Spitzenforschung:Entnervte Elite

Die Wissenschaftsakademien haben einen hervorragenden Ruf, doch im Innern knirscht es gewaltig. Viele Forscher müssen ein striktes Pensum abarbeiten, sie vermissen Freiräume und Zeit für die Nachwuchsförderung.

Von Christine Prussky

Sie kommen aus einer Zeit, in der Wissenschaftler Gelehrte heißen durften - ohne sich damit gleich dem Verdacht auszusetzen, auf Kosten anderer ein Leben lang in Ruhe vor sich hinzudenken. Das hat sich gründlich geändert: Im 21. Jahrhundert versammeln sich in Wissenschaftsakademien zwar immer noch handverlesene Forschereliten, um interdisziplinär über Phänomene zu diskutieren wie die Gentechnik, die alternde Gesellschaft oder auch die Folgen des Klimawandels für historische Gärten. Sie tun das allerdings, ohne dafür einen Cent zu bekommen. Ihr Lohn ist trotzdem nicht zu verachten - er besteht in einer garantiert hohen Reputation innerhalb der Wissenschaftsszene.

Ganz anders stellt sich die Situation für diejenigen dar, die in Akademien ganz normal als Forscher beschäftigt sind. Der Nimbus der Elite kommt bei ihnen so gut wie gar nicht an. Im Maschinenraum der Akademien verrichten hochqualifizierte und -spezialisierte Arbeiter ihren Dienst oft genug in befristeten Verträgen.

Im Projekt sollen Mitarbeiter "in Ketten tanzen", sich also streng an den Plan halten

Es sind zwei sehr unterschiedliche Welten, die Wissenschaftsakademien heute in sich vereinen. Und ihr Nebeneinander führt dort zu fortdauernden Reibereien, denn die Vertreter beider Welten begegnen sich nicht nur, sie sind auch aufeinander angewiesen. Das kann bisweilen sogar durchaus beglückend sein: "An der Akademie arbeiten, anders als an Unis, drei oder noch mehr Forschergenerationen in einem Projekt. Das ist wissenschaftlich unglaublich bereichernd", sagt der Berliner Mediävist Martin Schubert. Nach vielen Jahren an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) ist er jetzt an die Universität Duisburg-Essen berufen worden und hat damit etwas geschafft, was nicht vielen gelingt: aus dem Akademiebetrieb herauszukommen und einen Lehrstuhl zu erklimmen.

Neudeutsch ausgedrückt ist Schubert vermutlich so etwas wie ein "Dreambroker". Denn im Alltag eines Akademieprojekts läuft es eben nicht immer so rund. Von der großen Freiheit auf dem Sonnendeck der Gelehrten bleibt auf Arbeitsebene oft recht wenig übrig - oder wie Schubert es freundlich formuliert: In Akademieprojekten müssen Forscher "in Ketten tanzen". Sie müssen sich einordnen und ein streng kontrolliertes wissenschaftliches Arbeitspensum erfüllen.

Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina

Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle an der Saale ist die älteste naturwissenschaftliche Gelehrtengesellschaft in Deutschland.

(Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)

Zur Perfektion getrieben wird dieses wissenschaftliche Produktionssystem im sogenannten Akademienprogramm. Rund 900 Forscher sind in den aktuell 150 Vorhaben des Programms beschäftigt, das seiner Beschreibung nach "die Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung unseres kulturellen Erbes" zum Ziel hat. Schätzungen zufolge erwachsen aus dem Programm pro Jahr allein 350 Buchneuerscheinungen. Eine gewaltige Leistung, die ihren Tribut fordert: Es knirscht im Akademiebetrieb mittlerweile unüberhörbar, selbst für die Präsidien.

Und so weiß natürlich auch BBAW-Präsident Martin Grötschel von den widrigen Arbeitsbedingungen, die den Beschäftigten verstärkt zusetzen. Um die Zeit- und Arbeitspläne einzuhalten, müssen alle mitziehen - und dies auch können. Wer eine schlechte Phase hat, häufiger krank ist, Eltern zu pflegen hat oder Kinder zu versorgen - also einfach nicht so viel leisten kann wie andere -, macht sich unwillkürlich unbeliebt. "Lowperformer gibt es überall, in jeder Branche, das ist einfach so", sagt Grötschel. Damit müsse man umgehen.

