Studenten besetzen früheres Uni-Gebäude:Häuserkampf in Frankfurt

Das letzte besetzte Uni-Institut der Republik liegt im Frankfurter Westend, wo vor 40 Jahren schon einmal der Häuserkampf tobte zwischen Studenten und Immobilienhaien. Seit neun Jahren halten Studenten ein ehemaliges Uni-Gebäude besetzt - jetzt droht die Zwangsräumung.

Marc Widmann

Immerhin können sie inzwischen genau sagen wie er aussieht, der Kapitalismus. Er kam Ende Mai zum ersten Mal, er brach die Eingangstür auf und nahm sie mit. Er marschierte in den Keller, ein leibhaftiger Vorstand einer Aktiengesellschaft plus sieben serbische Arbeiter, und montierte die Strom- und Wasserzähler ab, die nahm er auch mit. Dann fragte der Kapitalismus, ob er seine neueste Erwerbung mal besichtigen dürfe. Die Studenten aber verwehrten es ihm, sie setzten sich auf die Treppe, versperrten den Weg in ihr Reich und ließen ihn nicht durch. Diesmal noch nicht.

Also zog der Kapitalismus wieder ab und hinterließ neben dem Loch in der Fassade auch ein Gefühl der Bedrohung, so nennt es Oliver Sonnenschein. Der Jura-Student trägt einen zerknitterten Anzug samt Krawatte, trotzdem ist er links, so links, dass er den Pressesprecher macht für das letzte besetzte Uni-Institut der Republik. Es liegt im Frankfurter Westend, wo vor 40 Jahren schon einmal der Häuserkampf tobte zwischen Studenten und Immobilienhaien, wo einst Joschka Fischer aufbegehrte, wo wüste Straßenschlachten tobten. Wiederholt sich die Geschichte? Sonnenschein erzählt, was einer der Arbeiter sagte: "In zwei Wochen steht hier ein Container, und da kommt euer ganzer Müll rein."

Doch so leicht geben sich linke Studenten selbst im Jahr 2012 nicht geschlagen. "Wir ergreifen Gegenmaßnahmen", sagt der Student im Anzug. Die Fenster im Keller haben sie mit Gittern verschraubt und hinter der neuen Eingangstür aus Holz montierten sie gleich drei massive Riegel. Ihr einst so offenes Haus haben sie umgebaut in eine Festung. Noch ist nicht entschieden, wer diesen Kampf gewinnt ums "Institut für vergleichende Irrelevanz", Freunde nennen es Ivi.

Eine Festung gegen den Kapitalismus war es ja schon immer. Seit dem Jahr 2003, als Studenten das leer stehende ehemalige Institut für Anglistik der Goethe-Universität besetzten. Seitdem folgen sie hier auf 1000 Quadratmetern dem Motto "Theorie Praxis Party". Unten, im früheren Hörsaal, wo noch drei ramponierte Stuhlreihen stehen geblieben sind wie ein löchriges Gebiss, zeigen sie Filme, feiern, spielen Theater oder halten ihre Gegenuni ab, zuletzt zum Thema Utopien.

Ein Stockwerk höher, in der mit französischen Protestplakaten tapezierten Bibliothek, lädt Sonnenschein zu seinem queerfeministischen Lesekreis ein, besonders alle, die sich nicht ins Schema von Mann oder Frau pressen lassen wollen. Oben im Atelier baut gerade ein vollbärtiger Kunstpädagogik-Student seine Video-Installation auf. Er hat die alte Frankfurter Uni gefilmt, wie sie vor dem Umzug auf den schicken neuen Campus war: Hässlich-klobig für die einen; ein Ort der Freiheit, der kritischen Wissenschaft für die anderen, Geburtsort der 68er, Heimat von Adorno und Horkheimer, lange her. "Die kritische Wissenschaft ist in Frankfurt verloren gegangen", sagt Oliver Sonnenschein, "wir, die sie fördern wollen, gelten als irrelevant." Nur ihr Institut für vergleichende Irrelevanz verteidigt noch das linke Erbe, so sehen sie es.

Die Anwohner im Kettenhofweg sehen das etwas anders, sie sammeln Unterschriften gegen die "Lärmexzesse" und zetern, nach den Partys sehe es im gediegenen Wohnviertel der Betuchten aus "wie in Sodom und Gomorrha". Sogar Glasscherben liegen auf der Straße! Einige Nachbarn haben Unterschriften gesammelt und können es gar nicht erwarten, bis der Kapitalismus siegt.

