Plattdeutsch an Schulen:Ik snack Platt! Du ok?

Schweriner Schüler lernen 'Plattdüütsch'

Plattsnacken und stolz darauf - Grundschüler in den Nordländern, hier ein Drittklässler in Schwerin, sollen die Sprache schätzen lernen.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Eine Plattdeutsch-Offensive greift um sich im norddeutschen Schulwesen. War nicht Globalisierung der Trend der Gegenwart, mit geschliffenem Business-Englisch oder gar Chinesisch?

Report von Thomas Hahn

In der Huntetalschule von Goldenstedt bekommt der Klang der Heimat eine Chance. Das sieht man schon, wenn man vor dem unscheinbaren Klinkerbau am Rande der niedersächsischen Gemeinde steht. "Kumm eis in! Sett di daol!" grüßt ein Schild über der Eingangstür, "Kommt rein! Setzt euch hin!" Und wenig später ist dieser Klang tatsächlich zu hören, im Klassenzimmer der 4b im ersten Stock, weil Konrektorin Margret Beering dort die Kunststunde auf Niederdeutsch hält. Das Gemälde Sternennacht von Vincent van Gogh ist das Thema. Margret Beering liest eine Geschichte vor, sie erzählt vom Leben des Malers, sie stellt Fragen. Die Kinder antworten auf Hochdeutsch, aber sie scheinen die Lehrerin gut zu verstehen. Und so kann man erleben, wie mit großer Selbstverständlichkeit ein zweites Deutsch ins Bewusstsein der Schüler hineinfließt.

Eine neue Offensive greift um sich im norddeutschen Schulwesen. Die Sprache Niederdeutsch, im Volksmund auch Plattdeutsch genannt, soll wieder tiefer hineinwachsen in die Kultur ihrer Herkunftsländer Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Manchem weltläufigen Bildungsbürger könnte dieses Bekenntnis zur Regionalsprache widersprüchlich vorkommen. War nicht Globalisierung der Trend der Gegenwart? Ist nicht längst eine Wirtschaftswelt erwachsen, die vor allem geschliffenes Business-Englisch, -Französisch, -Spanisch verlangt? Würden moderne Eltern ihr Kind nicht eher in die Mandarin-Vorschule schicken, als es einer Sprache auszusetzen, die fast nur noch im norddeutschen Hinterland eine Rolle spielt?

Zu kurz gedacht, antwortet eine Niederdeutsch-Verfechterin wie die Goldenstedter Lehrerin Margret Beering: "Zum Beispiel, weil Niederdeutsch Elemente des Englischen und Niederländischen enthält." Außerdem spricht man rund um Goldenstedt nun mal Platt. Und die Annahme, dass Globalisierung so etwas wie eine Gegenwartsreligion sei, die Regionalsprachen überflüssig mache, könnte ein Trugschluss sein: Gerade weil die Welt so offen und grenzenlos erscheint, wächst eine Sehnsucht nach Bodenständigkeit und einer Sprachmelodie, die nicht auf der ganzen Welt gleich ist. So erlebt man das zumindest an der Huntetalschule. "Viele Eltern freuen sich darüber, dass wir Niederdeutsch anbieten", sagt Margret Beering.

"Wir wissen, dass mit Globalisierung immer auch eine Lokalisierung stattfindet", sagt Ingrid Schröder, Leiterin der Abteilung Niederdeutsche Sprache und Literatur an der Universität Hamburg, "natürlich geht es dabei auch um Identität. Man wirft quasi einen Anker." Sie als Professorin findet es deshalb sogar ausgesprochen zeitgemäß, dass die norddeutschen Kultusministerien dem Niederdeutschen wieder mehr Raum geben und damit der Charta für Regional- und Minderheitensprachen folgen, die Deutschland 1998 ratifiziert hat. Dänisch, Nord- und Saterfriesisch, Ober- und Niedersorbisch sowie das Romanes der Sinti und Roma stehen durch die Charta unter staatlichem Schutz. Und eben auch das Niederdeutsche.

Ingrid Schröder sitzt in ihrem engen Büro im Philosophenturm der Hamburger Uni und erzählt die Geschichte des Niederdeutschen. Es ist die spannende Geschichte einer Sprache, die schon einmal Opfer einer Globalisierungswelle war. Niederdeutsch war im Mittelalter die erste Sprache im norddeutschen Raum, dessen südliche Grenze ungefähr zwischen Düsseldorf und Frankfurt an der Oder verlief. Erst im 16. Jahrhundert kam der Wandel. Handelswege veränderten sich. Durch die Entdeckung Amerikas verlor der Ostseeraum an Bedeutung, dafür wurden die Beziehungen zu den Umschlagplätzen des Südens wichtiger. Dazu kam die Reformation, Martin Luther schrieb auf Hochdeutsch. Prediger kamen von auswärts. Studierende besuchten Hochdeutsch-Universitäten. "Es gab eine Übergangszeit, in der alles nebeneinander existierte", sagt Ingrid Schröder.

