Süddeutsche Zeitung

Ferienregelung:Endlich einmal Letzter sein

  • Im Süden beginnen die Sommerferien traditionell am spätesten. Der offizielle Grund dafür sind die Pfingstferien, die es in Baden-Württemberg und Bayern gibt, aber in den nördlichen Bundesländern in der Regel nicht.
  • Bis 2024 stehen die Ferientermine fest, über die Zeit danach verhandeln die Kultusminister ab Herbst.
  • Niedersachsen, Hamburg und NRW wollen den Sonderstatus der Südländer beenden.

Von Paul Munzinger

Es ist wie ein Naturereignis, das Jahr für Jahr im Hochsommer übers Land kommt, mal ein paar Tage früher, mal ein paar Tage später, aber doch scheinbar unveränderlich: Die Sommerferien ziehen nach Süden weiter. Die Schulen in Bayern und Baden-Württemberg schließen am kommenden Freitag für sechs Wochen ihre Türen, während sich die Urlaubszeit im Rest des Landes dem Ende zuneigt. In Berlin und Brandenburg beginnt das neue Schuljahr bereits am 5. August, als letztes Bundesland nördlich der Donau bittet Nordrhein-Westfalen seine Schüler am 28. August zurück ins Klassenzimmer. Und an den Stränden Italiens und Spaniens sind die Familien aus Süddeutschland noch zwei Wochen unter sich. Na ja, fast.

Der Süden urlaubt zum Schluss. So war es und so ist es, bis 2024 stehen die Sommerferientermine nach diesem Muster fest. Doch womöglich wird es nicht mehr lange so bleiben.

"Nicht mehr angemessen", findet Hamburgs Schulsenator

Im November beginnen die Beratungen der Kultusministerien, um die Sommerferien für die Jahre 2025 bis 2030 festzulegen. Schon jetzt ist klar: Bayern und Baden-Württemberg müssen mit Gegenwehr rechnen. Mehrere Bundesländer wollen sich für eine Neuordnung der Ferienregeln einsetzen - und die süddeutsche Extrawurst beenden. "Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Bundesländern haben sich im Vergleich zu den 50er-Jahren so stark angeglichen, dass eine Sonderregelung für die Sommerferien in Bayern und Baden-Württemberg nicht mehr angemessen ist", sagt Ties Rabe (SPD), Schulsenator in Hamburg.

In der Formulierung zurückhaltend, in der Sache deutlich heißt es aus Niedersachsen, man wolle sich für eine "bundesweit einvernehmliche Lösung" einsetzen - "auch mit denjenigen, die sich bislang verschließen". Und Yvonne Gebauer (FDP), Schulministerin in Nordrhein-Westfalen, fordert: "Jedes Gesetz und jede Regelung sollte von Zeit zu Zeit daraufhin überprüft werden, ob es noch sachgerecht und zeitgemäß ist. Das gilt auch für die komplizierte Sommerferienregelung."

Kompliziert ist die Regelung in der Tat: Es gilt, den Wünschen aller 16 Bundesländer gerecht zu werden, den Interessen der Hotels entgegenzukommen und den Kollaps der Autobahnen wenn möglich zu verhindern. Die Länder haben sich dazu auf folgendes Vorgehen geeinigt: Gemeinsam legen sie die Termine der Sommerferien fest, die übrigen Ferien - also Ostern, Weihnachten etc. - verteilt dann jedes Land eigenständig auf dem Kalender. 75 Ferientage sind es pro Schuljahr, mindestens sechs Wochen sind für die Sommerferien reserviert. Die sollen zwischen dem 1. Juli und dem 10. September liegen - ein Korridor von 72 Tagen, der meistens nicht eingehalten wird. 2021 etwa dauern die Sommerferien in Bayern bis zum 13. September, 2024 beginnen sie in Thüringen am 20. Juni.

Vier Jahre vorher, 2020, starten die Ferien in Thüringen erst am 20. Juli - einen ganzen Monat später. Es ist ein Ergebnis des sogenannten rollierenden Systems. Damit nicht das ganze Land gleichzeitig in den Urlaub fährt und aus dem Urlaub zurückkehrt (so wie in Frankreich), sind die Länder in Gruppen eingeteilt, die die Ferien nacheinander antreten und durchwechseln. Mal beginnt der Nordosten (Gruppe eins), mal Gruppe zwei, die von Sachsen im Osten bis nach Bremen im Nordwesten reicht, mal der Südwesten (Gruppe vier), mal Nordrhein-Westfalen, das wegen der vielen Einwohner eine eigene Gruppe ist. Nur Gruppe fünf macht nicht mit: Bayern und Baden-Württemberg.

