Schule:Revolution beim Schulranzen

Schulweg

Zwei Kinder auf dem Weg zur Schule in den 1950er-Jahren: Damals waren die Tornister noch einheitlich aus Leder, nicht so bunt wie heute.

(Foto: PRESSE-BILD-POSS)

Drei Kölner Firmengründer haben den Markt für Schulrucksäcke aufgemischt. Sie setzen auf Ergonomie und wechselndes Design. Inzwischen werden sie sogar nachgeahmt.

Von Janis Beenen, Köln

Muss ein Firmengründer Ahnung von der Sache haben? Nicht unbedingt, er kann auch ohne Fachkenntnis sehr erfolgreich werden. So jedenfalls erzählt Sven-Oliver Pink die Geschichte seines Unternehmens. Im Jahr 2010 gründete er mit zwei Freunden den Schulrucksack-Hersteller Ergobag. Nicht etwa, weil die Jungs besonders viel über Schulrucksäcke gewusst hätten. Die drei Betriebswirte wollten einfach gerne gründen. Und ergonomische Tornister für Grundschüler hatten sie als Marktlücke ausgemacht. "Den Prototypen haben wir in vier Tagen zusammenbaut", sagt Pink. Vieles sei sicher nicht optimal gewesen. Doch die Motivation war größer als etwaige fachliche Bedenken. "Wir haben die Rucksäcke mit Leidenschaft vertrieben", sagt Pink.

Acht Jahre später muss der 39-Jährige ein paar Mal grinsen, wenn er die Geschichte erzählt. Schließlich ist alles gut gegangen, und das ist noch eine Untertreibung. Mit 6000 Taschen fing es in der ersten Fertigung an. Danach haben die Gründer von Köln aus die Grundschulen des Landes erobert. Und sie wollen mehr. Neben Ergobag versuchen Pink und seine Partner mittlerweile, sechs weitere Marken zu etablieren. Rucksäcke für alle Generationen sind im Programm, dazu Bekleidung, alles läuft unter Dachmarke "Fond of".

Martin Voegels war einer der ersten Händler, die Ergobags ins Sortiment nahmen. Mit Taschen kennt er sich aus, schließlich betreibt seine Familie seit mehr als 90 Jahren ein Fachgeschäft in der Kölner Innenstadt. Als die Gründer ihn zum ersten Mal besuchten, sei er skeptisch gewesen, sagt Voegels. Ein neuer Anbieter war kaum vorstellbar: "Die Eltern haben für Grundschüler entweder Scout, McNeill oder Step by Step gekauft." Doch der neue Ansatz interessierte Voegels. Das Tragesystem von Ergobag ist Modellen für Bergsteiger nachempfunden. Beckenflossen verlagern einen Teil des Gewichts von den Schultern auf die Hüfte. Durch ein verstellbares Rückenstück wächst der Rucksack mit dem Schüler. So soll sich die Tasche optimal an die Wirbelsäule anpassen.

Der Schutz vor Haltungsschäden habe die Eltern überzeugt, sagt Voegels: "Mittlerweile haben alle Konkurrenten mit vergleichbaren Angeboten nachgezogen." Über Jahre sei der Markt zuvor recht konservativ gewesen. Veränderungen gab es nicht. Viele von Voegels Kollegen waren Neulingen gegenüber nicht aufgeschlossen. Es lief ja - Scout für die Kinder, 4You in der weiterführenden Schule. Das Mantra hatte lange Bestand.

Zunächst versuchten die Großen daher, Ergobag zu ignorieren. Doch die jungen Kölner erzwangen den Neustart einer lahmen Branche. Nicht nur mit dem Tragesystem setzten sie die Etablierten unter Druck, auch beim Design. Viele Kinder finden den teuren Tornister alter Art rasch doof. Zur Einschulung sind die Einhörner noch das Coolste, zwei Jahre später gibt es nichts Schlimmeres. Ergobag bietet wechselnde Motive zum Ankletten. Auch diese Idee hat die Marke nicht mehr exklusiv.