"Die Älteren sprechen es immer besser als die Jüngeren"

Aber zusehends wurde Niederdeutsch zur Sprache des Hinterlandes, zum exklusiven Code der eingeborenen Provinzbewohner, den man auch nicht mehr aufschrieb. Erst im 19. Jahrhundert gab es zaghafte Neuanfänge niederdeutscher Literatur. Aber die Unterrichtssprache war Hochdeutsch. "Bis ins 20. Jahrhundert findet man Platt-Sprecher, die sagen, es sei ein dramatisches Erlebnis gewesen, als sie in der Schule nicht mehr Niederdeutsch sprechen durften", sagt Ingrid Schröder. Ihren Kindern wollten sie solche Erfahrungen ersparen. Sie sprachen deshalb auch zu Hause Hochdeutsch. Platt verlor an Kraft.

Und heute? Eine Umfrage von 2007 setzt den Maßstab für den Zustand des Niederdeutschen: Damals gaben 13 Prozent aller Norddeutschen an, Plattdeutsch gut oder sehr gut zu sprechen. 1984 waren es noch 35 Prozent. "Und die Älteren sprechen es immer besser als die Jüngeren", sagt Professorin Schröder. In ständiger Angst ums Niederdeutsche lebt sie trotzdem nicht. 13 Prozent aller Norddeutschen, das sind immerhin 2,6 Millionen Menschen. Die niederdeutsche Kulturszene ist rege, was nicht nur am Hamburger Ohnsorg-Theater liegt, das seit 113 Jahren Mundartpflege betreibt. Sondern auch an jungen Künstlern, die auf Platt rappen oder Poetry-Slams veranstalten. Medien haben niederdeutsche Kolumnen. Und dann ist da eben die Offensive an Schulen.

Ausgerechnet der Stadtstaat Hamburg, der alles andere als ein Zentrum der Platt-Konversation ist, hat sich den Ruf als Vorreiter erworben, indem er 2011 an neun Schulen Niederdeutsch als Wahlpflichtfach einführte. In Schleswig-Holstein bieten 29 Grundschulen freiwilligen Niederdeutsch-Unterricht an; 2014/15 lag die Teilnehmerzahl mit 1025 laut Landesregierung "deutlich höher als erwartet". Und in Niedersachsen gilt seit 2011 der Erlass "Die Region und ihre Sprachen im Unterricht", der Niederdeutsch-Lektionen im Rahmen des Pflichtunterrichts ermöglicht: etwa im Kunstunterricht wie bei Margret Beering.

Wirklich einfach ist es nicht, das Niederdeutsche zum festen Bestandteil des Unterrichts zu machen. Die Sprache weist viele Dialekte auf; an der Huntetalschule hält man sich zum Beispiel an die Variante aus dem Oldenburger Münsterland. Eine einheitliche Rechtschreibung gibt es nicht, teilweise auch keine Lehrbücher. Und dass Lehrer Niederdeutsch sprechen, ist nicht selbstverständlich. An der Huntetalschule tun das im Grunde nur Margret Beering und Schulleiterin Theresia Espelage.

Auf höheren Schulen ist der Trend noch nicht angekommen

Aber wo ein Wille ist, kann man es durchaus zu etwas bringen im Dienste der Heimatfremdsprache. An der Huntetalschule fließen lokales, nationales und internationales Wortgut ineinander. Im ganzen Schulhaus sind Gegenstände auf Deutsch, Niederdeutsch und Englisch beschriftet: "Schrank - Schapp - cupboard", "Tafel - Taofel - board". Espelage und Beering bieten Niederdeutsch-AGs an. Die Schulleiterin hat für eine erste Klasse auch schon eine Art Sprachbildungsbasteln mit dem Titel "Origami up platt" veranstaltet. Erst im Dezember hat das Kultusministerium in Hannover die Einrichtung für diesen Einsatz zur "Plattdeutschen Schule" ernannt.

Und die Kinder? Manche kennen Niederdeutsch von daheim, andere mussten sich erst daran gewöhnen. Allmählich wird es all jenen vertraut, die es in der Schule regelmäßig hören. Die Frage ist bloß, was aus ihrem Niederdeutsch-Wissen wird, wenn die Kinder auf die nächsthöhere Schule kommen. Sie werden es wohl wieder verlieren. Noch ist Plattdeutsch in Niedersachsen vor allem ein Thema für Kindergärten und Grundschulen, was Margret Beering in Goldenstedt mit leisem Bedauern hinnimmt. "Um die Sprache richtig zu lernen, machen wir hier noch zu wenig", sagt sie. Der Klang der Heimat braucht mehr als eine Chance.

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