Aber zusehends wurde Niederdeutsch zur Sprache des Hinterlandes, zum exklusiven Code der eingeborenen Provinzbewohner, den man auch nicht mehr aufschrieb. Erst im 19. Jahrhundert gab es zaghafte Neuanfänge niederdeutscher Literatur. Aber die Unterrichtssprache war Hochdeutsch. "Bis ins 20. Jahrhundert findet man Platt-Sprecher, die sagen, es sei ein dramatisches Erlebnis gewesen, als sie in der Schule nicht mehr Niederdeutsch sprechen durften", sagt Ingrid Schröder. Ihren Kindern wollten sie solche Erfahrungen ersparen. Sie sprachen deshalb auch zu Hause Hochdeutsch. Platt verlor an Kraft.
Und heute? Eine Umfrage von 2007 setzt den Maßstab für den Zustand des Niederdeutschen: Damals gaben 13 Prozent aller Norddeutschen an, Plattdeutsch gut oder sehr gut zu sprechen. 1984 waren es noch 35 Prozent. "Und die Älteren sprechen es immer besser als die Jüngeren", sagt Professorin Schröder. In ständiger Angst ums Niederdeutsche lebt sie trotzdem nicht. 13 Prozent aller Norddeutschen, das sind immerhin 2,6 Millionen Menschen. Die niederdeutsche Kulturszene ist rege, was nicht nur am Hamburger Ohnsorg-Theater liegt, das seit 113 Jahren Mundartpflege betreibt. Sondern auch an jungen Künstlern, die auf Platt rappen oder Poetry-Slams veranstalten. Medien haben niederdeutsche Kolumnen. Und dann ist da eben die Offensive an Schulen.
Ausgerechnet der Stadtstaat Hamburg, der alles andere als ein Zentrum der Platt-Konversation ist, hat sich den Ruf als Vorreiter erworben, indem er 2011 an neun Schulen Niederdeutsch als Wahlpflichtfach einführte. In Schleswig-Holstein bieten 29 Grundschulen freiwilligen Niederdeutsch-Unterricht an; 2014/15 lag die Teilnehmerzahl mit 1025 laut Landesregierung "deutlich höher als erwartet". Und in Niedersachsen gilt seit 2011 der Erlass "Die Region und ihre Sprachen im Unterricht", der Niederdeutsch-Lektionen im Rahmen des Pflichtunterrichts ermöglicht: etwa im Kunstunterricht wie bei Margret Beering.
Wirklich einfach ist es nicht, das Niederdeutsche zum festen Bestandteil des Unterrichts zu machen. Die Sprache weist viele Dialekte auf; an der Huntetalschule hält man sich zum Beispiel an die Variante aus dem Oldenburger Münsterland. Eine einheitliche Rechtschreibung gibt es nicht, teilweise auch keine Lehrbücher. Und dass Lehrer Niederdeutsch sprechen, ist nicht selbstverständlich. An der Huntetalschule tun das im Grunde nur Margret Beering und Schulleiterin Theresia Espelage.
Auf höheren Schulen ist der Trend noch nicht angekommen
Aber wo ein Wille ist, kann man es durchaus zu etwas bringen im Dienste der Heimatfremdsprache. An der Huntetalschule fließen lokales, nationales und internationales Wortgut ineinander. Im ganzen Schulhaus sind Gegenstände auf Deutsch, Niederdeutsch und Englisch beschriftet: "Schrank - Schapp - cupboard", "Tafel - Taofel - board". Espelage und Beering bieten Niederdeutsch-AGs an. Die Schulleiterin hat für eine erste Klasse auch schon eine Art Sprachbildungsbasteln mit dem Titel "Origami up platt" veranstaltet. Erst im Dezember hat das Kultusministerium in Hannover die Einrichtung für diesen Einsatz zur "Plattdeutschen Schule" ernannt.
Und die Kinder? Manche kennen Niederdeutsch von daheim, andere mussten sich erst daran gewöhnen. Allmählich wird es all jenen vertraut, die es in der Schule regelmäßig hören. Die Frage ist bloß, was aus ihrem Niederdeutsch-Wissen wird, wenn die Kinder auf die nächsthöhere Schule kommen. Sie werden es wohl wieder verlieren. Noch ist Plattdeutsch in Niedersachsen vor allem ein Thema für Kindergärten und Grundschulen, was Margret Beering in Goldenstedt mit leisem Bedauern hinnimmt. "Um die Sprache richtig zu lernen, machen wir hier noch zu wenig", sagt sie. Der Klang der Heimat braucht mehr als eine Chance.