Kollegen im Ausland blicken geradezu neidvoll nach Deutschland

Die Frage ist nur, wie. Ute Ecker hat seit Längerem schon eine Antwort auf die Frage parat: Mehr Geld für die Projekte müsse her, sagt sie. Ecker ist Wissenschaftliche Koordinatorin der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und weiß von Teams, die aus Angst vor Verzögerungen im Arbeitsplan mittlerweile schon einen großen Bogen um Doktoranden und Postdocs machen. Denn Forscher in der Qualifizierungsphase müssen den Kontakt zu Universitäten halten, ein Lehrportfolio aufbauen und sich auf Fachkonferenzen zeigen. All das braucht Zeit - Zeit, die dann für das Pensum im jeweiligen Akademieprojekt fehlt. Auch so macht sich Frust breit bei den Kollegen, welche die liegen gebliebene Arbeit am Ende ersatzweise übernehmen müssen. Das geht einmal, zweimal, vielleicht ein drittes Mal gut. Aber dann? "Wissenschaftliche Nachwuchsförderung braucht Zeit. Sie muss honoriert werden", sagt Ecker und schlägt ein Budgetplus von zehn Prozent für all diejenigen Projekte im Akademienprogramm vor, in denen junge Forscher auf dem Weg zur Promotion oder Habilitation begleitet werden.

Denkfabriken mit Geschichte

In der Bundesrepublik gibt es heute insgesamt zehn Wissenschaftsakademien. Acht davon sind in der Union der Wissenschaftsakademien vereint. Gemeinsam stemmen sie an ihren Standorten in Berlin, Hamburg, Göttingen, Leipzig, Düsseldorf, Heidelberg, Mainz und München das sogenannten Akademienprogramm, das derzeit größte geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsprogramm mit mehr als 1900 beteiligten Forschern.

Im Unterschied zu den beiden Nationalakademien, die vom Bund und den Ländern gemeinsam finanziert werden - dies sind die Leopoldina in Halle und die Münchner Akademie für Technikwissenschaften, kurz Acatech -, ist die Grundfinanzierung der acht Unionsakademien allein Sache des jeweiligen Bundeslandes. Die einzige Ausnahme bildet die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, die von zwei Ländern getragen wird.

In ihren Strukturen und Arbeitsprinzipien sind sich alle zehn Wissenschaftsakademien recht ähnlich. Im Mittelpunkt der jeweiligen Organisation steht eine sogenannte Gelehrtensozietät. Die Akademien sind außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die Politikberatung betreiben und vielfach die Nähe zur Gesellschaft suchen. Öffentliche Tagungen und speziell für Bürger konzipierte Vorträge zeugen davon. Im 17. und 18. Jahrhundert ganz bewusst als elitäre Stätten des Denkens gegründet, versuchen sich die Akademien heute vor allem als Foren des Dialogs zu inszenieren. Christine Prussky

Solch ein finanzieller Puffer würde nicht nur die Attraktivität von Wissenschaftsakademien als Arbeitgeberinnen deutlich erhöhen. Er ließe sich auch als Botschaft an die wissenschaftliche Gemeinschaft verstehen: Hört endlich auf damit, die Qualität der Wissenschaft an der Menge der Publikationen zu messen. Mit einem dergestalt eingeleiteten Abschied von der verhassten "Tonnenideologie" könnten sich Akademien im Wissenschaftssystem profilieren und zugleich auf sich selbst besinnen.

Danach sieht es aktuell allerdings nicht aus. Als Präsident der Akademienunion, die mit ihren acht Mitgliedseinrichtungen das Akademienprogramm stemmt (siehe Kasten), verhandelt Hanns Hatt gerade mit Ministerialen und Politikern in Bund und Ländern über die Finanzierung des Akademienprogramms über das Jahr 2016 hinaus. Er kann sich wohl schon freuen, wenn der Status quo gehalten wird: 63 Millionen Euro jährlich sind die Marge, dazu wünscht er sich bis 2020 am besten noch ein Plus von drei Prozent pro Jahr. In diesen Sommertagen sieht es zwar ganz danach aus, als ob Bund und Länder dem im Herbst zustimmen werden. Doch wirklich sicher ist hier noch nichts.

Dabei darf das Akademienprogramm, verglichen mit anderen Bund-Länder- Forschungsprogrammen, nicht nur als Schnäppchen gelten. Es stellt zugleich ein Aushängeschild für den Wissenschaftsstandort Deutschland dar. Geistes- und Sozialwissenschaftler aus dem Ausland blicken neidvoll in die Republik und sparen nicht mit wissenschaftlichem Lob. Im vergangenen Frühjahr zum Beispiel erhielten die "Inscriptiones Graecae", ein seit 200 Jahren laufendes Projekt zur Erforschung und Bewahrung antiker griechischer Inschriften, die Goldene Medaille der Akademie von Athen - das ist die höchste Auszeichnung, die Griechenlands Wissenschaft zu bieten hat. Der Glanz der Akademien ist also sehr wohl zu erkennen. Die Frage ist nur, wie lange noch.

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