"Vergleichbar mit dem Kauf des Hochzeitskleids"

Obwohl die Alleinstellungsmerkmale schwinden, haben sich die Modelle im Handel etabliert. Im vergangenen Jahr verkaufte Pinks Unternehmen 600 000 Rucksäcke für alle Altersklassen, darunter Tausende an Grundschüler. Die Gefahr ist nun, selber von Konkurrenten überholt zu werden. Zuweilen spricht Pink wie ein Getriebener. Er sagt Dinge wie: "Wenn sich ein neues Produkt nicht verkauft, ist es entweder nicht bekannt genug oder muss verändert werden." Etwas wie Misserfolg passt nicht in seine Welt. So hält er die mehr als 200 Mitarbeiter auf Trab. Jeder muss jährlich mindestens zwei Termine mit Endkunden besuchen. Schließlich regten Eltern an, neben dem Kinderrucksack auch an die Jugendlichen zu denken. Im Kölner Unternehmenssitz tüfteln die Angestellten an ihren Computern, umringt von Rucksäcken, die kleine Nähstube ist gleich nebenan - bloß kein Stillstand. An der Wand prangen aktuelle Umsatzzahlen. Vermutlich ist das als eine Art Motivation gedacht.

Im vergangenen Geschäftsjahr kamen alle Marken auf einen Umsatz von knapp 70 Millionen Euro. Auch wenn es Pink nicht verraten möchte, dürfte Ergobag einen entscheidenden Anteil ausmachen. Die Konkurrenten sind in der Regel noch verschwiegener und machen keine Angaben zu ihren Zahlen. Genaue Daten über die Größe des Marktes gibt es deshalb nicht. Klar ist aber: Die Zahlungsbereitschaft der Kunden ist hoch. Pink erklärt das mit Emotionen. "Die Suche nach dem ersten Tornister ist vergleichbar mit dem Kauf des Hochzeitskleids", sagt er. Die Einschulung finde nur einmal im Leben statt. Auf den Bildern, die später herumgereicht werden, soll alles perfekt sein.

Der Ranzen gehört zu den wenigen Produkten, die noch Vater, Mutter, Kind, Oma, Opa und beliebige weitere Verwandte gemeinsam in den Laden locken - oder auf sogenannte Ranzenpartys. Auf diesen Mini-Messen stellen die Hersteller an langen Tapeziertischen ihre Angebote vor. Die Käufer machen häufig 200 Euro oder noch mehr locker. Bei über 650 000 Einschulungen in Deutschland im vergangenen Schuljahr lässt sich leicht errechnen, dass es um viele Millionen Euro geht.

Ergobag-Produkte sind häufig noch zehn bis zwanzig Prozent teurer als vergleichbare Ware. "Dafür bieten wir auch deutlich mehr", sagt Pink. Der Erfolg hat ihn selbstbewusst gemacht. Zudem schmückt sich sein Unternehmen mit hohen Standards in der Produktion. In Ergobags würden Textilien genutzt, die ausschließlich aus recycelten Plastikflaschen bestehen. Außerdem könnten die Arbeiter in Asien sicher und zu einem fairen Lohn produzieren. Die Ergobag-Welt scheint eine traumhafte zu sein. Die perfekte Aufsteigergeschichte von Gründern, die die Standards einer Branche neu definieren.

Dabei wird der Schulrucksack, der gerade erst so richtig durchgestartet ist, bald schon wieder Geschichte sein. Allmählich wird sogar die Schule digital. Wenn das Tablet die Bücher ersetzt, fällt eine entscheidende Last weg. Das Aus für die großen Tornister? "Das Pausenbrot oder Sportsachen müssen weiter mit", entgegnet Pink. Aber natürlich versuche man, die Taschen anzupassen. Konkrete Ziele nennt er nicht. Die Fantasie der Angestellten soll nicht durch Vorgaben eingeschränkt werden.

Pink ist nach anfänglicher Sorge ohnehin überzeugt, dass die Digitalisierung der Bildung eher Chance als Risiko ist. Aktuell seien Unterricht, das notwendige Material und damit auch die Anforderung an Taschen in verschiedenen Ländern unterschiedlich. "Die Digitalisierung wird Schulen und damit Rucksäcke international ähnlicher machen", meint Pink. Eine schöne Gelegenheit, einfacher auf fremde Märkte zu gelangen. Acht Jahre nach der Gründung trauen sich Pink und seine Leute das durchaus zu. In 35 Ländern sind sie bereits unterwegs.

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