauriger, großteils rechtsradikaler Rest."

Allerdings: Auch die Germania singt bei feierlichen Anlässen das Deutschlandlied. Alle drei Strophen. Das habe vor allem historische Gründe, verteidigt Weber, das Lied sei ja erst seit dem Nationalsozialismus negativ besetzt.

Weber ärgert sich, wenn er in Wix - so nennt sich das Ensemble aus Uniform, Band und Kappe - angefeindet wird. Kaum ein Pöbler habe sich tatsächlich mit der Germania auseinandergesetzt. "Nur, weil wir uns als Patrioten sehen, heißt das nicht, dass wir keine Ausländer aufnehmen", sagt Weber. Bei den Germanen gebe es aktuell zwei Holländer und einen Iren.

Vorurteile begegnen auch den Stuttgarden immer wieder - so beim Thema Alkohol. Klar feiere man mal, sagen die Mitglieder, aber dabei gehe es weder um ritualisiertes Trinken noch um Exzess. In manchem Tübinger Verbindungshaus soll es aber immer noch sogenannte "Speibecken" geben, in die allzu Betrunkene ihren Mageninhalt entleeren können. Um dann weiterzutrinken. Zu sehen bekommen Außenstehende diese fragwürdigen Sanitäranlagen aber nicht. Dafür sind sie aber auch in manchen bayerischen Gaststätten zu bewundern.

Schlagwort: Fechten

Wer bei einer pflichtschlagenden Verbindung wie der Germania ein "Bursch" werden will, muss eine "Mensur" fechten, also einen Fechtkampf mit scharfen Waffen und klar geregelten Abläufen austragen. Traditionspflege einerseits, erklärt Weber, aber der Kampfsport sei auch gut für das Gemeinschaftsgefühl: "Das zeigt uns, ob jemand es ernst meint. Wer sich dem stellt, dem glaubt man, dass er sich für die Burschenschaft einsetzt." Und dann biete das Fechten natürlich auch einen gewissen Kick, ein bisschen wie Bungee-Jumping, sagt Weber.

Der sogenannte "Schmiss", eine Narbe im Gesicht vom Fechten, galt lange als Erkennungszeichen von Burschenschaftern. Der Legende nach verunreinigte mancher Verbindungsbruder die Schnittverletzung sogar mit einem Pferdehaar, um die Narbenbildung zu verstärken. Heute ist ein Schmiss vor allem noch bei Alten Herren zu sehen - oder bei besonders überzeugten Mitgliedern.

Mehr als nur billig wohnen - was gibt es für Pflichten?

Wer im Germania-Haus wohnt, zahlt maximal 150 Euro Miete im Monat - und bekommt Mittagessen, Stocherkahn, Semesterprogramm und soziales Netzwerk mit dazu. Wer nur billig wohnen will, sei aber falsch hier, sagt Christopher Weber: "Wir sind selbstverwaltet, jeder übernimmt hier eine Aufgabe", erklärt er. Es gibt einen Hauswart, der kaputte Glühbirnen wechselt, oder den Kustos, der für das Hissen und Pflegen der Fahne zuständig ist.

Weber selbst ist "Fuchsendeichsler", er bereitet die neuen Mitglieder darauf vor, "geburscht" zu werden. Schließlich müssen die Neulinge in einer Prüfung alle Farben der anderen Tübinger Verbindungen auswendig können - und natürlich die Geschichte der eigenen kennen. Auch das Gemeinschaftsleben ist klar geregelt, die Festabende, sogenannte Kneipen, folgen klaren Vorschriften und Abläufen. "Wir erwarten schon, dass alle am gemeinsamen Programm teilnehmen", sagt Christopher Weber.

Wer unentschuldigt fehlt oder seine Aufgaben nicht erledigt, muss Strafe zahlen; wer sich nicht an die Regeln der Festabend hält, muss trinken. Alkohol trinken. Ein Germania-Bewerber sollte politisch sein; politischer Extremismus, ob rechts oder links, sei aber verboten, behauptet Weber. Die Außenwirkung ist seiner Burschenschaft ist Weber wichtig, in jeglicher Hinsicht: Jogginghose oder ein fleckiges Hemd seien unerwünscht.

Jugendstilvilla, günstige Mieten, gemeinsame Ausfahrten und Vorträge der Alten Herren oder Hohen Damen gibt es auch bei der Stuttgardia. Und ein tägliches Abendessen auf dem Haus - mit Teilnahmepflicht? Die Stuttgarden lachen, solche Vorschriften wollen sie nicht haben. Sich zu Siezen, wie das einige Verbindungsstudenten tun, finden sie albern. Und wenn sie andere Verbindungshäuser besuchen, dann nur kostümiert im Ganzkörper-Kondom - um das alles ein bisschen auf die Schippe zu nehmen, wie sie sagen.

Auch finanziell wollen sie unabhängiger sein vom Altenverein, veranstalten regelmäßig eine große Party, um das Budget aufzustocken. Wer mitmachen will, muss sich allerdings auch hier erst ein Semester lang beweisen. Das bedeute aber nicht, dass man als Fuchs herumkommandiert werde und Befehle von Älteren ausführen müsse - wie es bei manchen Verbindungen Usus sei.

Und was ist mit Frauen?

Lediglich zwei reine Damenverbindungen gibt es in Tübingen, und vier gemischte. Der überwiegende Teil bleibt den Männern vorbehalten: "Wir müssten viele Zugeständnisse machen, um Frauen aufzunehmen", sagt Christopher Weber, "wer möchte schon gegen eine Frau fechten?" Noch einen Grund gibt es in den Augen der Germanen, der gegen die Aufnahme von Frauen spricht: Beziehungskonflikte.

Die Stuttgarden sehen das anders, ihre Verbindung hat sich ab den 1970er Jahren langsam geöffnet. Seit 1991 dürfen offiziell auch Frauen einziehen. Zwei oder drei Paare gebe es, Konflikte seien aber auch nicht häufiger als beispielsweise in einer WG. "So ist eben die Realität", sagt ein Mitglied. Und: Beziehungen und damit Beziehungskonflikte könne es schließlich auch unter Männern geben.

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