Für die Universität war das besetzte Gebäude ein kitzliges Problem. Sie traute sich nicht, es räumen zu lassen. Genauso wenig traute sie sich, es zu erhalten. Als sie Geld brauchte, verkaufte sie es im Winter stillschweigend an die Franconofurt AG, für etwas mehr als eine Million Euro, ein Spottpreis für die Lage im Herzen des großbürgerlichen Westends. Jetzt sieht sie das Thema als erledigt an. Studenten und Kapitalismus regeln das jetzt unter sich. Und wie sie es regeln.

Ein kitzliges Problem

"Man muss die auch ein bisschen mit ihren eigenen Waffen schlagen, die haben das Haus ja auch mit Gewalt besetzt", sagt Christian Wolf, früher Immobilienmakler, heute Vorstand der Franconofurt AG. Er ist einer der Männer, die Ende Mai die Türe mitgehen ließen. "Die treiben es noch wilder", sagt er. In seinem Büro klingelt ständig das Telefon, Wildfremde fragen, wo sie die kostenlose Küche abholen können, die in der Anzeige stand. Das findet Wolf gerade noch lustig.

Aber die Linken, sagt er, hätten ihm auch das Firmenschild geklaut. Vor einigen Tagen stürmten sie das Treppenhaus, kritzelten "Ivi bleibt" an die Wände und schlugen so lange gegen die Scheibe neben seiner Bürotür, bis sie zersplitterte. Er kenne Leute, sagt Wolf, die hätten das Problem längst mit einem Trupp großer Kerle mit Baseballschlägern gelöst. Aber so sei er ja nicht.

Er sitzt da in Jeans und grauem Pulli, unrasiert, und könnte auf den ersten Blick als Musiker durchgehen. Bis er über sein Geschäft spricht, dann klingt er wie ein Kapitalist aus dem Bilderbuch. Wolf wehrt sich gar nicht erst gegen die Behauptung einiger Linker, er sei eine Heuschrecke. "Damit hab' ich kein Problem, das ist in Ordnung", sagt er, "wir kaufen Häuser, verwerten sie, fliegen weiter. Das trifft schon zu." Es läuft blendend für ihn und seine sechs Mitarbeiter. Er kauft Mietshäuser, erhöht erstmal die Miete, saniert sie und teilt sie dann in Eigentumswohnungen auf, die er teuer verkauft. Die Gewinnspanne ist enorm, die Nachfrage auch.

Nicht nur die Frankfurter Banker sind liquide, auch Geldflüchtlinge aus Südeuropa kaufen gern. Oder dieser Kerl aus Aserbaidschan, der gerade durchs Westend fährt und sich im Vorbeifahren die Villen herauspickt. Und sich wundert, wie billig hier alles ist, verglichen mit London. Wolf erzählt das mit Freude. Er sagt: "In London gibt es ja auch keinen Sozialhilfeempfänger, der sich beschwert, wenn er keine Wohnung am Hyde Park hat." Reich verdrängt arm. "So isses halt."

Kein Wunder, dass Wolf und die Studenten nur über die Presse kommunizieren. Was sollen sie auch bereden? "Wir haben keinen Bock, da jetzt klein beizugeben", sagt der Vorstand, "ich denke, wir ziehen das auf jeden Fall durch, bis es geräumt ist." Die Räumungsklage hat er längst eingereicht, es gibt nur ein Problem. Wer jemanden aus seinem Gebäude klagen will, braucht zumindest dessen Namen. Die Franconofurt AG aber hat keine Namen der Besetzer, zuerst muss also die Polizei das Institut durchsuchen und die Personalien feststellen. Das könnte unangenehm werden, denn so zersplittert die Frankfurter Linke auch ist, das Ivi will sie verteidigen, diese Festung gegen den Kapitalismus, gegen die Immobilienhaie, dieses kleine Stück Anarchie im luxussanierten Westend.

Im Flur der Festung ist es düster, Graffiti bedecken die Wände wie ein Pilz, "Lest mehr Marx", steht an der Treppe. Jeder darf hier etwas hinschreiben, "dafür sind die Wände auch so ein bisschen da", findet Oliver Sonnenschein. An prominenter Stelle, unübersehbar, prangt eine Drohung: "Chaostage bei Ivi-Räumung". Es ist jetzt immer jemand da, der aufpasst und die anderen alarmieren kann, so wie kürzlich, als nachts um drei plötzlich die Stadtwerke ein Loch zu graben begannen vor dem Haus und den Strom kappen wollten. Da setzten sich die Studenten ins Loch, bis die Arbeiter wieder abzogen. Sie hoffen, dass die Universität vielleicht doch noch für sie eintritt. Oder die Stadt. Und wenn nicht? "Es gibt in Frankfurt unglaublich viel Leerstand", sagt Sonnenschein, "dann suchen wir uns was anderes."

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