Schulreform in Frankreich:Nur noch Sklaven

  • Intellektuelle, Deutschlehrer und Historiker protestieren gegen die geplante Schulreform in Frankreich.
  • Kommende Woche steht in dem Land ein Lehrerstreik an.
  • Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem hat bei der anberaumten Strukturreform im schulischen Unterricht bereits einige Fehler eingeräumt.

Von Joseph Hanimann

Die Reduzierung von Griechisch und Latein an der Schule sei das Ende von allem, schrieb der Intellektuelle Charles Péguy über eine Schulreform: Die Vernichtung einer ganzen Kultur, wie sie Barbaren und Revolutionen nicht fertiggebracht hatten, gelinge nun einigen politischen Demagogen und "Berufssozialisten". Das war 1902.

Péguys Ausruf könnte allerdings auch von jenen Intellektuellen stammen, die heute gegen die Reform des Collège, der französischen Hauptschule, protestieren. Latein und Griechisch würden in Frankreich bald nur noch als Restposten abgewickelt, schreiben der Regisseur Luc Bondy, der Dichter Yves Bonnefoy, der Intellektuelle Régis Debray, der Linguist Claude Hagège und zahlreiche andere in einem Aufruf an den Staatspräsidenten. Zuvor hatten bereits die Deutschlehrer protestiert gegen das, was sie als einen Gnadenstoß für Deutsch als Fremdsprache betrachten. Und im Fach Geschichte, klagt der Historiker Pierre Nora, sei man dabei, den Lehrplan auf die Modethemen Kolonialismus und Sklavenhandel hin umzukrempeln, nur um der abendländischen Geschichte eine zusätzliche Dosis Schuldbewusstsein einzuimpfen. All dieser Unmut wird nächste Woche bei einem Lehrerstreik zum Ausdruck kommen.

Sorgenkind des Unterrichtssystems

So redundant die Argumente der Reformgegner klingen, es steht diesmal doch mehr auf dem Spiel. Dass das Collège vom sechsten bis zum neunten Schuljahr das Sorgenkind des Unterrichtssystems darstellt, ist allen bewusst. 150 000 Jugendliche jährlich verlassen diese Stufe ohne Abschluss. Sie gilt ohnehin manchmal nur zur Sortierung in Spitzen-, Massen- und Sackgassenausbildung. Wahlfächer wie Latein oder Deutsch, auch das ist nicht zu bestreiten, dienen den Schülern zudem oft nur dazu, in bessere Klassen zu kommen.

Nun aber riskiert Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem, im Namen der égalité das abzuschaffen, was am besten funktioniert. Dabei muss man unterscheiden zwischen einer Strukturreform, die bereits beschlossen ist und laut Ministerin im Herbst 2016 zur Anwendung kommen soll, und der inhaltlichen Lehrplanreform, die noch zur Diskussion steht. Gerade der Deutschunterricht gerät nun unter die Räder der Strukturreform.

Bislang wählten die Schüler eine erste Fremdsprache in der Grundschule und eine weitere im dritten Jahr des Collège. Nun soll die zweite Fremdsprache bereits im zweiten Collège-Jahr hinzukommen. Das wäre eine erfreuliche Maßnahme, würde dadurch nicht die seit 2002 bestehende vorzügliche Einrichtung der classes bilangues, der Doppelfremdsprachenklassen, geopfert.

Desaströses Signal für die Mehrsprachigkeit

Mit diesem System, das in mittlerweile 3500 Klassen durchs ganze Land vom sechsten Schuljahr an gleich zwei Fremdsprachen anbietet, konnte insbesondere der Rückgang des Deutschen gebremst und hinter dem Englischen (98 Prozent der Schüler) und dem Spanischen (47 Prozent) auf 15 Prozent stabilisiert werden. Die Fremdsprachenkombination Englisch-Deutsch wird heute von annähernd 90 000 Schülern quer durch Frankreich genutzt.

Und damit soll nun Schluss sein, außer für jene verschwindend kleine Zahl von Schülern, die Deutsch als erste Fremdsprache lernen. Die Doppelfremdsprachenklassen werden abgeschafft ebenso wie die "Europa-Klassen", die den Unterricht mancher Fächer in einer Fremdsprache anbieten. Keine Extrawurst mehr für Begabte und Privilegierte, so will es die Ministerin.

Zudem empört die Deutschlehrer aber auch eine geplante Reduzierung der Stundenzahl für die Zweitfremdsprache. In zweieinhalb Stunden pro Woche könne man keine Sprache ernsthaft lernen, wenden sie ein. Mit der geplanten Reform würden im nächsten Jahr schlagartig 40 000 Deutschschüler ausfallen, hat Thérèse Clerc vom Förderverein des Deutschunterrichts ADEAF errechnet. Und für Joachim Umlauf, den Direktor des Pariser Goethe-Instituts, ist der Fall klar: Mit dieser Reform würde der Anteil Deutsch lernender Schüler in zehn Jahren auf fünf Prozent sinken.

Mit diplomatischen Worten drückt auch die deutsche Botschafterin in Paris ihre Sorge aus. Persönlichkeiten wie Alfred Grosser oder der Ex-Premierminister Jean-Marc Ayrault, ein ehemaliger Deutschlehrer, warnen vor einem desaströsen Signal für die Mehrsprachigkeit. So würde er die Reform jedenfalls nicht machen, sagte Jack Lang, ehemaliger Bildungsminister und weiterhin Parteigenosse von Najat Vallaud-Belkacem.

Für die Ministerin, deren Lächeln der Schriftsteller Jean d'Ormesson mit dem hochnäsig charmanten Ausdruck von Jennifer Jones im Lubitsch-Film "Cluny Brown auf Freiersfüßen" verglich, ist die Reform eine erste Bewährungsprobe. Offiziell hat Hollande allen Regierungsmitgliedern volle Unterstützung für die Kollegin befohlen. Diese zeigt nach anfänglich gereizter Überheblichkeit und der Schmähung ihrer Kritiker als "Pseudo-Intellektuelle" inzwischen mehr Geduld. Sie gesteht sogar Fehler ein, etwa dass im Geschichtsunterricht die Aufklärung als bloße Option des Trivialthemas "Europa zwischen 17. und 19. Jahrhundert" behandelt werden soll. Idealerweise wäre dies nicht die letzte Einsicht.

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