Schulweg:"Wir sind klar gegen das Eltern-Taxi"

Freundschaft

Zumindest Schulanfänger sollten am besten zu Fuß in die Schule kommen, empfiehlt Bodewig.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Wie Kinder sicher in die Schule kommen - und warum sie erst ab der dritten Klasse mit dem Fahrrad fahren sollten.

Interview von Ralf Steinbacher

Kurt Bodewig, 62, war von 2000 bis 2002 Bundesverkehrsminister. Seit 2007 ist er Präsident der Deutschen Verkehrswacht in Berlin, die sich für mehr Sicherheit auf den Straßen und für die Verringerung der Zahl der Unfallopfer einsetzt.

SZ: Herr Bodewig, in vielen Bundesländern wie etwa Bayern oder Nordrhein-Westfalen hat die Schule noch nicht begonnen. Können Eltern jetzt noch etwas tun, um Schulanfänger auf den Schulweg vorzubereiten?

Kurt Bodewig: Wir empfehlen ein Schulwegtraining. Mutter oder Vater sollten noch in den Ferien einige Tage lang mit ihrem Kind den Weg zur Schule ablaufen, den es später auch gehen wird. Und zwar morgens, weil die Verkehrsbedingungen möglichst realistisch sein sollten. Dabei kann man das richtige Verhalten erklären und auch über Besonderheiten wie Baustellen reden. Wenn man meint, das Kind sei fit, tauscht man die Rollen, um das zu überprüfen. Aber an den ersten Schultagen sollte man sein Kind noch nicht alleine gehen lassen. Da stürmt einfach zu viel Neues auf die Schulanfänger ein.

Ab wann ist es sinnvoll, das Kind mit dem Fahrrad zur Schule fahren zu lassen?

Erst nach der Radfahrausbildung. In der Regel beginnt sie in den dritten Klassen mit einem Mobilitätstraining, in den vierten Klassen üben die Kinder dann mit dem Rad.

Das dürften viele Eltern nicht verstehen, deren Kinder schon früh Rad fahren können.

In der Tat können viele Kinder schon in der ersten Klasse geradeaus fahren. Aber wenn es um das Abbiegen geht, kann man beobachten, wie unsicher sie sind, dass sie ins Schlingern geraten, wenn sie sich nach dem Verkehr von hinten umsehen. Oder dass sie kein Handzeichen geben, weil sie noch nicht einhändig fahren können. Kinder machen im Alter von acht, neun Jahren einen großen Entwicklungssprung. Deshalb beginnt die Ausbildung erst in der dritten Klasse.

Die praktische Radfahrausbildung wird ja oft von Polizisten durchgeführt. Da hört man immer wieder, dass die Kinder unsicherer sind als früher.

Die motorischen Fähigkeiten der Kinder sind heute tatsächlich eingeschränkter als vor zehn Jahren. Das haben uns Lehrer, Eltern und Polizeibeamte bestätigt.

Woran liegt das?

Kinder sitzen heutzutage länger, müssen mehr Hausaufgaben machen, sitzen in ihrer Freizeit vor dem Computer. Städte werden immer mehr zugebaut, so dass die Kinder auch weniger Möglichkeiten haben, draußen zu spielen. Das kann man aber im Sportunterricht auffangen, indem man Fertigkeiten trainiert, die im Straßenverkehr wichtig sind.

"Kinder bis zu acht Jahren müssen immer auf dem Gehweg fahren"

Ist die Verkehrserziehung an den Schulen noch verbesserungsfähig?

In der Sekundarstufe, also von der fünften Klasse an, ist es leider von Schule zu Schule unterschiedlich. Wir würden uns wünschen, dass dort mehr auf das begleitete Autofahren ab 17 Jahren eingegangen wird. In den Grundschulen ist die Verkehrserziehung dagegen vorbildlich, die Radfahrausbildung ist ja vorgeschrieben. Allerdings beobachten wir in einigen Bundesländern, in denen die Personaldecke der Polizei sehr dünn ist, dass sie keine Beamte mehr dafür abstellen kann. Früher gehörte es zum Selbstverständnis der Polizei, dabei zu sein. Aber es fehlen einfach neue Stellen.

Nach der amtlichen Unfallstatistik des Jahres 2015 sind etwa die Hälfte der Unfälle, in die 10- bis 15-Jährige verwickelt sind, Unfälle mit dem Fahrrad, das sind insgesamt mehr als 6800. Wissen Sie, wie viele Kinder einen Helm tragen?

Ja, und in der Grundschule ist die Akzeptanz glücklicherweise hoch. Drei von vier Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren tragen einen Helm, hat die Bundesanstalt für Straßenwesen ermittelt. Bei den 11- bis 16-Jährigen ist es dann nur noch jeder Dritte.

Ab welchem Alter dürfen oder müssen Kinder eigentlich mit dem Rad auf dem Gehweg fahren?

Kinder bis zu acht Jahren müssen immer auf dem Gehweg fahren, seit Dezember 2016 dürfen Eltern sie auch mit dem Rad auf dem Gehweg begleiten. Dafür haben wir lange gekämpft. Kinder zwischen acht und zehn Jahren dürfen zwischen Gehweg und Straße wählen. Wer älter ist als zehn, muss auf der Straße fahren, sofern es keinen Radweg gibt.

Jetzt im Sommer sind die Kinder häufig mit Flipflops unterwegs. Ist das In Ordnung?

Nein, Eltern sollten nicht nur auf den Helm, sondern auch auf vernünftige, feste Schuhe oder Sandalen achten. Flipflops sind zwar nicht verboten, aber man kann damit hängen bleiben und stürzen. In der dunklen Jahreszeit sind auch Jacken mit retroreflektierenden Streifen sinnvoll. Auch mit Schulranzen, die solche reflektierenden Flächen haben, werden Kinder deutlich besser gesehen.

Und wenn Eltern ihre Kinder gleich mit dem Auto zur Schule bringen?

Wir sind klar gegen das Eltern-Taxi, auch wenn es im Einzelfall vielleicht nicht anders geht. Aber so nehmen Eltern ihren Kindern eine Entwicklungsmöglichkeit und gefährden sehr häufig die eigenen und andere Kinder. An manchen Grundschulen parken die Autos der Eltern in zweiter oder gar in dritter Reihe. Das behindert den Verkehr und erhöht so die Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer. In Nordrhein-Westfalen gibt es zumindest sogenannte Hol- und Bringzonen, einige hundert Meter vom Schuleingang entfernt. Das ist auch nur bedingt gut, aber es entzerrt die Situation wenigstens. Direkt vor der Schule sind Eltern-Taxis jedenfalls fehl am Platz.

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