Anders als im Süden, wo das große Sommerloch stabil zwischen Ende Juli und Mitte September liegt, taucht es im Rest des Landes also jedes Jahr an anderer Stelle auf. Das hat zwei Folgen: Erstens gibt es, anders als etwa in Bayern, wo sich nie auch nur ein Schultag in den August verirrt, keine festen Ferienmonate. Das spüren sie besonders im Osten Deutschlands, wo das Schuljahr zu DDR-Zeiten immer am 1. September begann. Zweitens ist bei flexiblen Ferienterminen auch die Dauer der Schuljahre flexibel. Manche sind kürzer, weil sie spät beginnen und früh enden, manche länger, weil es umgekehrt ist.

Dass Bayern und Baden-Württemberg nicht mitrollieren, wird oft darauf zurückgeführt, dass Kinder in den landwirtschaftlich geprägten Bundesländern früher bei der Ernte helfen mussten. Die offizielle Begründung sind die traditionellen Pfingstferien, die den späten Termin erfordern - schließlich muss es sich ja lohnen, die Schüler zwischen der großen und der kleinen Sommerpause in die Schule zu bestellen.

Pfingstferien sind nun auch ein Grund, warum Nordrhein-Westfalen im November grundsätzliche Fragen ansprechen will, so hat es Schulministerin Gebauer bereits im letzten Sommer angekündigt. 2018 gönnte sich das Bundesland erstmals seit 1966 eine ganze Woche Pfingstferien - und kam offenbar auf den Geschmack. Also fragte Gebauer, damals noch recht frisch im Amt, warum der letzte Termin eigentlich für Bayern und Baden-Württemberg reserviert sei. Hier müsse es "zu neuen Regelungen kommen". Mittlerweile, siehe oben, äußert sie sich weniger forsch. Das könnte mit der Erkenntnis zusammenhängen, dass man mit einem Systemangriff, zumal wenn es gegen den Süden geht, zwar schnell Punkte machen kann, dass man diese Punkte aber auch schnell wieder zu verlieren droht, wenn den markigen Worten keine Taten folgen. Das ist in der Vergangenheit schon oft passiert.

Systemkritik aus der Tourismusbranche

Unterstützung bekommen die Systemkritiker aus der Tourismusbranche. Die setzt sich schon seit Jahren für die Erweiterung des Ferienkorridors auf etwa 90 Tage ein, um die Urlaubenden besser auf die vorhandenen Betten zu verteilen. Tatsächlich sei der Korridor in den vergangenen Jahren sogar kleiner geworden, rechnete der Deutsche Tourismusverband (DTV) bei den letzten Länderverhandlungen 2013 vor, was die Branche Hunderttausende Euro koste und Arbeitsplätze vernichte. Dass die zwei großen Südländer immer gleichzeitig Ferien haben, ist aus Sicht der Hotels auch nicht ideal. Dirk Dunkelberg, stellvertretender Geschäftsführer des DTV, sagt: "Es wäre gut, wenn alle Länder sich an dem rollierenden System beteiligen würden."

Bislang, sagt Dunkelberg, sei der DTV mit seinen Anliegen nicht durchgedrungen. Zwar konsultieren die Länder die Tourismusbranche, ebenso wie Wirtschafts- und Umweltverbände oder den ADAC, wenn sie die Termine festlegen. Die Ferien aber, darauf haben sich die Länder geeinigt, werden "in erster Linie nach pädagogischen Gesichtspunkten festgesetzt". Und der aktuelle Trend - vor allem die Bemühungen um mehr Vergleichbarkeit des Abiturs inklusive einheitlicher Termine - spricht dagegen, dass sich der Ferienkorridor in den nächsten Jahren vergrößert.

Bleibt noch eine Frage: Kommt das Beste des Sommers wirklich zum Schluss? Klar, wer im September in den Urlaub startet, muss nur die Preise der Nebensaison zahlen. Andererseits ist September eben nicht mehr wirklich Sommer. Und die bayerischen Schüler und Lehrer haben sich dafür in der Schule durch Juni und Juli geschwitzt. Es gibt auch in der Nordhälfte Deutschlands Bundesländer, die das nicht für einen guten Deal halten - und die auch deshalb keinen Anlass sehen, an der bisherigen Regelung zu rütteln. Die Ferienregelung, sagt etwa Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), sei für ihr Bundesland "keine kriegsentscheidende Frage". Aus Hessen heißt es lapidar: "Wir haben kein Interesse am letzten Ferientermin."

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SZ vom 22.07.2019/berk
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