Süddeutsche Zeitung

Selbstorganisation im Studium:Was gegen Prokrastination hilft

An den Schreibtisch? Lieber in die Sonne! Prokrastination, notorisches Aufschieben, ist ein Problem, mit dem sich viele Studierende plagen. Welche Strategien bei Motivationsproblemen im Studium helfen.

Von Kristina Antonia Schäfer

Unordentliche beginnen plötzlich zu putzen. Menschen, die nie zuvor einen Mixer in der Hand hatten, backen am laufenden Band Kuchen. Wenn Prüfungen anstehen, erscheint plötzlich alles attraktiver als die Aufgabe, sich hinzusetzen und zu lernen. Laut einer Studie der Universität Freiburg leidet jeder sechste Student unter "Aufschieberitis". Das Phänomen wird auch "Prokrastination" genannt, was übersetzt "Vertagung" heißt.

Wer sich zum Lernen motivieren will, kann heute Regalbretter voller Ratgeber und zahllose Internet-Filmchen konsultieren. Am wichtigsten sei jedoch, sich zuerst selbst zu fragen, weshalb man nicht lernen wolle, sagt Günter Faber, Psychologe an der Leibniz-Universität Hannover. Eng damit verbunden sei die Frage, wieso man überhaupt lernt.

Welches Ziel steht am Ende? Welche Etappenziele gibt es? Es gehe darum, die eigene Motivation zu kennen. Das helfe auch bei Rückschlägen.

Den eigenen Lern-Typ identifizieren

Eng mit der Motivation verknüpft ist die Frage, wie man lernt. "Motivation und Lernverhalten sind zwei Seiten derselben Medaille", sagt Faber. Das heißt: Gewöhnt man sich eine effiziente und zugleich nicht überfordernde Art zu lernen an, schrumpft die Gefahr der "Aufschieberitis" automatisch. Der Einzelne müsse sich bewusst machen, wann, wo, was und unter welchen Umständen er am besten lernen kann.

Sabine Grotehusmann ist Expertin für Lernstrategien. Die Kölner Studienrätin gibt Seminare und Vorträge zum Thema Lernen und hat ein Buch mit dem Titel "Der Prüfungserfolg" geschrieben. Ihren Zuhörern und Lesern bringt sie bei, dass Rituale das A und O für erfolgreiches Lernen sind. Rituale strukturierten den Tag, was letztlich viel Energie spare, weil man sich nicht immer wieder neu motivieren müsse, sagt Grotehusmann. "Außerdem fällt es mit ihnen leichter, Nein zu Ablenkungen zu sagen." Gerade wer auf Dauer durchhalten wolle, brauche feste Regeln.

Besonders wichtig sei es, da sind sich Faber und Grotehusmann einig, den Stoff in kleine Häppchen zu unterteilen. So wird er übersichtlich und der Lernende nicht überfordert. Möglich sei etwa, sich ein kurzes Kapitel pro Stunde vorzunehmen, sagt Wissenschaftler Faber. Das heiße auch, dass nach der Stunde eine Pause folgen müsse. "Man darf sich nicht überfordern, sonst kann es nur zum Misserfolg kommen", sagt Faber. Stattdessen solle man sicherstellen, dass der Inhalt dieses einen Kapitels wirklich verstanden worden sei.

Hilfreich könne es je nach Charakter sein, verschiedene Sinneswahrnehmungen zu bemühen. Viele Menschen könnten sich Dinge besser merken, wenn sie sich eine Grafik einprägten oder einer Erklärung lauschten, anstatt nur Buchstaben zu lesen.

Faber rät deshalb, beim Lernen der einzelnen Kapitel in fünf Schritten vorzugehen: Als Erstes wird der Text gelesen, dann werden die Schlüsselbegriffe markiert. Dann kommt das Wichtigste: die Aussage für sich selber zu formulieren. Das könne man grafisch über eine Mindmap oder über eine Tabelle machen. Oder man könne sich selbst laut einen Kurzvortrag halten.

Erwachsene hätten damit jedoch oft ein Problem, gerade wenn sie schon berufstätig seien. "Die sagen dann: So einen Kinderkram mache ich nicht", erzählt Faber. Stattdessen nähmen sie sich vor, sich die Aussage zu denken - prägten sie sich aber nicht ein. Da kann es helfen, die Gedanken einem anderen zu erzählen.

Als vierten Schritt sollten Studenten versuchen zu überprüfen, ob sie das Gelernte verstanden haben. Habe man etwa beim Kurzvortrag gemerkt, dass man die Gedanken nicht klar formulieren konnte, gebe es wahrscheinlich noch Lücken. Der fünfte und letzte Schritt besteht schlicht darin zu sehen, ob man das, was man sich vorgenommen hat, geschafft hat, ob also etwa eine Stunde für ein Kapitel gereicht hat.

Der Lernort sollte immer derselbe sein

Auch die äußeren Umstände gehören zur Lernstrategie. Der Lernort etwa sollte immer derselbe sein und auch nur zum Lernen genutzt werden, damit morgens nicht erst die Reste des Abendessens weggeräumt werden müssen. Zudem sind feste Lernzeiten wichtig, wie beide Experten betonen. Dadurch könne man sich vor dem schützen, was Grotehusmann "Nur-noch-schnell-Virus" nennt: Hier ein Telefonat, da ein Chat, dort eine Tasse Kaffee - und schon ist der halbe Tag vorbei. "Man braucht eine klare, enge, einfache Struktur", betont Faber. Eine Möglichkeit sei, sich einen Tagesplan aufzumalen und die Lernblöcke rot zu markieren.

Grotehusmann rät, sich Lernblöcke direkt neben Entspannungsblöcke zu legen, etwa vor die Lieblingsfernsehserie, um klare Grenzen zu schaffen. Dazu helfe auch, den Mitbewohnern klarzumachen, wann man lernt. "Dann ist die Tür zu und keiner kann stören und fragen, ob man den Müll hinunterbringt", sagt Faber.

Doch der Wissenschaftler betont, ohne die richtige Einstellung helfe keine Strategie. Führe man etwa eine gute Note in einer Prüfung auf Glück zurück, anstatt sie als Lernerfolg zu sehen, dann könne keine Motivation aufkommen. Deshalb sei es wichtig, sich bei jedem einzelnen Schritt bewusst zu machen, dass man selber gerade etwas geschafft hat, etwa durch eine Liste, die die fünf Schritte abfragt und nach jeder Lerneinheit abgehakt wird.

Stehen überall Haken, weiß man, dass man etwas erreicht hat - ganz allein, ohne Glück. Und das, stellt Faber fest, sei schließlich die größte Motivation.

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SZ vom 13.06.2013
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