Schulsysteme im Vergleich:Entspannteres Verhältnis zur Schule

Wenn ich mich frage, woher dieses Gefühl kommt, fallen mir zuerst die vielen Gespräche ein, die wir vor dem Umzug mit befreundeten Eltern in Deutschland geführt haben. Von den Horrorgeschichten jener, die mit einem Schulkind in ein anderes Bundesland umziehen mussten, will ich gar nicht sprechen. Nein, mich irritierte, wie verunsichert die Eltern wirkten. Viele schienen sich ständig zu fragen, ob sie genug für den Schulerfolg ihrer Kinder tun. Wer, wann, wie bei den Hausaufgaben hilft, ist in deutschen Familien offenbar ein Dauerthema. Und erschreckend viele meiner Gesprächspartner zahlten für Nachhilfestunden.

Einmal fragte ich einen befreundeten Vater in Stockholm, wie das eigentlich mit Nachhilfeunterricht in Schweden funktioniere. Es wurde ein ziemlich langes Gespräch, denn ich musste dem Mann erst einmal erklären, was Nachhilfeunterricht überhaupt ist. Dass Eltern jemanden bezahlen, der ihren Kindern nach dem Unterricht den Schulstoff beibringt, ist für die meisten Schweden schlicht unvorstellbar. Das Verhältnis zur Schule ist entspannter.

Warum ist das so? Zum einen, weil der Leistungsdruck, vor allem zu Beginn der Schulzeit, deutlich geringer ist. In Schweden gibt es bis zur sechsten Klasse nicht einmal Noten. Die gemeinsame Grundschule dauert nicht vier, sondern neun Jahre. Erst dann wird entschieden, wer sich auf ein Studium vorbereitet und wer auf einen nicht akademischen Beruf. Ein weiterer Grund für die Gelassenheit der Eltern ist, dass Kinder in Schweden den ganzen Tag in der Schule sind und nicht mittags vollbepackt zum Weiterlernen heimgeschickt werden. Es gibt zwar auch dort Hausaufgaben, aber deutlich weniger.

Zahlen, die Angst machen

Zugespitzt könnte man sagen: Schwedische Schulen erreichen ihre mittelmäßigen Pisa-Ergebnisse wenigstens aus eigener Kraft. Deutsche Schulen sind dagegen auf Unterstützung durch mühevolle Heimarbeit und auf die Geldbeutel der Eltern angewiesen. Bis zu 1,5 Milliarden Euro geben deutsche Familien einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge im Jahr für Nachhilfestunden aus. Solche Zahlen machen einem Angst, wenn man aus Schweden hierher zieht.

Ich glaube nicht, dass schwedische Eltern sich weniger um die berufliche Zukunft ihrer Kinder sorgen als deutsche. Aber sie trauen ihren Schulen zu Recht mehr zu. Wenn ein Kind in Schweden mehr Förderung braucht, gehen die Eltern nicht in ein privates Nachhilfestudio, sondern zur Klassenlehrerin. Die kann meistens auch helfen, denn sie hat eine Menge Instrumente zur Verfügung: vom Unterricht in Kleingruppen über Hausaufgabenhilfe, muttersprachlichen Unterricht (für unsere Tochter hätte man einmal die Woche eine deutschsprachige Lehrerin in die Vorortschule bestellt) bis hin zur Möglichkeit, schwachen Schülern einen speziell ausgebildeten Pädagogen zur Seite zu stellen, der sich nur um sie kümmert.

Könnte es so etwas nicht auch in Deutschland geben? Sollte mehr individuelle Förderung nicht ein zentrales Anliegen sein? Stattdessen werden Lehrerstellen eingespart und Klagen über "Förderwahn" und "Helikoptereltern" vorgebracht. Ich verstehe das einfach nicht. Wie ich so vieles in der sogenannten Bildungsdebatte nicht verstehe.

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